Dokuserie „I'll be gone in the dark“: Der Versuch, es anders zu machen
Das Genre „True Crime“ wird zunehmend problematisiert. In der Sky-Serie „I'll be gone in the Dark“ liegt der Fokus auf einer Rechercheurin und Opfern.
Viel wurde in den vergangenen Jahren über das problematische Genre „True Crime“ geschrieben, also belletristische oder journalistische Erzählungen von realen Verbrechen. Problematisch deswegen, weil reale Verbrechen in diversen Zeitungsartikeln, Podcasts oder Fernseh- und Filmproduktionen aus Unterhaltungszwecken nacherzählt werden. Nicht selten werden Täter:innen dabei heroisiert und die Würde der Opfer nicht beachtet – Hauptsache es gibt etwas zum Gruseln.
Doch der Trend scheint ungebrochen. Erst vor wenigen Tagen kündigte eine Hollywood-Produktionsfirma einen neuen Thriller über den Serienmörder und Vergewaltiger Ted Bundy an – die Geschichte eines Verbrechers, die schon dutzendmal in Spielfilmen und Dokus verarbeitet wurde.
Auch in Deutschland ist „True Crime“ der heiße Scheiß: „Zeit Verbrechen“ zählt zu den erfolgreichsten Podcasts des Landes und Kriminalfälle werden nicht mehr nur im Boulevard verhandelt, auch der Tagesspiegel kündigte kürzlich sein neues Format „Tatort: Berlin“ an, in dem „spektakuläre Fälle“ rekonstruiert werden.
Natürlich gibt es auch positive Gegenbeispiele, also journalistische Recherchen, die zur Aufklärung und damit zur Festnahme der Täter:innen beitragen haben oder Gewaltverbrechen nacherzählen, um auf politische und gesellschaftliche Missstände aufmerksam zu machen.
„I'll be gone in the dark“, sechs Episoden, ab 3. Juni bei Sky
Solch ein positives Gegenbeispiel möchte auch die sechsteilige HBO-Dokuserie „I'll be gone in the dark“ sein. Behandelt werden darin die Taten eines Verbrechers, der East Area Rapist, Original Night Stalker oder Golden State Killer genannt wird. Der ehemalige Polizist hat von 1973 und 1986 in Kalifornien mindestens 13 Menschen getötet und 50 Frauen vergewaltigt. Anstatt jedoch den Täter in den Mittelpunkt der Doku zu stellen, fokussiert sie sich auf die Autorin Michelle McNamara und ihre Recherchen zu dem Straftäter.
Die Besessenheit der Autorin
Die Autorin betrieb seit 2006 den „True Crime Blog“, in dem sie sich mit Verbrechen von Serientätern auseinandersetzte. 2013 veröffentlichte sie im Los Angeles Magazine ihren ersten Text zum Golden State Killer. Sie recherchierte im Netz und vor Ort, durchforstete tausende Fallakten, fuhr an die Tatorte, sprach mit Ermittler:innen und Überlebenden. Die Ergebnisse ihre jahrelangen Recherche wurden im Buch „I’ll Be Gone in the Dark“ im Februar 2018 veröffentlicht – zwei Jahre nach McNamaras Tod und zwei Monate bevor der Täter von der Polizei gefasst wurde.
HBO sicherte sich die Filmrechte und erzählt McNamaras Recherchen nun nach, auch hier kommen ehemalige Ermittler:innen, Betroffene, andere Hobbydetektiv:innen und ihr ehemaliger Ehemann, Schauspieler Patton Oswalt, zu Wort. Zudem werden ehemalige Video- und Podcastaufnahmen von McNamara eingespielt, die zeigen, wie besessen die Autorin von dem Sexualstraftäter und Mörder war.
„Wenn ich in einem ungelösten Fall recherchiere, fühle ich mich wie eine rastlose Ratte in einem Labyrinth auf der Suche nach Futter“, erklärt sie einmal ihre Faszination. Und immer wieder sagt sie: „Ich kann nicht aufhören, ich bin besessen.“ Diese Besessenheit wird jedoch in den ersten zwei für die Presse bereitgestellten Episoden weniger problematisiert als von Interviewpartner:innen glorifiziert.
Politische Einordnung
Die Schilderungen der Betroffenen werden mit dunklen Aufnahmen von leeren Betten mit Teddybären, wehenden Vorhängen und Außenaufnahmen der Tatorte untermalt. Auch hier setzt die Doku auf den Gruselfaktor. Doch immerhin werden die Opfer stärker als der Täter fokussiert, einige von ihnen berichten, dass sie sich im Gespräch mit McNamara wohl und das erste Mal verstanden gefühlt haben.
Richtig stark wird die Doku immer dann, wenn sie politische Einordnungen leistet und der Frage nachgeht, warum gerade in den 70er und 80ern in den USA so viele Wiederholungstäter aktiv waren. Wie wenn erklärt wird, dass Vergewaltigungen damals kein eigener Strafbestand waren, sondern juristisch lediglich als Körperverletzung behandelt wurden. Oder wenn Betroffene vom Victim-Blaiming erzählen, dem sie von ihren Nachbar:innen, Freund:innen oder aber der Polizei ausgesetzt waren.
Ob „I'll be gone in the Dark“ es schafft, den Opfern ein Gesicht zu geben und historisch aufzuarbeiten anstatt typische „True Crime“-Narrative zu verbreiten, lässt sich nach zwei Episoden nicht sagen. Ebensowenig, wie die Recherchen McNamaras am Ende gewichtet und die Arbeit von Hobbydetektiv:innen bewertet werden.
Denn laut des zuständigen Sheriffs Scott Jones in Sacramento hat McNamaras langjährige Arbeit nicht zur Aufklärung und Festnahme des Täters beigetragen. Ihr Ehemann ist da ganz anderer Meinung – der im übrigen als Produzent an der Dokuserie beteiligt ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Der Fall von Assad in Syrien
Eine Blamage für Putin