Dokumentarfilmerin über Nordkorea: „Meine Filme handeln vom Alltag“
Die südkoreanische Regisseurin Sung-Hyung Cho spricht über die Arbeit an ihrem Dokumentarfilm „Meine Brüder und Schwestern im Norden“.
taz: Frau Cho, für SüdkoreanerInnen ist es verboten, nach Nordkorea zu fahren, geschweige denn, dort einen Film zu drehen. Wie haben Sie das geschafft?
Sung-Hyung Cho: Dazu musste ich meine Staatsangehörigkeit ändern. Im August 2012 bin ich Deutsche geworden. Im September des Jahres habe ich das erste Mal Nordkorea besucht.
Als Deutsche konnten Sie sich um die Filmerlaubnis bemühen? Trotz Ihres Namens?
Der Kontakt ging immer über den deutschen Produzenten. Unsere Ansprechpartnerin, die Abteilungsleiterin der staatlichen Filmproduktion Korfilm, hat meinen Namen in unserer Korrespondenz nie erwähnt. Mittlerweile ist unsere Beziehung herzlicher geworden, anfangs waren sie sehr vorsichtig.
Wieso, denken Sie, haben die sich drauf eingelassen? Sie wussten ja bestimmt, dass Sie in Südkorea geboren sind…
Weil ich in Deutschland bin. Ich hatte außerdem das Gefühl, dass die Nordkoreaner den Kontakt ins Ausland suchen. Das Land ist ja extrem isoliert, aber sie scheinen das ändern zu wollen. Außerdem muss das Team für die Drehgenehmigung zahlen, es kommen also Devisen rein. Und vielleicht war das Regime auch ein wenig neugierig darauf, was diese Südkoreanerin machen würde.
Wie sah die Recherche aus?
Wir haben eine Liste mit möglichen Drehorten vorgelegt – die Hauptstadt, eine Hafenstadt und eine ländliche Gegend. Wir wollten Bauern, Fabrikarbeiterinnen, Intellektuelle und kleine Kinder treffen – eben verschiedene Altersstufen und Berufe.
geb. 1966, ist eine südkoreanische Regisseurin und Cutterin. In Seoul studierte sie Kommunikationswissenschaft, danach ging sie 1990 nach Deutschland, um in Marburg Kunstgeschichte, Medienwissenschaften und Philosophie zu studieren. Ihr Dokumentarfilm „Full Metal Village“ über das Wacken-Festival von 2006 erhielt den Max-Ophüls-Preis. Seit 2011 ist Sung-Hyung Cho Professorin für Künstlerischen Film an der Hochschule der Bildenden Künste Saar in Saarbrücken.
Sie zeigen unter anderem einen Kindergarten, in dem kleine Kinder diese Propagandalieder und -tänze lernen müssen, und jugendliche angehende Profifußballer…
Ja, die wurden uns vorgeschlagen, eigentlich wollte ich ein ganz kleines Kind porträtieren, mit der Hoffnung, die Eltern des Kindes irgendwo in der Provinz besuchen zu können. Aber das ging nicht.
Der Treckerfahrer, der darüber sinniert, wie er dem großen Marshall mit seinem Beruf besser dienen kann – haben Sie ihm das geglaubt? Stimmt das?
Das ist schwer zu sagen. Nicht nur, weil die Menschen dort etwas verbergen würden, sondern auch, weil sie eben so früh dazu erzogen werden, sich zu inszenieren. Das ist wie eine zweite Haut, die sich nicht mehr abstreifen lässt. Darum weiß ich nicht, ob ich es als Show wahrnehmen soll oder als Wahrheit. Speziell bei dem Treckerfahrer hat man schon herauslesen können, dass er sich eine Antwort überlegt hat, die er meint, geben zu müssen. Traktor zu fahren ist etwas Besonderes in Nordkorea, ein Privileg. Er sprach auch immer von „meinem Traktor“, obwohl privates Besitztum dort ja nicht erlaubt ist. Ich glaube, er liebt es wirklich, Traktor zu fahren, aber ob er das macht, um dem Führer zu dienen – das weiß ich nicht.
Taten Ihnen die Menschen leid?
Ja. Schon. Auch, weil sie mit uns drehen mussten – sie hatten ja keine Wahl. Aber vor allem wegen ihres Kampfes um die tägliche Existenz, um genug zu essen zu haben und so weiter. Doch das ist mein Blick – ob es für sie auch so schlimm ist, kann ich nicht sagen.
Angeblich dürfen nordkoreanische Frauen nicht Fahrrad fahren…
Das stimmt nicht! Das ist mal wieder ein Fehler in der Berichterstattung. Das Fahrrad ist ja Verkehrsmittel Nummer Eins. Dennoch: Weil der Konfuzianismus so stark in der Gesellschaft verankert ist, sind Männer auf jeden Fall höher gestellt als Frauen. So wie etwa in Saudi-Arabien ist es aber nicht. Es gibt etliche starke Frauen, die auch Machtfunktionen ausüben – die Chefin der Textilfirma, mit der wir gedreht haben, ist zum Beispiel auch diejenige, die immer mit ausländischen Firmen verhandelt.
„Meine Brüder und Schwestern im Norden“. Regie: Sung-Hyung Cho. Deutschland 2016, 106 Min.
Gab es Verbote direkt beim Filmen?
Klar! Produzent und Kameramann verspürten zum Beispiel einmal starke Sehnsucht nach einem Apfel, und im Hotel gab es keinen. Zu unserem Erstaunen haben sich unsere Aufpasser entschlossen, uns einen Gefallen zu tun: Sie sind mit uns im Auto in ein Viertel gefahren, in das Ausländer eigentlich nicht hineinkommen. Dort gab es Wohnblöcke, und in der Mitte standen Baracken. Die Bewohner hatten da Beete angelegt, um etwas Essbares anbauen zu können. An einer Kreuzung haben wir gestoppt, die Aufpasser haben das Fenster runtergekurbelt und von ein paar Tanten und Onkel mit Bauchläden eine Tüte Äpfel gekauft – das war der Schwarzmarkt, den durften wir natürlich nicht filmen. So sind wir auch später an eine Tüte Gebäck gekommen.
Haben die Aufpasser mit Ihnen über Privates geredet?
Nein. Als unsere Zwangsfreundschaft allerdings schon eine Weile bestand, hat eine Aufpasserin erzählt, dass ihre Großeltern aus Busan kommen, woher auch meine Familie stammt. Ich habe dann im Busan-Dialekt mit ihr gesprochen, und sie hat sich wahnsinnig gefreut. Ich war aber geschockt, weil wir Südkoreaner immer gelernt haben, dass es in Nordkorea ein Kastensystem gibt, und dass die Nachfahren von Südkoreanern ganz unten stehen. Aber sie war ja Abteilungschefin, und ihre Schwester leitet mehrere Restaurants – es scheint also Möglichkeiten zu geben, dieses System zu umgehen.
Stimmt es denn, dass Strafe in Nordkorea vererbt wird?
Fakten kann ich dazu nicht liefern, kann es mir aber vorstellen. Das ist nämlich vor allem eine alte gesamtkoreanische Tradition, die Verwandtschaft bis zum achten Grad zu eliminieren, die bestand 500 Jahre.
Sie mussten den Film vor der Veröffentlichung vorlegen. Was hat die Regierung dazu gesagt?
Das Material hatten sie während des Drehs schon gecheckt. Am Film hatten sie zu meinem Erstaunen außer verwackelten Führerbildern nichts zu beanstanden. Es gab im Vorfeld große Aufregung, weil ich den Film kommentieren wollte, anders als angekündigt. Vor diesem Kommentar hatten sie Angst. Ich habe ihnen den Text geschickt, und die Antwort war: „Ich habe herauslesen können, wie du dir den Kopf zerbrochen hast.“
Verstehen die Nordkoreaner die Kritik, die Ironie, die Sie durch Schnitt und Bildauswahl mitgeben, etwa bei diesem Konzert mit Propagandaliedern?
Nein, glaube ich nicht. Außerdem sind sie Schlimmeres gewöhnt.
Die Themen Menschenrechte oder Strafvollzug lassen Sie im Film aus …
Das machen ja viele andere schon, von außen. Aber ich wollte etwas Neues über Nordkorea erfahren. Für mich hilft es den Leuten mehr, wenn ich sie kennenlerne, erfahre, wie der Bauer lebt, wie das Militärsystem funktioniert, dass in nordkoreanischen Fabriken Kleidung für den amerikanischen Markt hergestellt wird – diese Erkenntnisse sind für mich wertvoller.
Aber es gibt dort ja die unmenschlichen Camps, die Atomwaffen.
Die Amerikaner haben die meisten Atomwaffen, danach kommen die Russen. Und es gibt jede Menge Filme über diese Länder, die andere Dinge als Menschenrechtsverletzungen thematisieren. Die meisten Filme über Nordkorea handeln dagegen davon, und sind dazu noch auf Vermutungen aufgebaut.
Es bleiben dennoch Menschenrechtsverletzungen.
Ja, aber es gibt überall Menschenrechtsverletzungen, und meine Filme handeln immer vom Alltag, ich habe noch nie einen politischen Film gemacht. Warum sollte ich das also bei Nordkorea tun? Weil das Land als das absolut Böse angesehen wird? Das Feindbild Nordkorea ist sehr ideologisch geprägt. Wieso berichtet man nicht über die Menschenrechtsverletzungen in Saudi-Arabien?
Das tut man doch. Und, genau wie über Nordkorea, noch viel zu wenig.
Das sehe ich anders! Über Nordkorea wird viel Bullshit verbreitet, ohne die Fakten zu kennen. Solange dieses Feindbild besteht, wird das Land weiter isoliert. Ich denke, wir müssen das Land differenziert betrachten, es auf die Weltbühne holen, damit sich das Regime ändert und es der Bevölkerung besser geht.
Mit dem Diktator Kim Jong Un verhandeln?
Wenn man den Frieden will – warum schließt man keinen Nichtangriffspakt, keinen Friedensvertrag mit Nordkorea? Die Amerikaner weigern sich – warum? Weil die USA ihre Vormachtstellung gegenüber China behalten will. Die USA brauchen Nordkorea als Vorwand für ihre militärische Präsenz in Fernost. Nordkorea will ja immer Zweiergespräche mit den USA, aber die USA sagen Nein. Schrecklicherweise äußert ausgerechnet Donald Trump Interesse. Vielleicht würde er sich gut mit Kim Jong Un verstehen?!
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