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Doku über Terrornetz „Islamischer Staat“Zwei, die es wissen müssen

Die Doku „Die Heimkehr“ sollte das letzte Kapitel der Terrorgruppe „IS“ zeigen – und ist nun aktueller denn je. Dienstagabend ist sie im NDR zu sehen.

Oliver N. hat für den „IS“ gekämpft und saß dafür zwei Jahre im Gefängnis Foto: NDR Fernsehen

Als der NDR vor einigen Wochen den Dokumentarfilm „Die Heimkehr – Leben nach dem Terror“ ins Programm nahm, konnte er nicht davon ahnen, dass er bei der Ausstrahlung aktuell sein wird. In der Programmankündigung heißt es: „Mehr als 5.000 junge Europäer sind für den IS in einen fremden Krieg gezogen.“ Der Film beschäftige sich „mit dem letzten Kapitel dieses grausamen Stücks Zeitgeschichte: der Rückkehr und Reintegration von Ex-Terroristen in unsere Gesellschaft“.

In der vergangenen Woche hat sich allerdings gezeigt, dass die Endphase der Geschichte der Terrormiliz „Islamischer Staat“ noch nicht erreicht ist. Die Organisation hat den Anschlag von Wien, bei dem ein islamistischer Terrorist vier Menschen ermordete, für sich reklamiert. Manchmal können sich die Rahmenbedingungen für die Ausstrahlung eines Film komplett ändern.

Für „Die Heimkehr“ haben die Filmemacherinnen Mariam Noori und Lisa Maria Hagen mehrere Jahre recherchiert. Ihr Dokumentarfilm hat zwei Protagonist*innen: Das Leben der in Hamburg beheimateten Meral Keskin ist komplett aus den Fugen geraten, nachdem sie aus einer nur bedingt verlässlichen Quelle erfahren hat, dass ihr jüngerer Bruder Ferhat, der 2014 nach Syrien gegangen ist, um sich dem IS anzuschließen, mittlerweile tot sei.

Aber weil sie keine Gewissheit hat, fängt sie an zu recherchieren, und bei dieser Suche begleitet sie der Film. Ihr Bruder sei das „Nesthäkchen“ gewesen, sagt Merat, und „nach dem Tod meiner Mutter war ich wie eine Mutter für ihn“. Deshalb „gibt sie sich auch selbst die Schuld“ für das, was passiert ist.

Der Rückkehrer

Die Doku

„Die Heimkehr – Leben nach dem Terror“, NDR, 0.00 Uhr (in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch)

Der Protagonist der Parallelgeschichte ist der Österreicher Oliver N., der sich ebenfalls 2014 als 16-Jähriger für den Weg in den Terror entschieden hat und nach seiner Rückkehr nach Wien zweieinhalb Jahre im Gefängnis saß. Erstmals habe sich ein IS-Rückkehrer „aus dem Schatten der Anonymität“ gewagt, sagen die Filmemacherinnen. Oliver N. sagt an einer Stelle: „Ich weiß nicht, wie viele Leichen ich gesehen habe: 50?“ Viele dieser Leichen wurden von seinen damaligen Gesinnungsgenossen verstümmelt. Er selbst „habe niemanden verletzt“, sagt er. „Aber beweisen kann ich’s nicht.“

Als Meral Oliver auf einem Foto einer Gruppe entdeckt, die IS-intern unter dem Name „deutsche Einheit“ bekannt war und der auch ihr Bruder angehörte, versucht sie, Kontakt mit dem Österreicher aufzunehmen – in der Hoffnung, auf diesem Wege etwas über ihren Bruder zu erfahren. Oliver ist aus der Gruppe „der Einzige, der es geschafft hat“, wie er selbst sagt. Zunächst meldet sich der Angeschriebene nicht bei Meral, nach der zweiten Kontaktaufnahme kommt aber ein Treffen zustande.

Noori und Hagen gelingt in „Die Heimkehr“ auch dank zwei sehr reflektierter Pro­ta­go­nist*innen, die einen bemerkenswert tiefen Blick in ihre Scham- und Schuldgefühle zulassen, die Balance zwischen einem komplexen zeitgeschichtlichen Thema und sehr persönlichen Geschichten.

Die Autorinnen arbeiten dabei auch eine so krasse wie beredte Parallele zwischen Merals Bruder und dem überlebenden Ex-Terrorkämpfer heraus: Beide mochten Hunde sehr, aber weil sie glaubten, das nicht mit ihrer Religionsauffassung vereinbaren zu können, änderte sich ihre Haltung plötzlich. „Da merkte ich, da stimmt was nicht“, sagt Meral. Und auch ein ehemaliger Betreuer aus Olivers WG sagt, es sei für ihn „ein Alarmsignal“ gewesen, dass dieser seinen Hund weggeben habe.

Am Ende des Films sieht man Oliver, der dem Terror abgeschworen, aber sich nicht vom Islam verabschiedet hat („Der Islam, wie ich ihn heute lebe, und der Islam von damals sind für mich zwei ganz unterschiedliche Religionen“), in einem Irrgarten – vermutlich bei einem Besuch auf dem Hamburger Dom, nach seinem Treffen mit Meral. Es ist ein treffendes Bild für den Zustand des Ex-Terroristen, der noch dabei ist, sich neu zu orientieren im Leben.

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