Diskriminierung bei Wohnungssuche: „Zigeuner“ abgelehnt
Die Wohnungsbaugesellschaft Hameln schickte einer Sinteza unbeabsichtigt einen internen Vermerk: „Leichter Zigeunereinschlag; besser nichts anbieten!“
Die 68 Jahre alte Sinteza, die seit ihrer Kindheit in der Stadt lebt, sucht seit langem eine Zweizimmerwohnung und hat sich auch bei der WGH beworben. Am Donnerstag vergangener Woche erhielt sie von dem Unternehmen einmal mehr das übliche Formblatt, den „Interessenbogen zur Wohnungssuche“.
In der Rubrik „Bemerkungen“ standen dieses Mal die Wörter: „1 Pers.; leichter Zigeunereinschlag; besser nichts anbieten!“ Eine entlarvende Panne: Denn der offenkundig von einem Mitarbeiter oder einer Mitarbeiterin der Wohnungsgenossenschaft gefertigte Vermerk war wohl nur aus Versehen nicht entfernt worden, bevor der Bogen der Bewerberin ausgehändigt wurde.
Sie sei zunächst „sprachlos“ gewesen, erklärte die 68-Jährige der lokalen Deister- und Weserzeitung. Ihre Mutter und viele ältere Verwandte seien von den Nationalsozialisten als „Zigeuner“ verfolgt, in Konzentrationslager oder Gettos gesperrt und teilweise ermordet worden, deshalb sei sie für rassistische Diskriminierung sensibilisiert. So einen Satz über sich lesen zu müssen hätte sie niemals von dem Wohnungsunternehmen erwartet, sagte sie: „Aber jetzt kann ich mir natürlich erklären, weshalb die WGH nie eine Wohnung für mich hatte.“
Rassismus für den „internen Gebrauch“
Die Wohnungsgenossenschaft hat inzwischen eingeräumt, dass der fatale Vermerk nur für den internen Gebrauch vorgesehen war. Wer den rassistischen Eintrag zu verantworten habe, könne derzeit nicht beantwortet werden und müsse noch ermittelt werden, sagte WGH-Vorstand Heinz Brockmann der Deister- und Weserzeitung: „Das hat hohe Priorität“.
Es gebe keine Anweisung, „Personen, welcher Herkunft auch immer, zu bevorzugen oder zu diskriminieren“, stellte Brockmann klar. „Von der Aussage ,Zigeunereinschlag' distanzieren wir uns in aller Form und werden dieses auch nicht dulden.“ Es würden „personelle Konsequenzen“ eingeleitet, kündigte der WGH-Chef an. „Wir können uns nach Kenntnisnahme dieses bedauerlichen Vorfalls nur ausdrücklich bei der betroffenen Person entschuldigen und versichern, unsere Wohnungen für alle Bevölkerungsgruppen bereitzustellen.“
Weiter gehende Anfragen der taz, ob die angekündigten Konsequenzen inzwischen erfolgt seien und ob die Sinteza nun doch eine Wohnung zugewiesen bekomme, ließ die WGH bis gestern Nachmittag unbeantwortet.
Stattdessen gibt es andere Wortmeldungen. Der Vorsitzende der in Köln ansässigen Sinti-Allianz, Oskar Weiss, sprach von „offenem Rassismus“. „In Hameln ist die Situation schlimmer als bei uns hier in der Großstadt, wo die Menschen einander lockerer sehen“, meint er.
Der Vorgang könne so nicht stehen bleiben. Die Sinti-Allianz rate der Betroffenen deshalb dringend, den Fall zur Anzeige zu bringen.
Nicht nur aus Sicht der Allianz ist der Vermerk ein klarer Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot: Es untersagt, Menschen wegen bestimmter Merkmale ungleich zu behandeln, wenn dies zu einer Benachteiligung oder Herabwürdigung führt, ohne dass es dafür eine sachliche Rechtfertigung gibt.
Insbesondere dürfen weder Geschlecht, Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion, politische oder sonstige Anschauung, nationale oder soziale Herkunft, Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, Vermögen, Geburt noch der sonstige Status als Unterscheidungsmerkmal herangezogen werden. Das Diskriminierungsverbot ist Bestandteil der Europäischen Menschenrechtskonvention, in Deutschland gibt es entsprechende gesetzliche Regelungen.
Die Hamelner Linke-Bundestagsabgeordnete Jutta Krellmann hat sich in einem offenen Brief an die WGH gewandt. Demnach soll der WGH-Aufsichtsrat handeln und aufklären, wer den Eintrag getätigt hat – und ob noch mehr solcher Einträge im System sind. „Diese Denke muss raus aus den Köpfen der Menschen“, so Krellmann weiter. Auch sie rät der betroffenen Frau zu einer Anzeige. Zudem müsse ihr nun eine Wohnung angeboten werden.
Konkretes Beispiel für strukturellen Rassismus
Der Vermerk der Hamelner Wohnungsgenossenschaft beweise, was viele Menschen mit nichtdeutschem Namen oder dunkler Haut immer wieder erleben müssten und doch selten beweisen könnten, sagt die Grünen-Fraktionsvorsitzende im niedersächsischen Landtag, Anja Piel: „Dass sie rassistisch diskriminiert werden.“ Niemand solle glauben, dass es in anderen Fällen anders laufe, nur weil keine Belege dafür erbracht werden könnten. Insbesondere die Sinti und Roma würden als Minderheit immer noch und immer wieder ausgegrenzt.
Rassismus auch auf dem Wohnungsmarkt ist ein weit verbreitetes Problem, wie auch ein Feldversuch von Studentinnen der Universität Bremen kürzlich erneut belegte. In insgesamt fast 300 Anrufen bei Vermietern in der Hansestadt gaben sich die Frauen als alleinstehende Krankenschwestern aus, allerdings mit wechselndem Akzent: „Ayşe Gülbeyaz“ sprach mit türkischem Einschlag, „Alice McGraw“ mit US-amerikanischem, Lena Meyer parlierte in perfektem Hochdeutsch.
Das Ergebnis des Experiments: Nur wenige Vermieter luden „Ayşe“ zu einer Wohnungsbesichtigung ein. Durfte sie sich doch eine Wohnung ansehen, bekam sie meist unmittelbar nach der Vorstellung eine Ablehnung. „Alice“ hatte schon bedeutend bessere Chancen, einen Mietvertrag zu bekommen. Und bei „Lena“, die den Eigentümer jeweils als Letzte kontaktierte, waren selbst die Wohnungen plötzlich wieder frei, die bei „Ayşe “ schon vergeben waren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Berliner Kultur von Kürzungen bedroht
Was wird aus Berlin, wenn der kulturelle Humus vertrocknet?
Argentiniens Präsident Javier Milei
Schnell zum Italiener gemacht
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?