piwik no script img

Dissertationen in der DDRDr. Stasi an den Kragen

Verhören und bespitzeln: Das waren die Themen in der Stasi-Kaderschiede Potsdam-Golm. Die Brandenburger Grünen wollen die dort erworbenen Titel nun prüfen lassen.

Nicht nur der Inhalt, auch der Umfang ist fragwürdig: Einige Stasi-Dissiertationen waren nur einige Seiten lang. Bild: dpa

POTSDAM/BERLIN dpa/afp | Mehr als 400 Doktorarbeiten früherer Stasi-Funktionäre sollen nach dem Willen der brandenburgischen Grünen-Fraktion auf den Prüfstand. Die juristischen Dissertationen an der ehemaligen Stasi-Hochschule in Potsdam-Golm genügten „in keinster Weise“ den wissenschaftlichen und moralischen Ansprüchen, sagte Grünen-Fraktionschef Axel Vogel. Im Prinzip müssten die Titel aberkannt werden. Die Fraktion habe sich an die Bundesbehörde für die Stasi-Unterlagen gewandt.

Die Juristische Hochschule in Golm war laut Behörde die „Kaderschmiede“ des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) und dessen zentrale Bildungs- und Forschungsstätte. Die meisten Doktoranden waren Offiziere des MfS oder andere lang gediente Mitarbeiter.

Promoviert wurden an der Hochschule die Stellvertreter von Stasi-Chef Erich Mielke, Gerhard Neiber und Wolfgang Schwanitz sowie DDR-Devisenbeschaffer Alexander Schalck-Golodkowski. Dessen Thema lautete: „Zur Bekämpfung der imperialistischen Störtätigkeit auf dem Gebiet des Außenhandels“. Andere befassten sich mit „sozialistischer Menschenführung“ oder den besten Methoden beim Verhör von Dissidenten.

Die Grünen kritisieren auch, wie die Promotionen zustande kamen. So wurde ein Großteil der Dissertationen in Teamarbeit erstellt. Zudem hätten einige Arbeiten nur wenige Seiten umfasst, sagte der Grünen-Fraktionschef. „Das entspricht vielleicht Abitur-Niveau, berechtigt aber nicht zum Tragen eines Doktortitels.“

Auch rund 24 Jahre nach dem Fall der Mauer tragen noch etliche der einstigen Stasi-Juristen den juristischen Doktortitel. „Eigentlich sollten sie alle freiwillig auf ihren Doktor verzichten“, sagte Vogel.

Aberkennung 1990 vertraglich ausgeschlossen

Die Stasi-Unterlagen-Behörde begrüße den Vorstoß der Grünen ausdrücklich, sagte Sprecherin Dagmar Hovestädt. Denkbar sei etwa eine Veröffentlichung der damals als geheim eingestuften Dissertationen. Gleichzeitig verwies Hovestädt auf den Einigungsvertrag von 1990. Danach dürfen Doktortitel nicht nachträglich aberkannt werden.

Absolventen der Juristischen Hochschule ist im vereinigten Deutschland allerdings untersagt, einen staatlich anerkannten juristischen Beruf auszuüben. Die Hochschule in Potsdam-Golm wurde aufgelöst.

Wie viele Ex-Stasi-Kader sich heute noch mit dem Titel Dr. jur. schmücken, ist unklar. Das Brandenburger Wissenschaftsministerium verwies ebenfalls auf den Einigungsvertrag. „Politisch kommentieren“ werde man die Forderungen der Opposition nicht, sagte ein Ministeriumssprecher.

Unterdessen haben Forscher der Freien Universität Berlin nach einem Medienbericht in Stasi-Unterlagen Hinweise auf ein bislang unbekanntes Opfer der Berliner Mauer gefunden. Die offizielle Zahl der Toten, die zwischen 1961 und '89 an der Mauer starben, steigt damit auf 138. Der bislang unbekannte Mauertote heißt demnach Hans-Joachim Zock. Der 30-jährige Vater eines einjährigen Sohnes sei bei einem Fluchtversuch am 14. November 1970 in der Berliner Spree ertrunken, heißt es in dem Bericht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • Es kommt selten vor, aber hier muß ich den Grünen zustimmen. Auch diese Titel zu überprüfen,ist zumindest konsequent.

  • C
    captchakatastrophealleliebende

    ey taz, warum sollten eure leser mehr zahlen wenn immer wieder die zeit der leute verplempert wird? da schreibt mensch ein kommentar - und dieser erscheint nicht, wie so oft. seid ihr seit einiger zeit eigentlich auch eine bäckerei? werden ja immer mehr kekse die geschluckt werden müssen. sind das eure neuen halbtagswebbäcker?

  • U
    Uwe

    Die Grünen, naja wenn man als 6 Prozent Partei in Brandenburg nichts besseres zu tun hat.

     

    Fast 25 Jahre nach der Einheit.

    Spaltet ruhig weiter, aber ich kann schon verstehen, die Bürgerbewegten sind nun mal die Verlierer der Wende.

     

    Die cleveren haben sich um orientiert.

    (Nooke,Lengsfeld, Barbe und was weiß ich noch wer)

     

    Die die geblieben sind will keiner mehr hören.

    Das ist gut so.

     

    Die DDR war ein Unrechtsstaat, alle Titel sollten abgeschaft werden, die die dor erworben wurden.

    Oder macht es wie bei der NVA zur Bundeswehr. Aus Hauptmann wurde Leutnant oder Ofw.

    Macht doch aus einem Doktor einen Master.

     

    Ich bin froh, dass die Grünen in Brandenburg nur eine Splitterpartei sind.

    Weder konstruktiv noch innovativ.

     

    MfG

  • L
    lowandorder

    Was eine feine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme;

     

    sehr richtig, all das auf die NS-Elaborate auszudehnen;

    Vorschlag aus der la menge:

    Pro. Dr. Ernst Forsthoff - Lieblingsschüler von

    Carl Schmitt ( auf dessen fettesten derzeitigen Apologeten sich unser Ex-Mielke-auf-Rädern Ex-IM Wolfgang Schäuble 2.0 sich so gern beruft);

     

    aber die 1.Auflage der Diss., bitte - unbedingt!!

     

    "1.Kapitel DER FÜHERERSTAAT

     

    Die Grundrechte sind obsolet…"

     

    gestr. in 2. Aufl ( post WK II),

    weil " den Zeitläuften geschuldet."

     

    Dufte - die Grünen mit sozialen prozyklischen

    Initiativen.

  • W
    Warum ?

    Die Staatssicherheit war gemäß § 88 Abs. II Satz 2 der Strafprozessordnung der DDR Ermittlungsperson der Staatsanwaltschaft.

     

    Warum nur die Doktorarbeiten zum politischen Strafrecht der DDR überprüfen, die aus Stasi-Autoren-Hand kommen ?

     

    Warum fragt keiner nach der Doktorarbeit von Frau Carola Wille über das Einfangen und Rückführen flüchtiger DDR-Bürger an den Außengrenzen Bulgariens, Rumäniens, Ungarns, der Tschechoslowakei ... ("Der Rechtsverkehr in Strafsachen zwischen den sozialistischen Staaten“, 1986 Uni Jena ). Das betraf etwa 85 % der in der DDR 1972 bis 1989 wegen "Republikflucht" Verurteilten. Das betraf etwa 70 % des "Rechtsverkehrs in Strafsachen zwischen den sozialistischen Staaten" ...

    Heute ist die Frau als Intendantin des MDR zu bewundern.

     

    Warum fragt keiner nach der Promotion 1969 und Habilitation 1983 von Günter Kräupl zur Jenenser "Gruppen-Jugendkriminalität" ( Roland Jahn kommt da am Rand auch als so ein Jugendkrimineller vor).

    Kräupl war bis 2011 ordentlicher Professor an der Uni Jena !!!

     

    Warum wird immer nur die Stasi als Sündenbock vorgeführt ?

  • R
    reblek

    "in keinster Weise" - Wer meint, "kein" sei steigerbar, beherrscht die deutsche Sprache in keiner Weise.

    • @reblek:

      Damit haben Sie 1000% Recht.

  • W
    Wolfgang

    Wer überprüft die erworbenen Titel (Dr.+Prof.) beim Bundesnachrichtendienst (BND), beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), bei der Bundeswehr, beim Bundeskriminalamt, bei den Polizeibehörden und Mitarbeitern von Haftanstalten, (med.) Heilstätten und Krankenhauseinrichtungen, bei den Bundesministerien und Behörden - nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland - bis in die Gegenwart, bei den Bildungseinrichtungen und Universitäten - der BRD? Insbesondere auch bei vormaligen Mitarbeitern faschistischer staatsmonopolistischer Ministerien und Behörden (1933-1945-1949- ...). Ebenso aus den wirtschaftsvernetzten Terroreinrichtungen der deutschen Wirtschafts-, Planungs- und Monopolverbänden, einschließlich deren Terrororganisationen aus NSDAP, SS, SD, Gestapo und Wehrmacht (-1945- ...). Wer überprüft deren Titel bei der Übernahme in den Staatsdienst und in den Bildungsdienst der Bundesrepublik Deutschland - und diese Auswirkungen auf die Innen- und Außenpolitik (Chile, Bolivien, arabische und afrikanische Staaten und Regionen etc.) der BRD - bis heute?

    (- nur eine - unvollständige - kurze Aufzählung.)