Diskussion über Mietenpolitik: Radikal in Neukölln
Bundestagskandidaten diskutieren im Gentrifizierungs-Hotspot Neukölln über Verdrängung. Punkten kann kaum jemand. Spannend ist die Debatte dennoch.
Mit Frau S. brach plötzlich das echte Leben in die Politik hinein: Drei Mal musste sie seit der Geburt ihrer Tochter umziehen, sei „gentrifiziert worden“, wie Frau S. sagt. Zeitweise habe sie mit der jetzt Achtjährigen im Obdachlosenheim gewohnt. Ihre Ausbildung habe sie für lange Zeiträume unterbrechen müssen, da nach jedem Umzug erst ein neuer Kitaplatz für das Kind zu finden war.
Die alleinerziehende Mutter, Neuköllnerin, blond, resolut, ist politischer Radikalität eher unverdächtig. Doch sie ist Dauergast bei mietenpolitischen Diskussionen und Demos. „Und ich würde mich mittlerweile auch an Räumungsblockaden beteiligen“, sagt sie in Richtung Podium: „So weit bringt die Politik die Bürger nämlich!“
Die auf dem Podium sitzen, sind die Neuköllner Bundestagskandidatinnen von CDU, Grünen, Linken, SPD und FDP. Von ihnen waren zuvor bei der vom Mietenbündnis Neukölln organisierten Diskussion am Dienstagabend im Jugendzentrum der Rütlischule schon viele gute Absichten zur Verbesserung der Lage von MieterInnen und des Wohnungsmarktes geäußert worden.
Das Thema brennt im Neuköllner Norden: Um 70 Prozent sind die Mieten bei Neuverträgen in den vergangenen zehn Jahren hier gestiegen. Und die Verdrängung hat längst auch südliche Bezirksteile erreicht. Gut achtzig Leute sind zur Debatte mit den KandidatInnen gekommen, ein Großteil betroffene und engagierte MieterInnen.
Für die KandidatInnen ist das Thema eine Zwickmühle – gewinnen kann hier eigentlich kaum eineR von ihnen. SPD-Mann Fritz Felgentreu, im Bundestag seit 2013, hat dort mit Mietenpolitik nichts zu tun. Er will die Umlage von Modernisierungskosten auf Mieten verringern und die Mietpreisbremse, die Mieterhöhungen bei Neuverträgen regelt, verschärfen – und muss sich fragen lassen, warum er im Bundestag genau dagegen gestimmt habe.
Linken-Vertreterin Judith Benda kann viel versprechen – sie wird eh nicht in den Bundestag einziehen. Und bei aller von ihr geäußerten Unterstützung für die MieterInnen: Dass die Linke Teil der Landesregierung war, die öffentliche Wohnungen massenhaft an Privatinvestoren verkaufte, hat hier keiner vergessen.
Die selbst in Nordneukölln aufgewachsene CDU-Frau Christina Schwarzer verspielt jede Sympathie, als sie auf finanzielle Nöte von Hausbesitzern hinweist. Und FDPler Markus Jensen weiß, dass er eigentlich nichts sagen muss – und sagt das auch. Allein Susanna Kahlefeld punktet.
Doch hat sie erstens keine Chancen auf ein Bundestagsmandat. Zweitens hat ihre Bundespartei so hysterisch auf ein kapitalismuskritisches Wahlplakat der Berliner Grünen reagiert, dass auch hier klar ist, woher der Wind weht. So machte die Veranstaltung deutlich: Die Kluft zwischen Politikern und ihren potenziellen Wählern ist riesig – selbst wenn sie in den gleichen Straßen wohnen.
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