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Doku über BoatengBoateng gefällt's

Aus der Karriere als Trainer beim FC Bayern wirds vorläufig nichts für Jerôme Boateng. Dafür schenkt ihm die ARD eine unkritische Doku.

Szene aus der Dokumentation Being Jérôme Boateng

Ex-Nationalspieler Jérôme Boateng will zurück ins Rampenlicht. Eine Hospitanz als Trainer-Lehrling beim FC Bayern scheiterte jüngst am Protest der Fans. Doch nun verhilft ihm die neue, dreiteilige ARD-Dokumentation „Being Jérôme Boateng“ zu einem medialen Comeback. Warum bekommt jemand bei seinen alten Fans keine Bühne – dafür aber bei der ARD?

Jérôme Boateng hat als Fußballer alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt: Deutsche Meisterschaft, DFB-Pokal, Champions League, Weltmeisterschaft. Gelitten hat sein Ruf, als Boateng wegen vorsätzlicher Körperverletzung gegenüber seiner Ex-Freundin, die auch Mutter seiner Töchter ist, verurteilt wurde.

Dieses Leben zwischen Nationalheld und Gewalttäter haben sich nun drei Journalistinnen der ARD mit dem expliziten Ziel einer differenzierten Darstellung vorgenommen. „Being Jérôme Boateng“ beginnt als klassische Heldenreise. In seiner Heimatstadt Berlin gelingt Boateng der Durchbruch zum Bundesligaspieler. Seit seiner Jugend schlägt dem Sohn einer Deutschen und eines Ghanaers Rassismus entgegen. Perfiderweise wird Boateng mit steigendem Bekanntheitsgrad zu einem beliebten Integrationssymbol, obwohl er in Deutschland geboren ist.

So weit, so nuanciert. Doch schnell stößt die Dokumentation an ihre Grenzen. Ihr größtes Problem heißt Jérôme Boateng, der ohne kritische Nachfragen interviewt wurde. Dafür wurde mit Experten und Wegbegleitern gesprochen, etwa Cathy Hummels. Merkwürdig verdruckst gibt sie ihre Sicht auf die Beziehung zwischen Boateng und der Mutter seiner Töchter, Sherin S. zum Besten: „Ich glaube bei der Beziehung der beiden, da muss man nicht alles verstehen. Sie hat immer gesagt: ‚Weißt du, in Berlin, da ist das so‘“. Angesichts der Tatsache, dass Boateng wegen Körperverletzung an seiner Ex-Partnerin verurteilt wurde, ist das reichlich geschmacklos.

Darstellung von Täterschaft

Man kann den Macherinnen nicht vorwerfen, eine einseitige Darstellung im Sinn gehabt zu haben. Vielmehr entsteht der Eindruck, dass ihnen die Thematik von Täterschaft und journalistischer Verantwortung entglitten ist. Das wird vollends sichtbar, als „Being Jérôme Boateng“ in den letzten zwanzig Minuten auf den vermutlich dunkelsten Fleck in Boatengs Biographie zu sprechen kommt.

Ex-Freundin Kasia Lenhardt, Model und Influencerin, nahm sich 2021 das Leben. Dem Suizid waren ein diffamierendes Interview von Boateng in der Bild und daran anschließend eine beispiellose Internet-Hetzjagd vorausgegangen. Auch in dieser Beziehung standen Vorwürfe der Gewalt im Raum, die Staatsanwaltschaft ermittelte seit 2019. Das Verfahren wurde 2025 mangels ausreichender Beweise eingestellt – auch, weil die mutmaßlich Geschädigte sich das Leben genommen hatte und nicht mehr als Zeugin aussagen konnte.

Boateng kommt in der Dokumentation mit einem lapidaren Statement davon: „Was mir wichtig ist zu sagen, ist, dass ich Kasia sehr geliebt habe. Wir waren sehr glücklich und es hat sich leider nicht so entwickelt, wie wir uns beide das vorgestellt haben“. Einzig das Bild-Interview bezeichnet er als Fehler.

Diese unhinterfragte Darstellung legt offen, dass es noch keinen gesellschaftlichen Konsens über den Umgang mit männlichen Gewalttätern gibt. Gerade im Fall von Gewalt in Partnerschaften ist die juristische Aufarbeitung schwierig, meist steht Aussage gegen Aussage. Eine journalistische Auseinandersetzung, wie sie etwa der Spiegel mit einem Podcast über „Die Akte Kasia Lenhardt“ geleistet hat, ist dort umso wichtiger. „Being Jérôme Boateng“ streift diesen Podcast, ignoriert jedoch seine Erkenntnisse über die mutmaßlichen Gewalttaten Boatengs, etwa ein ausgerissener Ohrring, Hämatome und Erpressung.

Als das Wort „Resozialisierung“ fällt, wird es endgültig absurd. Es entsteht der Eindruck, Boateng habe einen Gefängnisaufenthalt hinter sich, dabei hat er nur in der unbedeutenden österreichischen Liga gespielt. Dass es einer ernsthaften Aufarbeitung und schließlich auch der Reue des Täters und Verantwortungsübernahme statt schale Mitleidsbekundungen bedarf, scheint bei der ARD noch nicht angekommen zu sein. Die Fans des FC Bayern sind da schon weiter. Ihre Forderung „Keine Bühne für Täter“ hätte man sich bei der ARD zu Herzen nehmen können.

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2 Kommentare

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  • Ich denke schon, dass eine Art Resozialisierung etwas ist, was Boateng anstreben könnte und sollte. Fußballkönnen hat mit Partnerschaftsfähigkeit nichts zu tun. Ohne die Doku gesehen zu haben: Wollte mensch hier diese womöglich niederschreiben?

    • @Janix:

      Ich bin sehr im Zwiespalt. Jeder sollte eine Chance auf Resozialisierung bekommen.

      Wenn ich diesen Artikel lese taz.de/Jerme-Boate...indemann/!6080573/ kann ich sein Fehlereingeständnis in keinster Weise glauben.



      So was zeigt genau null Einsicht und meiner Meinung nach entschuldigt er sich aus rein opportunistischen Gründen. Ich weiß nicht, wann die Doku gedreht wurde. Das Foto stammt von Ostern.



      Ich bin fassungslos, dass ich so eine Doku bezahlen muss.



      Danke noch an die Bayern-Fans, und das fällt mir als Lautrerin extrem schwer zu sagen.