Diskussionsreihe in Frankfurt a.M.: Rechte Sprache gegen rechts
Eine Veranstaltungsreihe voll Provokationen, um Rechte zurückzugewinnen: Kann das gut gehen? Das Haus am Dom in Frankfurt a. M. will das ausprobieren.
Eigentlich ist man vom Haus am Dom, das vom Bistum Limburg getragen wird, solche rechten bis rechtsextremen Töne nicht gewohnt, die auch im Ankündigungstext der Veranstaltungsreihe beibehalten werden: Deutschland scheine sich immer mehr zu polarisieren, selbst im Bekanntenkreis könne man heikle politische Themen oft nicht mehr ansprechen. Die Angst, „gecancelt“ zu werden oder private Beziehungen zu riskieren, sei groß. Deshalb wolle man im Haus am Dom über Themen, die als besonders kontrovers gelten, diskutieren.
Welche Referent*innen teilnehmen, erfährt man aus dem Text nicht, und auch insgesamt spart das Haus an Dom mit Informationen zur Veranstaltung. Doch die Zielgruppe scheint klar: Neue Rechte. Warum initiiert eine Einrichtung des Bistums Limburg, die erst kürzlich zu Demonstrationen gegen rechts aufgerufen hat, eine solche Veranstaltungsreihe?
„Eine bewusste Provokation“, sagt Daniela Kalscheuer, Referentin für Interkulturelles und Zeitgeschichte an der Katholischen Akademie, auf Anfrage. Die Katholische Akademie habe bewusst solche „Triggerwörter“ eingebaut, um Menschen zu erreichen, die überlegen, die AfD zu wählen. Zielgruppe seien außerdem jene, die in ihrem Umfeld mit Thesen der Neuen Rechten konfrontiert sind und „um des Friedens willen inzwischen die Diskussion ebenfalls scheuen“.
Nichtöffentliche Runde
So kommen seit Anfang des Jahres alle paar Wochen jeweils etwa 15 Personen, die meisten über 60 Jahre alt, in nichtöffentlicher Runde in einem Seminarraum zusammen, jeweils zu einem anderen polarisierenden Thema. Etwas überraschend für die Teilnehmenden wird die Veranstaltung spätestens dann, wenn sie merken, dass es sich dabei eigentlich um ein Seminar und nicht um eine echte Diskussion handelt.
Mit vorbereiteten Gegenreden, etwa von Johannes Lorenz, dem Weltanschauungsbeauftragten des Bistums Limburg, wolle man in den zweistündigen Diskussionen diejenigen Teilnehmenden „zurückholen“, die sich „nicht gehört fühlen und sich daher in ihre eigene Bubble zurückgezogen“ hätten, erläutert Kalscheuer. Man wolle versuchen, sie in den demokratischen Diskurs einzubinden und „hierbei zu gemeinsamen Kompromissen zu finden oder auch zu akzeptieren, dass man eben keinen Kompromiss finden kann“, so Kalscheuer.
„Es wäre schön, wenn alle Katholiken antirassistisch wären, aber das ist nicht der Fall“, sagt Kalscheuer. Auch wenn sich die katholische Kirche von der AfD distanziere, sei sie nicht frei davon. „Öffentlich möchten wir Thesen der Neuen Rechten kein Podium bieten, aber diese Thesen kursieren, und hier möchten wir mit Menschen, die diesen nahestehen, ins Gespräch kommen.“
Ob man die Menschen so wirklich „zurückholen“ könne, wisse man noch nicht. „Es ist an sich schon ein Erfolg, wenn das Gespräch überhaupt zustande kommt“, sagt Kalscheuer. So habe man sich bei der letzten Veranstaltung im April darauf einigen können, dass Deutschland Migration brauche.
Teilnehmerin zeigt sich skeptisch
Eine Teilnehmerin, die anonym bleiben möchte, bezweifelt diesen Erfolg: Diese Menschen könne man in so kurzer Zeit nicht zurückholen, denn „die spinnen zum Teil“, sagt sie. Sie habe zufällig von der Veranstaltung erfahren und sie besucht, um zu sehen, was genau da „mitten in der Stadt“ passiere. Was genau der Zweck sei, habe sie immer noch nicht verstanden. Schon in den ersten Minuten der Veranstaltung habe sie sich gewundert, als sie mit Grafiken von Julian Reichelts rechter Medienplattform „Nuis“ zum Thema Meinungsfreiheit in Deutschland begrüßt wurde, berichtet die Teilnehmerin.
„Es hat mich betroffen gemacht zu sehen, welche Leute diese Veranstaltung zusammenbringt“, sagt sie der taz. Einige Anwesende seien „Schwurbler oder Rassisten“ gewesen, denen Fakten egal seien. So hätten beispielsweise einige Leute behauptet, Ausländer liefen mit Messern herum. Auch seien Verschwörungstheorien gegen eine vermeintliche „Lügenpresse“ geäußert worden. „Mit Nazis redet man nicht“, so die Teilnehmerin.
Ein anderer Teilnehmer äußert sich im Gespräch mit der taz positiver: „Sich von Leuten, die kommen, weil sie was loswerden und nichts dazulernen wollen, nicht entmutigen zu lassen – das war tapfer“, sagt er. Die Bemühungen von Lorenz habe er bewundert.
Wie sinnvoll ist also ein solches Konzept? „Für Leute, die einfach enttäuscht oder frustriert sind, die das eine oder andere Vorurteil haben, kann so eine Veranstaltung Sinn machen“, sagt Benjamin Winkler, Referent für politische Bildung bei der Amadeu Antonio Stiftung, der taz.
Auch er weist aber auf Rechte hin, die nicht lernbereit sind: „Wenn so eine Veranstaltungsreihe von Leuten besucht wird, die eine feste Weltanschauung haben oder einer bestimmten Szene angehören, dann kommen sie in der Regel nicht dorthin, um ihren Horizont zu erweitern.“
Diese Menschen kämen dann viel eher, „um Propaganda zu machen und vielleicht Menschen, die noch nicht ganz so entschlossen sind, auch noch auf die eigene Seite zu ziehen“, warnt Winkler. „Da ist weder pädagogisch etwas gewonnen und im schlimmsten Fall ist es sogar gefährlich für die Leute, die noch eine gewisse Offenheit mitbringen.“
Er habe oft erlebt, dass solche Rechten eine dominante Präsenz haben, berichtet der Diplom-Soziologe und Jurist. Das schüchtere dann andere ein, ihre Meinung zu sagen. Wenn solche Leute anwesend seien, sei „die ganze Veranstaltung eigentlich unsinnig“. Er würde dringend davon abraten, das zu machen. 2015 etwa habe die sächsische Landeszentrale für politische Bildung Pegida zu einer offenen Diskussion eingeladen. „Das hat dann auch dazu geführt, dass sie dort rassistische Aussagen getätigt haben, die für andere Teilnehmende verletzend waren“, sagt Winkler.
Die Reihe „Jenseits der Political Correctness“ wird am 15. Mai mit der Veranstaltung „Der Untergang des Abendlandes? Gehört der Islam zu Deutschland?“ im Frankfurter Haus am Dom fortgeführt. Die Veranstaltung findet im Rahmen der „Woche der Meinungsfreiheit 2024“ des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels statt. Die Karten, so heißt es, seien höchst begehrt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“