Diskussion um Straßennamen: Luther soll runter vom Schild
Eine Initiative hat sich die Umbenennung der Martin-Luther-Straße in Schöneberg zum Ziel gesetzt. Die Parteien im Bezirk sind skeptisch bis ablehnend.
Der Reformator habe „in seiner Zeit für ausgebeutete Menschen, Minderheiten und Frauen eine sehr negative Rolle gespielt und – wo immer es ging – Öl ins Feuer der Auseinandersetzungen gegossen und bitterbösen Hass gesät“, schreibt die Gruppe in einem Papier, das der taz vorliegt. „Zudem ist sein Name Symbol für obrigkeitsstaatliche Hörigkeit bis ins Preußische Kaiserreich hinein. Für die Menschen unserer Zeit ist sein Name nicht erinnerungswürdig!“
Dabei schien der 1546 gestorbene Eislebener gerade wieder an Popularität zu gewinnen: Als sich 2017 sein „Thesenanschlag“ von Wittenberg zum 500. Mal jährte, betrieben Kirchen, Bundesländer und Kommunen viel Aufwand, dem abtrünnigen Mönch und Theologieprofessor ein cooles Image anzudichten. Es gab Luther-Musicals, Luther-Playmobilmännchen und Luther-Comics, Kinderbücher und Tourismuskampagnen.
All das konnte nicht verhindern, dass die wachsende Beschäftigung mit der historischen Figur auch deren problematisches Gedankengut wieder ans Licht brachte. Denn Luther war alles andere als tolerant: Er hetzte gegen Juden, predigte die Verfolgung aufständischer Bauern, machte Frauen verächtlich, nannte Muslime „Diener des Teufels“ und forderte, behinderte Kinder zu ertränken. Auch wenn viele ChristInnen sich heute für Gleichberechtigung und Diversität einsetzen – Martin Luther stand für das exakte Gegenteil.
Die Vorauswahl Im Zuge der Umbenennung der Neuköllner Wissmannstraße hat die Jury am Montagabend drei Namen präsentiert, die sie aus mehr als 400 eingereichten Vorschlägen ausgewählt hat. Nduna Mkomanile (?–1906) war eine Widerstandkämpferin im Maji-Maji-Aufstand (heutiges Tansania), sie wurde von den deutschen Kolonialisten als einzige Frau gehängt. Lucy Lameck (1934–1993) war die erste Frau im tansanischen Regierungskabinett. Fasia Jansen (1929–1997) war eine afrodeutsche Liedermacherin und Friedensaktivistin.
Die Jury Zur Jury gehören drei AnwohnerInnen der Straße, der Leiter des Museums Neukölln, Udo Gößwald, der Kulturwissenschaftler Bernd Kessinger sowie Mnyaka Sururu Mboro vom Verein Berlin Postkolonial und Anette Heit von Oyoun (Ex-Werkstatt der Kulturen). Die Namensvorschläge werden nun den Mitgliedern des Bildungsausschusses vorgestellt. (sum)
Mögliche Alternative: eine Prista-Frühbottin-Straße
„Prista-Frühbottin-Straßen-Team“ nennt sich die Initiative, die daraus nun Schlüsse zieht. Der von ihr vorgeschlagene Ersatzname soll an eine Wittenbergerin erinnern, die 1540 als „Hexe“ verbrannt wurde. Luther, der mit seinem Teufels- und Hexenglauben fest im Mittelalter verwurzelt war, habe diese Hinrichtung befürwortet, heißt es in dem Papier. Auch wenn die schlimmste Zeit der Verfolgung erst nach Luthers Tod begann, habe dieser bereits dazu aufgerufen, „Zauberinnen“ zu töten.
Der Aufruf, den das „Team“ an SPD, Linke und Grüne in Tempelhof-Schöneberg verschickt hat, beschreibt exemplarisch nicht nur Luthers tödlichen Hexenwahn, sondern auch seine Haltung gegenüber den Bauern und den Juden. Erstere wagten damals den Aufstand gegen die Feudalherren – und Luther, der sich unter den Schutz des sächsischen Kurfürsten begeben hatte, schrieb, man solle die Rebellen „wie tolle Hunde totschlagen“.
Die antijüdischen Schriften des Reformators wirken beklemmend prophetisch, etwa jene, die die Juden als „unsere Plage, Pestilenz und alles Unglück“ bezeichnete und die Obrigkeit aufrief, Synagogen niederzubrennen, Juden Zwangsarbeit verrichten zu lassen und Rabbiner unter Todesdrohung am Lehren zu hindern. Ein Antisemit im rassistischen Sinne der Nazis war er wohl nicht, jedoch wurde Luther von diesen durchaus als Kronzeuge begriffen.
Dass die Pogromnacht von 1938 auf den Geburtstag des Kirchenmanns fiel, wurde nicht nur von den „deutschen Christen“ als Erfüllung eines historischen Auftrags verstanden. Heute beschreibt die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) Luthers Judenfeindschaft als „schwere Hypothek für die reformatorische Bewegung“ – eine grundlegende Distanzierung bleibt aus.
Der preußische „Staatsheilige“
Für das „Prista-Frühbottin-Straßen-Team“ steht fest: Dass die Straße zwischen Wittenberg- und Innsbrucker Platz 1899 nach Luther benannt wurde, liege daran, dass das preußische Kaiserhaus im neuen Reich einen „starken, der Krone ergebenen Protestantismus“ als Staatskirche brauchte. „Die Preußen hatten Martin Luther als neuen Staatsheiligen, gewissermaßen als Propheten der Reformation auserkoren, nach dem sie nun Straßen, Kirchen und Krankenhäuser benennen ließen.“
Gegenüber der taz sagt der Sprecher der Initiative, Volker Schorling, auch „Straße der Reformation“ komme als neuer Name infrage: „Unser Thema ist nicht die Reformation in ihrer Bedeutung für die Frühe Neuzeit und die Aufklärung“, so Schorling. „Das Ganze war ja eine Denkrichtung.“ Luthers Prominenz bis heute verdanke sich ausschließlich seiner „Anbiederung an fürstliche Macht und die staatliche Autorität generell“.
Von den Angeschriebenen habe nur die Linke reagiert, sagt Schorling – und zwar mit freundlicher Ablehnung. In einer E-Mail, die der taz vorliegt, schreibt der Bezirksvorsitzende von Tempelhof-Schöneberg, Alexander King, seine Partei sehe „viele gute Gründe“ für eine kritische Auseinandersetzung. Man unterstütze das „Anliegen, eine kritische Sicht auf Martin Luther zu verbreiten“, aber nicht eine Umbenennung der Straße.
„Wir halten Straßenumbenennungen nicht in jedem Fall für geeignet, um ein kritisches Bewusstsein von der eigenen Geschichte zu gewinnen“, so King. Es müssten, je nach Fall, „andere Wege gesucht werden“. Für die AnwohnerInnen führe eine Umbenennung „in erster Linie zu Verdruss, vor allem in einer Straße mit derart vielen Betroffenen wie der Martin-Luther-Straße“.
Für die SPD ist Luther kein Thema
Auf taz-Nachfrage äußerten sich auch Grüne und SPD: Der Vorsitzende der BVV-Grünen-Fraktion, Rainer Penk, bestätigte, das Papier der Initiative zu kennen, monierte aber, die UrheberInnen hätten sich nicht namentlich offenbart. „Ein solches Anliegen wirft eine ganze Reihe von Fragen auf, die wir gerne mit Vertretern der Initiative besprochen hätten.“ Die Grünen seien „gerne bereit, dieses Gespräch jederzeit zu führen, sobald uns entsprechende Kontaktdaten zur Verfügung stehen“. Denkbar wäre auch, ein Historiker-Gutachten in Auftrag zu geben, um das Für und Wider einer Umbenennung zu prüfen.
Weniger gesprächsbereit zeigt sich Oliver Fey, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion: „Eine Umbenennung der Martin-Luther-Straße ist derzeit kein Thema.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen