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Dmitri Muratow über den Fall Chodorkowski"Die Oligarchen sind fetter geworden"

Das Urteil im Prozess gegen den russischen Ex-Ölmilliardär Michail Chodorkowski verzögert sich. Das gibt Hoffnung, meint der Chefredakteur der "Nowaja Gaseta".

"Wir haben auch gar nicht so viele fähige junge Juristen": Michail Chodorkowski hinter Gittern. Bild: dapd
Klaus-Helge Donath
Interview von Klaus-Helge Donath

taz: Herr Muratow, was für ein Urteil erwarten Sie im Prozess gegen Chodorkowski?

Dmitri Muratow: Das weiß nur Richter Wiktor Danilkin. Mein Gefühl sagt mir aber, dass er unter dem von der Staatsanwaltschaft geforderten Strafmaß bleibt. Die verlangt vierzehn Jahre, von denen die bereits abgesessenen acht Jahre abgezogen werden. Bleibt das Gericht bei acht Jahren, könnte Chodorkowski nächstes Jahr entlassen werden. Auch nicht ausgeschlossen ist, dass Chodorkowski und Lebedew ein Gnadengesuch stellen und Präsident Medwedjew dem stattgibt. Das wäre aber kein Schuldeingeständnis.

Sie haben beide Prozesse genau verfolgt. Wodurch unterscheiden sich die Verfahren?

Entscheidend ist die unterschiedliche gesellschaftliche Wahrnehmung des Prozesses. Im ersten Verfahren glaubte die Bevölkerung den Machthabern, die so taten, als würden sie den Kampf mit den Oligarchen aufnehmen. Heute ist klar, nicht die Oligarchen waren der Gegner, sondern die eigenständig denkenden Bürger. Die Oligarchen sind mit den Jahren noch fetter geworden. Dafür sind sie auch bereit, die Vorgaben der Machthaber zu erfüllen. Der Prozess belegt, dass er politisch motiviert und der Straftatbestand nur ein Vorwand ist.

Vor seinem Amtsantritt hat Präsident Dmitri Medwedjew den Rechtsnihilismus in Russland scharf gegeißelt. Wie verträgt sich diese Einstellung mit der fabrizierten zweiten Anklage gegen Chodorkowski?

Die Verfolgung Lebedews und Chodorkowskis begann vor Medwedjews Zeit. Damals war er Chef der Präsidialadministration und äußerte sich bereits skeptisch zum Verfahren. Er hat das Erbe Präsident Putins übernommen.

dpa
Im Interview: 

Dmitri Muratow ist seit 1995 Chefredakteur der Nowaja Gaseta. Das Blatt entwickelte sich zum Flaggschiff des unabhängigen russischen Journalismus. Investigative Artikel der 2006 ermordeten Journalistin Anna Politkowskaja über den Tschetschenienkrieg verschafften der Zeitung weltweit Anerkennung. Der 49-jährige Muratow und das Kollektiv der Nowaja wurden für ihre Zivilcourage mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnet, u. a. auch dem Preis der Henry-Nannen-Stiftung.

Seit 2006 gehört auch der frühere sowjetische Präsident Michail Gorbatschow zu den Herausgebern. Er hält 10 Prozent der Aktien, 39 Prozent erwarb der aufsässige Oligarch Alexander Lebedew.

Bei der Bekämpfung des Rechtsnihilismus war er also nicht gerade erfolgreich?

Einige Verbesserungen sind zu erkennen. Ein Teil der Richterschaft hat begriffen, dass er nach der Verfassung unabhängig ist. Vor Kurzem war das noch undenkbar. Zugegeben, viele Richter sind es noch nicht. Rechtsnihilismus bei uns bedeutet, Recht wird nach Interessen gesprochen. Binnen einem Jahr ist das nicht zu ändern. In Frankreich wechselte de Gaulle an einem Tag die gesamte Richterschaft aus und setzte im Interesse einer unabhängigen Judikative frische Juraabsolventen ein. Bei uns ist nichts passiert, wir haben auch gar nicht so viele fähige junge Juristen. Kluge Richter können die Signale des Präsidenten aber empfangen. Der Vorsitzende des Verfassungsgerichts, Waleri Sorkin, warnte dieser Tage, dass das Verbrechen auf dem Vormarsch sei, weil es keine objektiven Gerichte gebe.

Die 90er Jahre gelten in Russland als eine Zeit der Anarchie. Ist es jetzt anders? Wie steht es im Vergleich zu damals um den Rechtsstaat heute?

Leider sind Gerichte nicht für jeden zugänglich. Klagen werden oft nicht angenommen, der Amtsschimmel wütet, Prozesse und Urteile ziehen sich über Jahre hin. In Straf- und zivilrechtlichen Prozessen sind die Urteile aber meistens gerecht, wenn auch ungerechtfertigt hart. Bei Wirtschaftsdelikten orientieren sich die Gerichte an den Vorgaben von Staatsanwaltschaft und Ermittlungsbehörden. Wie im Fall Chodorkowski. Meist stehen hinter den Verfahren Eigentumsinteressen. Beamte werden geschmiert, damit sie einen Konkurrenten ausschalten. Oft strengen Polizei und Staatsanwaltschaft die Prozesse an, weil sie sich ein florierendes Geschäft selbst unter den Nagel reißen wollen. Ich kann Dutzende Fälle aufzählen, in denen dieselben Leute aus dem Innenministerium im Schulterschluss mit Staatsanwaltschaft und anderen Ordnungshütern Menschen eingebuchtet haben, weil sie nach deren Vermögen trachteten.

Falls Chodorkowski eine lange Haftstrafe erhalten sollte: Was für ein Signal wäre das?

Ein Geschworenengericht würde Chodorkowski hundertprozentig freisprechen. Fällt die Strafe höher aus, beweist dies erneut, dass die politische Klasse die Justiz im Würgegriff hält.

Wird der Ausgang des Prozesses ihrer Meinung nach Auswirkungen auf die Beziehungen zum Westen haben?

Der Westen spricht von Menschenrechten, zeichnet Journalisten und Menschenrechtler aus. Gleichzeitig ist er zu dem Schluss gelangt, dass Demokratie in Russland keine Chance hat. Nach dem Motto: Wenn die Russen keine Demokratie wollen, wieso sollen wir uns dafür einsetzen? Man vergisst, dass sich Menschen für diese Grundrechte bei uns krummlegen. Stattdessen geben sich westliche Politiker kumpelhaft: Versteht uns doch, wegen der Menschenrechte müssen wir halt etwas Lärm machen. Ansonsten lebt so, wie ihr es für richtig haltet. Die Doktrin der souveränen Demokratie, mit der der Kreml sich gegen äußere Einmischung schützt, haben westliche Politiker einfach geschluckt. Sie brauchen Gas, Öl und Holz - ein banales Tauschgeschäft.

Welche Bedeutung hat die Person Chodorkowski für Russland heute?

Für den denkenden Teil der Gesellschaft sind Lebedew und Michail Chodorkowski immer wichtiger geworden. Er verfolgt ihr Schicksal mit großer Anteilnahme. Der Mehrheit der Intelligenz fragt sich: Wie ist es möglich, solche ernsten, großen und talentierten Leute, die der Gesellschaft Nutzen bringen sollten, wegzusperren?

In letzter Zeit hat der Druck auf die Nowaja Gaseta wieder zugenommen. Wie sieht das konkret aus?

Im November wurde die Bank unseres Aktionärs Alexander Lebedew von Maskierten aus den Sicherheitsstrukturen heimgesucht. Sie verlangten Dokumenteneinsicht. Wenn Maskierte in die größte Bank eindringen, sind nicht Papiere der Anlass. Sie wollten einschüchtern und haben finanzielle Interessen. Zwei Milliarden Rubel sind schon rausgezogen worden.

Hat Russland unter Medwedjew eine Chance zur Modernisierung?

In den letzten anderthalb Jahren veränderte sich die Atmosphäre im Land. Die Mittelschicht dachte früher daran, wohin sie mit der Familie abhauen könnte. Heute hat sie wieder Hoffnungen, verfolgt Nachrichten im Internet, hört einschlägige Radiosender und liest Zeitung. Wir merken das, weil wir mehr Unterstützung erhalten. Auch zivilgesellschaftliche Aktionen werden stärker wahrgenommen. Die Menschen fühlen sich plötzlich wieder wie selbstständige europäische Bürger. Auch die öffentliche Meinung ist zurück. Das macht Hoffnung.

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9 Kommentare

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  • M
    MattF

    @ GWalter

     

    Assange sitzt noch lange nicht im Gefängnis. Wenn er mal so lange im Knast saß wie Chodorkowski können wir weiter reden. Ich wette es kommt nicht so weit.

  • PM
    Peter Maas

    @xVegAnarchistx

     

    ""Die 90er Jahre gelten in Russland als eine Zeit der Anarchie."[...]Mal im ernst, ist es von einem TAZ-Redakteur wirklich zu viel verlangt das er etwas mehr Ahnung von Anarchismus hat als ein BLÖD-Schreiberling, und nicht so dumme Fragen stellt?"

     

    Copy+Paste kannst du, aber den Inhalt kapieren fällt dir offensichtlich schwer. Da steht doch klar und deutlich "...gelten in Russland...", wie kommst du dann auf die Idee, das als taz-Meinung zu interpretieren? Am besten, du kommentierst bei der BLÖD, da passt du offensichtlich gut rein.

  • G
    GWalter

    Nachtrag:

     

    Was bei uns im Westen mit Julian Assange passiert, zeigt eindeutig in "welcher Demokratie" wir hier leben !!

     

    Ich denke, wir brauchen uns nicht in die Tasche zu lügen bezüglich unserer Meinungsfreiheit und bezüglich des Landes das sich weltweit als die SUPERDEMOKRATIE aufspielt.

     

    Diese Bewährungsprobe hat gezeigt, dass dies wohl alles nur Makulatur ist....was ich übrigens schon lange weiß !!!!

  • G
    GWalter

    Chodorkowski hat sich unter Jelzin der Ölquellen bemächtigt im wollte diese im Auftrag der USA an Firmen in den USA verkaufen.

    Er ist also eine Marionette der USA die durch sein Zutun an die Ölreverven Russlands kommen wollten !

    Wenn in den USA ein solcher Mann die gleiche Tat zum Nachteil der USA begangen hätte, wäre er ebenfalls im Gefängnis gelandet, die s sollte man einmal ganz deutlich sagen!

    Es war nur legitim, dass Russland seine Ölquellen in nationaler Hand behalten wollte, zum Wohl des russischen Staates und seiner Menschen.

    Auch die Menschen in Russland sind in den letzten Jahren (seit der Putin-Ära) deutlich besser gestellt als hier viele im Westen vermuten.

    Putin hat auch dafür gesorgt, dass die ehemals staatlichen Wohnungen der Menschen kostenlos in deren Eigentum überführt wurden....eine von vielen positivenTatsachen die hier im Westen bewußt verschwiegen werden!!!??

  • GA
    Gast auf Zeit

    "Wie ist es möglich,solche ernsten,grossen und talentierten Leute,die der Gesellschaft Nutzen bringen,wegzusperren?"-aha...

    In den 90 ern gabs in Russland kein Verbrechen,dass die "Oligarchen" begingen,um den Reichtum des Landes zu stehlen und zu plündern.Nur der Herr Chodorkowski hat es durch ernste ,harte Arbeit,ganz der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verpflichtet,zum vielfachen Dollarmilliardär geschafft!Vom kleinen -nein,nicht Tellerwäscher-Komsomolfunktionär innerhalb weniger Jahre zum zweitreichsten Oligarchen Russlands...

    Im übrigen ist der Besitzer der Nowaja Gazeta ebenfalls einer jener Oligarchen.Auch hier gilt natürlich nicht:"wess Brot ich ess,dessen Lied ich sing"!Wers glaubt...

    Wie wäre es,wenn sich die TAZ einfach ein dümmeres und denkfauleres Publikum sucht?Ach,da sind schon Springer und Bertelsmann? Pech gehabt

  • V
    vantast

    Nein, keine Hoffnung, als Erfüllungsgehilfe von Putin wird der Richter keine Gnade kennen. User Richter hieß damals Freisler.

  • C
    Christina

    Leider kann nicht von ganz Russland die Rede sein, wenn es um wiedererlangtes Interesse an Poltik geht.

    Ich lebe zur Zeit in Irkutsk- also ca. 5000 km und 4 Zeitzonen von Moskau entfernt. Teilweise stelle ich hier im asiatischen Teil das Landes eine Politikverdrossenheit fest, die ich nicht fuer moeglich hielt. Es wird sich eben damit abgefunden, dass man nichts erreichen kann und dass auch nach den Wahlen alles so ist und bleibt wie vor den Wahlen. Warum sich also die Muehe machen?

    Alte Strukturen haben sich gehalten. Es wird nicht rumgemosert oder gar protestiert. Bei solchen Zustaenden, wie sie hier teilweise vorzufinden sind, sei es im oeffentlichen Nahverkehr, bei der Frage der Gehaelter, die in keinem Verhaeltnis zu den Lebenshaltungskosten stehen oder die Erhoehung der Lebensmittelpreise, wuerden wir in Europa schon laengst auf die Strasse gegangen sein um unserem Unmut Ausdruck zu verleihen. Hier wird es anscheinend still schweigend hingenommen.

    Russland ist so gross und aus unserer westlichen Sichtweise nicht so einfach ueber- und durchschaubar. Das Russland von dem wir meist sprechen, befindet sich von mir aus gesehen, jenseits des Urals. Der Rest ist zu weit weg und zu unbekannt, aber doch und vielleicht deswegen, so interessant.

    Russland hat noch einen langen Weg vor sich. Dessen sollten sich die Politiker Europas bewusst sein und die Menschen hier auf diesem Weg unterstuetzen und nicht den Kopf einziehen, weil sie sich nicht mit den grossen und maechtigen des Landes anlegen will. Das ist ein falsches Signal, unterstuetzt nur wieder das Gefuehl der Ausswegslosigkeit und fuehrt zu nichts.

  • X
    xVegAnarchistx

    "Die 90er Jahre gelten in Russland als eine Zeit der Anarchie."...richtig...und dann kamen Marsmänchen und haben die Zaren wieder an die Macht gebacht!

     

    Mal im ernst, ist es von einem TAZ-Redakteur wirklich zu viel verlangt das er etwas mehr Ahnung von Anarchismus hat als ein BLÖD-Schreiberling, und nicht so dumme Fragen stellt?

  • MN
    Mein Name

    "Die 90er Jahre gelten in Russland als eine Zeit der Anarchie. Ist es jetzt anders?"

     

    Bitte was? davon habe ich ja noch nie etwas gehört! Wissen sie eigentlich was Anarchie bedeutet? Also definitiv herrschten in Russland in den 90er Jahren keine Anarchistischen Zustände!

     

    Mit dieser Frage haben Sie, Herr Klaus-Helge Donath,

    sich als Journalist meiner Meinung nach eindeutig disqualifiziert. Denn mit Worten um sich zu werfen, ohne deren Bedeutung offensichtlich auch nur ansatzweise zu kennen, zeugt nicht gerade von Journalistischen Qualitäten!