Disput über Menschenhandel: Prostitution verbieten?
Die Frauenzeitschrift „Emma“ hat einen Aufruf gegen Prostitution gestartet. Deutschland sei zur Drehscheibe von Menschenhandel und Zwangsprostitution geworden, sagt Herausgeberin Alice Schwarzer. Doch kann ein Verbot die Lösung sein?
Der Impuls, Prostitution mal eben verbieten zu wollen, ist nachvollziehbar. Wäre doch schön, wenn Männer sich nicht mehr vormachen könnten, es sei die normalste Sache der Welt, Menschen gegen Geld zu gebrauchen wie andere Konsumgüter.
Dass dies überhaupt geschieht, liegt daran, dass wir in einer Welt der Ungleichheiten leben. Armut und fehlende Schulabschlüsse führen unter anderem dazu, dass sich Frauen und Männer prostituieren. Deshalb werden die Huren mit Abitur in der Minderheit bleiben. Genau so sind es überwiegend Frauen, die von Männern dafür bezahlt werden, mit ihnen Sex zu haben – und nicht umgekehrt.
Männer und Frauen sind einander eben immer noch nicht gleichgestellt, auch in Deutschland nicht. Vielleicht vor dem Gesetz, aber längst nicht in allen Köpfen. In unserer Gesellschaft sind Frauen weniger wert, auch wenn wir das gerne verdrängen, indem wir die Benachteiligung von Jungen in der Schule beklagen. Nur ein Beispiel: Auch kluge Frauen erzählen einander immer noch, dass Schwangerschaftsübelkeit vor allem von kleinen Mädchen im Bauch verursacht wird.
Deshalb täten diejenigen, die jetzt reflexhaft mit ihren guten Argumenten wider das Prostitutionsverbot reagieren, gut daran, mal einen Augenblick innezuhalten. Natürlich haben sie recht, wenn sie sagen, Prostitution werde es weiter geben. Dann aber im Verborgenen, zu schlechteren Bedingungen für alle Sex-Arbeiterinnen, egal wie freiwillig sie ihren Körper hergeben. Ja, das stimmt.
Aber auch sie könnten die Frage zulassen, warum wir Prostitution hinnehmen, als sei es ein Beruf wie jeder andere. Als seien die Arbeitsbedingungen die letzte Hürde auf dem Weg zur Gleichheit von Frauen und Männern. Wenn wir über Diskriminierung von Frauen reden, dann scheint es, als hätten sie nur noch Probleme, die mit der Verwertbarkeit ihrer Arbeitskraft zu tun haben. Sie verdienen weniger als Männer, werden in Beförderungsrunden übergangen und zerreiben sich in dem Versuch, Kindern und Beruf gerecht zu werden. Wenn sie denn einen haben. Das sind die Themen, die von Medien aufgegriffen werden, derer sich Familienministerinnen annehmen mögen, zu denen sich auch Vorstandsvorsitzende von Großunternehmen interviewen lassen.
Über anderes schweigen wir lieber. Geschlagene, vergewaltigte und getötete Frauen: Gibt es in Indien, und bei uns allenfalls in gesellschaftlichen Randbereichen. Hat mit Strukturen bitte nichts zu tun, sind alles Einzelfälle, Ehrenmorde, osteuropäische Zwangsprostituierte. Oder wir schieben schnell hinterher, dass ja auch Frauen Männer schlagen. Dass sie sie dabei selten schwer verletzen oder umbringen, scheint nicht so wichtig.
Ganz ähnlich reagieren wir, wenn es darum geht, wie Mädchen und Frauen sich abhängig machen vom männlichen Begehren. Ja, auch junge Männer sind einem Körperkult unterworfen, auch sie können magersüchtig werden. Bei jungen Mädchen ist die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper aber ein Massenphänomen.
Wer würde sich denn einer Unterschriftenkampagne anschließen, die den Zwang zu geschlechtskonformen Verhalten abschaffen wollte? Bestimmt nur wenige derjenigen, die sich jetzt mit Alice Schwarzer entrüsten. Wie leicht ist es, Prostitution abzulehnen. Viel schwieriger ist es, sich einzugestehen, was Prostitution mit uns zu tun hat, mit dem alltäglichen Wahnsinn, in dem bereits Babys mittels Kleidung, Büchern und Spielzeugen auf ihre jeweiligen Rollen festgelegt werden, Mädchen schön und passiv, Jungen wild und handelnd. In dem sich Heranwachsende und Frauen Beine und Gesichter rasieren, Brüste mit BHs in Form bringen und in beruflichen Auseinandersetzungen lieb lächeln, um nicht als hysterisch abgestempelt zu werden.
Die Kampagne gegen Prostitution ist wohlfeil, ja. Aber so zu tun, als wäre alles in Ordnung in einer Welt, in der sich ein Geschlecht an das andere verkauft, ist nicht besser.
Den kompletten Schwerpunkt "Prostitution" lesen Sie in der taz.am Wochenende oder hier
Leser*innenkommentare
Querulant
Gast
Die Ehe ist die schlimmste Form der Prostitution, denn da entstehen lebenslange Abhängigkeiten. Man sollte also besser die Ehe verbieten!
Saarländer
Gast
Lasst uns zusammen mit Sexarbeitern und Sexarbeiterinnen für unsere Freiheit und unsere bürgerlichen Rechte kämpfen. Bitte unterstützt den Appell für Prostitution und beteiligt euch an der Unterschriftenaktion http://www.sexwork-deutschland.de/Prostituierten-Vereinigung/Home.html
"Prostitution” beruht auf Freiwilligkeit und darf nicht mit Zwangsprostitution verwechselt werden. Wir dürfen niemals zulassen, dass Prostitutionsgegner ihre langfristigen Ziele umsetzen und Männer und Frauen mit staatlicher Unterstützung diskriminieren. Freiheitsrechte: Freie Berufswahl in einem freien Staat (Art.12 Abs.1 GG) (“Sex work is work!”)
Unterschreibt bitte auch bei dieser Petition: http://www.change.org/de/Petitionen/stärkung-der-rechte-und-verbesserung-der-lebens-und-arbeitsbedingungen-von-menschen-in-der-sexarbeit?share_id=jSnLIkWhCs&utm_campaign=signature_receipt&utm_medium=email&utm_source=share_petition
chris
Gast
An der Magersucht sollen jetzt also die Männer und deren Erwartungen schuld sein? Darum gibt es die Magersucht auch nur in der aufgeklärten und entwickelten Gesellschaft, während es in paternalistischen, weniger entwickelten Gesellschaften keinen einzigen Fall gibt.
Dazu mal ein Zitat:
Die Anorexia nervosa ist
eine rätselhafte Krankheit,
die voll von Widersprüchen
und Paradoxien ist.
Hilde Bruch 1978
Die Psychosomatik interpretiert die Anorexie heute vor allem als Kontrollzwang über den eigenen Körper, zum Teil als körperliche Flucht vor dem sozialen Erwachsenwerden.
Dass die Erkrankung durch ein (männlich geprägtes ?) Schlankheitsideal verursacht sein soll ist eine steile These und enspringt wohl am ehesten eher einem Stammtischgespräch als fundierter Recherche.
Sabine
Gast
Das sehe ich auch nicht so. Die Magersucht wird wohl ausgelöst durch die schlechten Beispiele der knochendürren Models, denen die Mädels nach eifern. Ursache ist aber wohl eine Unzufriedenheit mit sich selbst und ein mangelndes Selbstbewusstsein.
Im Übrigen gibt es ja auch zunehmend Männer, die magersüchtig oder auf andere Weise essgestört sind wie die Frauen.
Tadeusz Kantor
Sokrates
Gast
Nur weil andere Männer einen anderen (weiteren?) ethischen Horizont haben, sind sie noch lange keine Lügner.
Mir bereitet es sehr wohl der Gedanke starkes Unbehagen, eine Frau zum Sex zu zwingen.
Und alle die behaupten, ihr persönlicher Horizont umfasst das ganze Universum die lügen, so einfach ist das, basta.
whoever
Gast
In einem Land, das von Frau Bruhn regiert würde, möchte ich nicht leben. Jede Person kann selbst entscheiden, mit wem sie Sex hat, ohne Frau Bruhn um Erlaubnis zu fragen. Außerdem darf jede Person beim Sex denken, woran sie will. Es ist auch nicht Aufgabe des Staates zu überwachen, dass nur Menschen mit vergleichbarem Bildungsabschluss miteinander Geschlechtsverkehr haben.
Olli
Gast
"Der Impuls, Prostitution mal eben verbieten zu wollen, ist nachvollziehbar. Wäre doch schön, wenn Männer sich nicht mehr vormachen könnten, es sei die normalste Sache der Welt, Menschen gegen Geld zu gebrauchen wie andere Konsumgüter."
Wird jetzt die Existenz des Dienstleistungssektors generell kritisiert?
Gebrauchen wir nicht alle jeden Tag "Menschen gegen Geld"?
Wenn wir zum Anwalt gehen, wenn wir zum Frisör gehen?
"Männer und Frauen sind einander eben immer noch nicht gleichgestellt, auch in Deutschland nicht. Vielleicht vor dem Gesetz, aber längst nicht in allen Köpfen."
Die Gleichstellung, also die Gleichheit im Ergebnis, ist kein grundgesetzlicher Auftrag, sondern die Gleichberechtigung, die Chancengleichheit.
Beides steht sogar im Widerspruch zueinander, nämlich dann, wenn mehr Träger eines beliebigen Merkmals, z.B. Geschlecht, eine Tätigkeit ausüben wollen als aus der anderen Gruppe, die diese Merkmal nicht trägt. Das einzelne Mitglieder der größeren Gruppe hat dann nämlich geringe Chancen, den Job zu bekommen, als das der kleineren Gruppe (mal von einer Gleichheit von Intelligenz und Fähigkeit der einzelnen Gruppen ausgehend).
Sokrates
Gast
Beissreflex - Verbot
Freiwillige Prostitution gehört nicht verboten, sondern als Gewerbe anerkannt.
Wir sollten uns bewusst sein, dass Prostitution einen ebenso grossen gesellschaftlichen Wert hat wie jedes Tun, welches für das funktionieren und das seelische Gleichgewicht einer Gesellschaft sorgt.
Die grössten Probleme für freiwillig Prostituierte sind doch, meiner Meinung nach, geringe Wertschätzung/Akzeptanz, agieren in einer Grauzone und Verortung in der Schmuddelecke, wenig bis keine rechtliche Sicherheit. Und diese Punkte werden mit einem Verbot noch verschärft, zudem werden dann vermehrt freiwillig Prostituierte durch Zwangsprostituierte ersetzt.
Wozu sich eine moderne Gesellschaft durchringen sollte, ist die Anhebung der Prostitution in den Stand eines ordentlichen Gewerbes mit entsprechenden Regeln, Qualitätsstandards, Offenheit, Kontrollen und Rechtssicherheit.
Ein Freier sollte erkennen können, ob ihm/ihr freiwillig Dienste angeboten werden.
Auch dieser Schritt wird Zwangsprostitution, Vergewaltigungen und Menschenhandel nicht verschwinden lassen aber wirksamer eindämmen als ein generelles Verbot.
Zu Zeiten der Prohibition in den USA wurde mehr Alkohol konsumiert als davor und danach. Von den begangenen Verbrechen rund um den Alkoholschmuggel ganz zu schweigen.