Dokumentarfilm über Noise-Band Swans: Monumente aus Schall
Heilige Ekstase: Der Dokumentarfilm „Swans – Where Does a Body End?“ feiert die Geschichte der mutmaßlich lautesten Band der Welt.
Englisch ist eine hundsgemeine Sprache. Selbst wenn man eine solide allgemeine Vorstellung davon hat, wie ihre Laute zu bilden sind, scheitert man immer wieder am einzelnen Wort. Beim Namen des Kopfs der US-amerikanischen Band Swans etwa, Michael Gira, verleitet einen der Nachname im Deutschen meist, diesen mit „Dscheira“ wiederzugeben, Betonung auf der ersten Silbe, passt ja auch zu „Michael“. Ist aber völlig falsch.
Im Dokumentarfilm „Swans – Where Does a Body End?“ von Marco Porsia erfährt das Publikum ziemlich zu Beginn aus dem berufenen Mund von Giras Weggefährten, dem Musiker Thurston Moore, dessen Band Sonic Youth mit den Swans in den Achtzigern eng befreundet war: Man spricht Gira vielmehr „Dschürah“, auf der zweiten Silbe betont.
Swans, nicht etwa The Swans, haben unter den vielen Underground- und Noise-Bands der achtziger Jahre einen besonderen Ruf als Extremmusiker erlangt. Zu Beginn der Dekade machten sich die New Yorker als langsamste und lauteste Band weit und breit einen Namen. Ihr martialisch hämmernder Stil mit Michael Giras Schreien als Ersatz für Gesang war ziemlich einzigartig.
Hässliche Klänge für hässliche Zeiten, so in etwa ist der erzählerische Rahmen für den idiosynkratischen Swans-Stil, den der Cutter Marco Porsia in seinem Regiedebüt wählt. Da ist zum einen das „Kriegsgebiet“ des East Village von New York, dessen Ruinenlandschaften um 1980 zu den beeindruckendsten Bildern des Films gehören: abrissreife Ruinen, umgeben von großzügigen Baulücken, aus der Luft gesehen, Standbilder mit Drogenabhängigen auf dem Fußweg neben Hauseingängen. Und dann die Bilder aus Giras Wohnung, ein Loch, das nebenbei als Probenraum diente.
Überfälle und Verletzungen
Der südliche Osten Manhattans war damals gefährlich. Gira selbst erzählt von Überfällen, deren Opfer er wurde. Zahlreiche seiner Mitstreiter bekunden in Einschätzungen von heute, dass Gira von Erfahrungen wie diesen geprägt wurde, seine Wut als Musiker ein Ventil für die eigenen Verletzungen war. Zumal er schon als Kind schwer traumatisiert war. Die Mutter Alkoholikerin und überfordert mit der Erziehung ihres Sohns, fiel dieser schon als Jugendlicher bei der Polizei durch Drogenkonsum und Kriminalität auf.
Giras Vater, der in Paris lebte, holte ihn irgendwann nach Europa, steckte ihn in ein Schweizer Internat. Von dort riss der wenig begeisterte Zögling mit einem Mitschüler per Anhalter Richtung Israel aus, besorgte sich in einem Kibbuz Marihuana, das er in Jerusalem verkaufen wollte. Und landete mit 16 Jahren in einem Gefängnis für Erwachsene.
All diese haarsträubenden Details aus der Geschichte Giras und seiner Band dokumentiert Porsia ausführlich, was als Geschichte spannend genug ist. Hinzu kommen Ausschnitte von Konzerten der Band aus ihren diversen Inkarnationen: Gira hatte die Band in den Neunzigern aufgelöst, weil er Stillstand fürchtete. 2010 gründete er die Band neu, mit fast vollständig neuen Musikern. 2017 erklärte Gira auch diese Besetzung für erledigt, seitdem wählt er von Projekt zu Projekt handverlesene Musiker aus.
Porsia verschweigt nicht, dass Gira allem Anschein nach eine Person ist, mit der es sehr schwierig ist, zusammenzuarbeiten. In einer Szene kommt der Gira von heute sogar selbst auf seine fehlenden Führungsqualitäten zu sprechen. Ebenso wenig verschweigt er Drogenprobleme und deren Auswirkung auf seine Beziehung zur Sängerin Jarboe.
„Swans – Where Does a Body End?“. Regie: Marco Porsia. Kanada 2019, 124 Min.
Diese stieß in der zweiten Hälfte der Achtziger zur Band hinzu und beeinflusste deren Stil radikal – bis hin zu Giras Versuchen, annäherungsweise zu singen. Dass sich Gira vor vier Jahren auch mit Vergewaltigungsvorwürfen konfrontiert sah, thematisiert der Film hingegen nicht.
Heilige Ekstase
Stattdessen werden ehemalige Swans-Musiker, Musikerkollegen und Journalisten vor die Kamera gebeten, um zu Protokoll zu geben, wie großartig die heilige Ekstase ihrer Musik ist. Zugegeben, ihre monumental-dringliche Wucht ist eine recht existenzielle Sache. Das Beschwören dieser Erfahrung kann jedoch kein Konzert der Swans ersetzen. Da hätten längere Szenen von ihren Auftritten wohl mehr bewirkt.
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