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Doku „Girl Gang“ über junge In­flu­en­ce­r*in­nenLeben für die Vermarktbarkeit

Susanne Regina Meures folgt in „Girl Gang“ einer Influencerin. Sie beleuchtet ein Phänomen, das den Zeitgeist auf die Spitze treibt.

Ist im Alltag eigentlich meistens gestresst: Leonie in „Girl Gang“ Foto: Rise and Shine Cinema

Die Frage, was ein gutes Leben ausmacht, hat über die Denkgeschichte hinweg ganz unterschiedliche Antworten zutage gefördert – ohne einen universal anzuerkennenden Lösungsansatz hervorzubringen. Wohl auch deswegen, weil das damit verbundene Glück eine sehr subjektive Angelegenheit und somit nicht allgemeingültig definierbar ist.

Die Welt, in die „Girl Gang“ eintaucht, vermittelt einen konträren Eindruck. In ihr scheint sich durchaus bemessen zu lassen, wie gut ein Leben ist. Glück kann offenbar in numerische Werte übersetzt werden. Die Quantifizierung eines Daseins ist eigentlich die angestammte Sphäre der Dystopie. Man denke nur an literarische Klassiker wie Aldous Huxleys „Schöne neue Welt“ oder Sci-Fi-Filme wie „Gattaca“.

Susanne Regina Meures („Raving Iran“) aber hat einen Dokumentarfilm gedreht. Er erkundet den Influencer-Kosmos und seine Spielregeln. Die besagen, dass wer besonders authentisch wirkt, die größte Community hinter sich versammeln kann. Authentizität, das wird schnell klar, ist ein Trugbild. Tatsächlich belohnt wird, wer besonders viel Aufwand in die authentisch anmutende Aufführung eines Lebens steckt, das ausnahmslos glücklich erscheint.

Eine recht schale Perfektion

Wobei hier unter Glück eine recht schale Perfektion zu verstehen ist. Im Hinblick auf die Erfüllung von aktuellen beauty standards, etwa eine angesagte Garderobe, und eine aufregende Freizeitgestaltung. Je gekonnter diese zum Glück nach hedonistisch-konsumistischen Maßstäben uminterpretierte Makellosigkeit in den sozialen Medien präsentiert wird, desto mehr Menschen scheinen daran teilhaben zu wollen. Like- und Follower-Zahlen fungieren als eine Art Anzeiger für ein gutes Leben.

Über drei Jahre hinweg hat die Regisseurin die zu Beginn 14-jährige Leonie aus Berlin, im Netz als „Leoobalys“ bekannt, mit der Kamera begleitet. Auf Tiktok und Instagram folgen ihren Accounts mittlerweile über 1,5 Millionen Menschen. Nach der Logik der Influencer-Welt muss Leonie also eine überaus seltene Erscheinung sein: eine Pubertierende, die richtig glücklich ist.

Dass dem so ist, davon ist die zum Start der Dreharbeiten 13-jährige Melanie aus Bayern überzeugt. „Leos Leben ist einfach perfekt“, sagt sie als eine weitere Protagonistin des Films, die Meures über den gleichen Zeitraum begleitete. Sie zählt sich zu den größten Bewunderinnen von Leonie, betreibt sogar einen Fan-Account, der der nur unwesentlich älteren Influencerin gewidmet ist. Bis zu 17 Stunden verbringt sie täglich am Handy, um nichts von ihrem Idol zu verpassen und Inhalte zu produzieren, die sich um „Leoobalys“ drehen.

Während der etwa anderthalbstündigen Spielzeit zeigt sich allerdings, mit wie vielen Entbehrungen Leonies Alltag verbunden ist, wie viel Zeit und Planung es wirklich braucht, um „Content“ zu kreieren. Und wie wenig Platz für Freunde bleibt, wie wenig Raum solchen Aktivitäten vorbehalten ist, denen sie nur nachgeht, um Spaß daran zu haben – ohne dabei „instagrammable“ zu wirken, ohne dass alles um sie herum zur Kulisse für ihre Social-Media-Erzählung wird.

Gestresst, gereizt und zornig

Da überrascht es kaum, dass die Jugendliche in den meisten Sequenzen des Dokumentarfilms gestresst, gereizt, mitunter sogar zornig wirkt. Meures zeigt sie hauptsächlich mit ihren Eltern, Andreas und Sani, die das Management ihrer Tochter übernommen haben. Die Gespräche zwischen den Dreien drehen sich vor allem ums Geschäft. Ständig wird die Jugendliche ermahnt, dass sie sich noch um einen Post für Auftraggeber XY – darunter Kosmetikhersteller, Schuh- und Bekleidungsmarken sowie eine Fastfood-Kette – kümmern müsse.

„Girl Gang“ arbeitet mit Kommentaren aus dem Off, in denen die Eltern in verschiedenen Kontexten beteuern, dass sie der Tochter bei der Verwirklichung ihres Traums helfen wollen. Der Eindruck, dass es in erster Linie darum geht, möglichst viel Geld mit Werbepartnerschaften zu verdienen – durchaus auch um Leonies Zukunft zu sichern –, stellt sich dennoch ein. Dass Leonie von mehr träumen könnte als einem diffusen Gefühl von Ruhm, hingegen nicht. Eine Botschaft, jenseits von Kaufempfehlungen, vermittelt sie auf ihren Kanälen jedenfalls kaum.

Würde Meures eine bloße Randerscheinung betrachten, könnte man „Girl Gang“ mit einem gewissen Erstaunen über ein skurriles, abseitiges Phänomen folgen. Leonie ist aber nur eine von vielen ihrer Art, die Zusammenarbeit mit Influencern längst zu einer der beliebtesten Werbeformen avanciert, insbesondere für sogenannte „Lifestyle-Marken“.

So ermöglicht der Dokumentarfilm einen seltenen Einblick in die Abläufe einer Welt, die Ausdruck eines neoliberalen Zeitgeistes ist. In eine Welt, in der er auf die Spitze getrieben wird, sich quasi in Reinform präsentiert. Schließlich leben Influencer davon, sich im Alltag nahezu lückenlos in einer Weise zu verhalten, die ihren Marktwert – ausgedrückt in Follower- und Like-Zahlen – steigert. Damit wird beinahe jeder Bereich des eigenen Lebens ökonomischer Verwertbarkeit untergeordnet.

„Girl Gang“ ist daher nicht nur ein aufschlussreicher, sondern auch ein bestürzender Film. Gerade in Szenen, die verdeutlichen, welche Begeisterungsstürme Influencer wie Leonie, die letztlich nicht viel mehr als Werbung und damit einhergehende Aufforderungen zur Selbstoptimierung anzubieten haben, auslösen können. Einmal ist die Jugendliche bei einem Auftritt in einem Einkaufszentrum zu sehen. Die Menge kreischender, in Tränen aufgelöster junger Fans droht allein durch ihren Anblick außer Kontrolle zu geraten. Die religiös anmutenden Choräle, mit denen der Film unterlegt ist und die zu Beginn deplatziert wirken, ergeben plötzlich Sinn.

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3 Kommentare

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  • Ich bin ja eigentlich für Selbstoptimierung und denke auch, dass Social Media nicht ungesund sein muss.



    Bis zur Mitte des Textes dachte ich dann auch, na gut, das Mädchen hat ein Hobby, lasst es doch.



    Dann kam aber der große Schlag in den Magen: Die Eltern machen aus dem Hobby der Tochter einen Beruf! Statt sie zu ermahnen, das alles nicht zu ernst zu nehmen, ihre Wohlfühlgrenze zu kennen (und aufzuhören, wenn das Wohlfühlen in Stress umschlägt), achtsam mit Social Media umzugehen, wird sie noch im Stress bestärkt!

    Grundsätzlich denke ich nicht, dass jeder "eine Botschaft" braucht. Man kann sich einfach in dem Darstellen, was einem Spaß macht, was einem wichtig ist und damit andere Menschen mit seiner Begeisterung anstecken (oder mit seinen Ideen inspirieren). Das wäre für mich Social Media. Man holt sich Anregungen, wieder mehr Sport zu machen, gesünder zu essen oder mal das Töpfern als Hobby auszuprobieren.

    Zu denken geben sollte schon, wenn man andere Menschen als Sinnstifter heranzieht. Natürlich freut man sich, wenn man jemanden live sieht, den man sonst nur aus dem Internet kennt und den man bewundert. Das ist ja nichts Schlimmes. Die Botschaft bei Instagram hatte ich immer so interpretiert: "Das kannst du auch". Also: Die einfachen Dinge, die ich dir zeige, die mein Leben schön machen, kannst du selbst umsetzen: Sport treiben, gesund und lecker essen, raus gehen, dich schön anziehen etc.

    Medienkompetenz wäre es dann für mich, wenn seitens der Eltern vermittelt würde: "Überlege dir, was dir gut tut, höre auf, wenn es dich stresst, möchtest du dies wirklich, bist das wirklich du?"

    • @BlauerMond:

      Ich nehme die Socialmedia auswirkungen auf Kinder eher so auf, dass sie sich häufig nicht aufgefordert fühlen ("Das kannst Du auch"), sondern eher resignieren und nur ansehen was andere können: Es gibt immer viele, die es ohnehin schon unendlich viel besser können. Es lohnt sich also gar nicht zu lernen, man guckt sich einfach die anderen an.

  • Naiv - wer anderes erwartet hätte •