piwik no script img

Dokumentarfilm über PJ HarveyAuf Armutssafari

Der Film „A Dog Called Money“ begleitet PJ Harvey bei den Aufnahmen zu ihrem letzten Album. Damit tut sich die Sängerin keinen Gefallen.

Die Musikerin PJ Harvey Foto: Edition Salzgeber

Am Ende tanzen die Bewohner von Ward 7, einer Gegend in Washington, D. C., die man in Deutschland wohl als „Problemkiez“ bezeichnen würde, zur Musik von PJ Harvey. Der Besuch des Viertels hatte Harvey zu ihrem Song „The Community of Hope“ inspiriert – nun klatschen seine Anwohner im Takt eines Stücks, in dem sie „Zombies“ genannt werden.

Zur Recherche für ihr 2016 veröffentlichtes Album „The Hope Six Demolition Project“ reiste die britische Musikerin gemeinsam mit dem Fotojournalisten und Filmemacher Seamus Murphy in das Kosovo, die US-Hauptstadt und nach Afghanistan, um sich auf die Spuren von Leid und Krieg zu begeben. Dem Album vorausgegangen war der Foto- und Gedichtband „The Hollow of the Hand“. Drei Jahre später erscheint mit „A Dog Called Money“ ein Dokumentarfilm, der Harvey bei der Entstehung des Albums begleitet. Reisesequenzen wechseln dabei mit Szenen von den Aufnahmen in London, aus dem Off rezitiert die Künstlerin Gedichte.

Harvey ist bekannt als politisch sensible Person: In den 90ern machte sie sich einen feministischen Reim auf das notorische Männergenre Bluesrock, 2011 nahm sie mit „Let England Shake“ ein kluges, einnehmendes Album über Großbritanniens Geschichte und Gegenwart auf. Aber schon zur Veröffentlichung von „The Hope Six Demolition Project“, von vielen gelobt als ambitioniertes Werk und musikalischer Triumph, erntete sie Kritik für ihre Arbeitsweise: Zum Beispiel vom Washington-Post-Journalisten Paul Schwartzman, der Harvey und Murphy in seinem Auto durch D.C. kutschiert hatte, ohne zu wissen, wen er da vor sich hatte. Und ohne sein Einverständnis einzuholen, dass man ihn recht ausgiebig zitieren würde.

Auch aus der Community von Ward 7, deren Viertel Harvey auf der Platte als Vorhof zur Hölle zeichnet, kam Einspruch: Ganz schön harsche Worte nach einem Kurzbesuch, fanden die „Zombies“.

Der Film

„A Dog Called Money“. Regie: Seamus Murphy. Irland/Großbritannien 2019, 90 Min.

Nun ist Harvey Künstlerin und keine Reporterin, einen dezidiert subjektiven Zugriff auf ihren Stoff darf sie sich erlauben. Mindestens fragwürdig ist es aber, sich so demonstrativ als Feldforscherin in Szene zu setzen wie Harvey, seine Protagonisten aber in erster Linie als ästhetisch interessantes Material zu betrachten. Wir sehen Straßenszenen aus Kabul, Ziegen vor Baracken, betende Kosovaren und zweifelsfrei spektakuläre Landschaftsbilder, vor allem aber immer wieder: Harvey, wie sie betroffen durch Abrisshäuser und über Märkte streift.

Ins Gespräch kommt sie nur mit ein paar Jungs in Washington; ihre afghanischen Protagonisten dürfen traditionelle Instrumente spielen und eindrücklich in die Kamera gucken. Das ergibt „World Press Photo of the Year“-würdige Stills, aber keine echte Auseinandersetzung mit den Schauplätzen ihrer Stücke.

Weder Murphy noch Harvey scheint es an irgendeinem Punkt schräg vorgekommen zu sein, auch noch filmisch offenzulegen, wie eine Gruppe weißer, etablierter Musiker die Eindrücke einer Armutssafari in ihren schützenden vier Studiowänden verarbeitet. „A Dog Called Money“ erzählt also nicht nur davon, dass man manchmal lieber nicht erfahren sollte, wie fantastische Alben entstehen – sondern durchaus auch von globaler Ungleichheit. Nur eben anders, als die Künstlerin es vermutlich im Sinn hatte.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Ist eine Binsenweisheit, die sich aus den 70igern des letzten Jahrhunderts herübergerettet hat, das gute Kunst "engagiert" sein muss.

  • Ich habe den Film gerade gesehen und kann der Autorin dieses Artikels in vielen Punkten zustimmen.



    Nur einen Aspekt würde ich noch gern ergänzen: die gezeigten Menschen in Afghanistan, im Kosovo und in Washington D.C. sind aus meiner Sicht auch als selbstbewusste Musiker*innen bzw. Künstler*innen aufgetreten, was der stereotypen Darstellungsweise (in der sie eher als passive Opfer gezeigt werden) entgegen tritt. Das halte ich dem Film, trotz der nachvollziehbaren Kritik, zugute.

  • "The Hope Six Demolition Project" ist ein Jahrhundert-Album.

    Was immer P.J. Harvey im Entstehungskontext umgetrieben hat, ob das alles möglicherweise nicht 100prozentig p.c. war, ist mir ehrlich gesagt egal.