Dokumentation: Uneingeschränkt lächerlich
■ Post für Henning Scherf: In einem offenen Brief warnt der legendäre Ex-Intendant des Bremer Theaters, Kurt Hübner, Bremens PolitikerInnen vor blindem Banausentum in der Kulturpolitik
Für den Choreographen Hans Kresnik ist er das große Vorbild. Und der Regisseur Peter Zadek sagte anlässlich der Kortner-Preis-Verleihung im Jahr 1991 in seiner Laudatio über ihn, kein Mensch habe in den vergangenen 30 Jahren mehr für das deutschsprachige Theater bewirkt als er. Die Rede ist von Kurt Hübner.
Von 1962 bis 1973 war der inzwischen 83-Jährige Intendant des Bremer Theaters. Damals begründete er den „Bremer Stil“ und holte fast alle Theaterleute, die später Rang und Namen haben sollten, nach Bremen. Jetzt meldet sich Hübner mit einem offenen Brief an Bürgermeister Henning Scherf (SPD) zu Wort und prangert die Bremer Kultur- und Theaterpolitik an.
Er will damit seinen Nach-Nach-Nach-Nachfolger Klaus Pierwoß unterstützen, der seit Monaten auf die Unterschrift unter seinen mündlich längst ausgehandelten Vertrag wartet und in einem Ultimatum gedroht hat, Bremen zu verlassen.
Sehr geehrter Herr Bürgermeister Dr. Scherf!
Von der Situation erfahrend, die das von Herrn Dr. Klaus Pierwoß verantwortlich geleitete Theater der Stadt betrifft, schreibe ich Ihnen diese Zeilen.
Es geht um die im Augenblick gefährdete vielseitige Form. Die neuerlich diskutierten Einschnitte im finanziellen Bereich bedrohen die jetzige und so erwünscht glückliche Struktur der Bühne, die Außerordentliches und Beispielhaftes ermöglicht. Die Vielfalt der künstlerischen Impulse, weit über die Stadt hinaus reichend, soll sie beeinträchtigt werden?
Ein Schildbürgerstreich? Undenkbar! Die entstehende Problematik wäre so beklemmend wie uneingeschränkt lächerlich.
Will sich Bremen an die Seite kultureller Ignoranz stellen, fragwürdige Tendenzen resignativer Politiker imitieren anstatt ihnen die Stirn zu bieten, Engpässe finanzieller Art zulasten der Vielfalt des Theaters unwürdig zukleistern und auf die mobilisierenden Gleichnisse der Bühnenkunst hinsichtlich der Befindlichkeit von Mensch und Gesellschaft in ihren innovativen künstlerischen Spiegelungen und Erscheinungsformen verzichten?
Es wäre so blind wie banausisch, und nichts Vergleichbares böte sich danach an. Weder digitale Zauberkünste noch die den Geist eher verwirrenden denn beflügelnden Arten technischer Surrogate und Tricksereien. Nichts!
Die Haltung des Intendanten zeugt von Hellsicht und Verantwortungsbewußtsein, uneingeschränkt gilt Ihr mein Ja.
Auf Ihre und die der Bremer Senat verantwortlichen Damen und Herren Einsicht vertrauend, grüße ich Sie als einstmaliger Intendant Ihres Theaters und immer noch, so die Sache es will, der alte Kurt Hübner
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen