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Dokumentation„Gefahr droht Diepgen durch den Antes-Skandal“

■ „Personenauskunft Eberhard Diepgen“: Was die Kontaktperson „Schiller“ für das MfS 1986 berichtete (Auszug)

Diepgen [...] hielt seit dem Amtsantritt als Geschäftsführender Landesvorsitzender 1975 und als Fraktionsvorsitzender 1980 mehrere wichtige Positionen des Parteiapparates besetzt. Die Wahlkämpfe 1975, 1979 und 1981 nutzte er zum Ausbau seines organisatorischen und inhaltlichen Einflusses in der Partei aus. [...]

Eine ganze Reihe ehemaliger Kommilitonen aus studentischen Verbindungen und dem RCDS gehören bis heute zu den engsten politischen Freunden Diepgens. Darunter befinden sich: 1. Peter Kittelmann, stellvertretender Landesvorsitzender CDU Westberlin, MdB; 2. Horst Teltschik, außenpolitischer Berater von Bundeskanzler Kohl im Bundeskanzleramt [heute beim Automobil-Unternehmen BMW; d.Red]; 3. Peter Radunski, CDU-Bundesgeschäftsführer [heute Kultursenator; d.Red.]; 4. Klaus-Rüdiger Landowsky, Generalsekretär der Westberliner CDU [heute Fraktionsvorsitzender; d.Red.]; 5. Dr. Detlef Stronk, Chef der Senatskanzlei.

Mit Unterstützung dieser aufstrebenden CDU-Funktionäre sowie weiterer Förderer und unter geschickter Ausnutzung der Machtkonstellation in der Westberliner CDU gelang Diepgen die „lautlose Karriere an die Spitze der Partei“. [...] Es entstand seit den 70er Jahren eine rechts-konservative Gruppierung in der Westberliner CDU, die unter der Bezeichnung „Betonriege“ die Geschicke der Partei zunehmend beeinflußte. Wegen seiner Führungs- und Organisationsrolle wird diese CDU-interne Gruppierung auch als „Kittelmann-Kreis“ bezeichnet. Peter Kittelmann ist seit 17 Jahren 1. Kreisvorsitzender des KV Tiergarten, dem auch Diepgen angehört, dem „Kittelmann-Kreis“ sind neben Diepgen auch Landowsky, Jürgen Wohlrabe (Landesschatzmeister der CDU), zeitweilig auch Gerhard Kunz sowie eine Reihe der 12 Kreisvorsitzenden zuzuordnen. Er übt einen großen Einfluß aus. Wichtige personalpolitische Entscheidungen können demzufolge kaum an ihm vorbei getroffen werden.

Diepgens relativ rascher Aufstieg wurde in nicht unwesentlichem Maße durch den langjährigen Landesvorsitzenden der Westberliner CDU und jetzigen parlamentarischen Staatssekretär beim Bundeskanzleramt und Bevollmächtigten der Bundesregierung in Berlin, Peter Lorenz, gefördert, dessen engster Berater Diepgen schließlich wurde. Persönliche Differenzen zwischen Lorenz und Lummer übertrugen sich auch auf Diepgen, da Lummer durch seine unnachgiebige Haltung lange Zeit seine Funktion als Fraktionsvorsitzender für Diepgen blockierte. Lummer lehnt die „Ellbogenpolitik“ des „Strebers“ Diepgen ab. Auf Grund personalpolitischer Konkurrenz bestehen auch persönliche, in der Öffentlichkeit nicht bekannte Differenzen zwischen Diepgen, Wohlrabe und Liselotte Berger. Beide unterstellten Diepgen finanzielle Motive für seine Wahl in den Bundestag 1980.

Trotz allgemein bestätigter Sachkompetenz gelang es dem Diepgen-Senat in den zurückliegenden zwei Jahren nicht, die gravierenden sozial- und kommunalpolitischen Probleme der Stadt einer Lösung näher zu bringen. Dennoch verstand es der Senat unter Diepgen mittels einer demagogischen Politik, eine Atmosphäre der relativen Beruhigung sozialer und politischer Konfliktstoffe in Westberlin zu erzeugen. [...] Gefahren drohen auch für Diepgen, von der durch den Antes-Skandal ins Rollen gekommenen Enthüllungslawine politisch bedroht zu werden. Diepgens Rechtsklage gegen den Bordellbesitzer Leo Altmann scheint dabei eine Schlüsselrolle zuzukommen. Von Bestechungen, unsauberen Parteispenden scheint Diepgen nicht betroffen. Der Chefredakteur der „Berliner Morgenpost“, Johannes Otto, soll jedoch Diepgen belastendes Material zurückhalten, das sich auf die „Fluchthelfer“-Enthüllung von 1977 bezieht. [...] Bei einer Veröffentlichung könnte Diepgens Position als Regierender Bürgermeister zur Disposition stehen.

Im Januar 1986 zeigten sich bei Diepgen erstmalig Verunsicherungen, hektisches, zum Teil unbeherrschtes Verhalten, das auf eine Führungsschwäche infolge zunehmenden Drucks der Enthüllungen zur Schmiergeldaffäre hindeutet. Er befürchtet eine weitere Zuspitzung dieser Angelegenheit, zumal auch seine größte Stütze in der Partei, Landowsky, unter starkem Druck steht. Diepgens politischer Spielraum zur Klärung der Folgen des Antes- Skandals wurde seit Januar 1986 sowohl innerhalb der Westberliner CDU als auch im Senat eingeschränkt.

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