Nach Chodorkowski-Urteil: Russland verbittet sich Kritik
Die Urteilsbegründung gegen Michail Chodorkowski wird von weiteren Protesten begleitet. Moskau interessiert das wenig. Das Strafmaß wird nicht vor Silvester erwartet.
MOSKAU afp/dpa | Russland hat Kritik aus dem Ausland am Schuldspruch gegen den früheren Ölmagnaten und Kreml-Kritiker Michail Chodorkowski mit aller Schärfe zurückgewiesen. Mit den Erklärungen aus Washington und "gewissen Hauptstädten der EU" werde versucht, Druck auf die russische Justiz auszuüben, erklärte das Außenministerium am Dienstag in Moskau. Dies sei "nicht hinnehmbar". Der Prozess sei allein Sache der russischen Justiz.
Chodorkowski und sein mitangeklagter Geschäftspartner Platon Lebedjew waren am Montag von einem Moskauer Gericht wegen Diebstahls von Millionen Tonnen Öl sowie Geldwäsche schuldig gesprochen worden. In einem ersten Prozess waren beide bereits wegen Betrugs und Steuerhinterziehung zu acht Jahren Haft verurteilt worden.
Außenminister Guido Westerwelle (FDP) hatte erklärt, der Schuldspruch bedeute einen "Rückschritt auf dem Weg zur Modernisierung des Landes", die Umstände des Verfahrens seien "äußerst bedenklich". Das Weiße Haus in Washington erklärte, die russische Justiz übe eine "offenbar selektive Anwendung des Rechts" aus. Dies untergrabe "den Ruf Russlands als Land, das sich der Vertiefung des Rechtsstaates verpflichtet". US-Außenministerin Hilary Clinton sagte, das Urteil werde negative Folgen für das Ansehen Russlands haben.
Unterdessen fuhr das Moskauer Gericht unter dem Vorsitz von Richter Wiktor Danilkin unter scharfen Sicherheitsvorkehrungen am Dienstag fort, die mehr als 1.000-seitige Begründung für das Urteil gegen Chodorkowski zu verlesen. Vor dem Gerichtsgebäude kam es erneut zu Protesten von Regierungsgegnern. Mindestens zwei Menschen wurden festgenommen, wie die Agentur Interfax meldete.
Das Strafmaß wird der Richter nach Einschätzung von Beobachtern nicht vor Silvester verkünden. Die ersten zehn Tage des Jahres sind in Russland gesetzliche Feiertage, Zeitungen erscheinen nicht. Die russische Führung wolle den Schuldspruch in Ruhe aussitzen, behauptete die Verteidigung.
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