Dirketkandidat in Friedrichshain-Kreuzberg: Ströbele wählt Ströbele zum Nachfolger
Hans-Christian Ströbele wird ein drittes Mal als grüner Direktkandidat für den Bundestag antreten. In seinem Wahlkreis in Friedrichshain-Kreuzberg mehren sich aber auch Stimmen für eine "neue grüne Politik".
Hans-Christian Ströbele will König in Kreuzberg bleiben. Die Entscheidung hat der 69-Jährige nach langem Hin und Her getroffen - und sie am Dienstag seiner Basis im Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg mitgeteilt. "Ich will mich weiter politisch einmischen. Das kann ich am besten als Abgeordneter dieses Wahlkreises", sagte Ströbele der taz.
Ströbeles dritter Kampf um ein Direktmandat für den Bundestag mag einige, wie seinen Möchtergernnachfolger Özcan Mutlu, ärgern. Die meisten Grünen-Wähler werden sich dagegen freuen. Schließlich steht Ströbele, selbst wohnhaft in Charlottenburg, als Parteirevoluzzer, Kriegsgegner, ehemaliger RAF-Anwalt und taz-Gründer für das rebellische, linke Kreuzberg. Ein grünes Urgestein.
Dies gilt umso mehr, als es der Politiker Ströbele auch im kommenden Bundestagswahlkampf wieder schaffen wird, das Image des Antipolitikers zu pflegen - als unabhängiger Abgeordneter, der von seiner Basis ins Parlament geschickt wird. Was ist daran wahr, was Attitüde?
Den Spagat zwischen Parteipolitik und Basisverbundenheit hat Ströbele schon als grüner Landespolitiker beherrscht. Im Frühjahr 1989, Ströbele hatte gerade den ersten rot-grünen Senat auf Berliner Landesebene mit ausgehandelt, provozierte die Kreuzberger Szene mit einer Reihe von Hausbesetzungen. Rot-Grün ließ räumen, die Besetzer rückten in den Räumen der Alternativen Liste ein - und Ströbele, der eben noch Berliner Geschichte geschrieben hatte, gab den Autonomenversteher.
Das wird wohl auch in der nächsten Legislaturperiode so sein. Christian Ströbele hat die grüne Linke mit der Realität versöhnt - und trotzdem nicht die Lust am großen Entwurf verloren. Das macht ihn auch für die Realos im Bund um Renate Künast und Cem Özdemir so wichtig. Ohne Ströbele wären die Grünen endgültig ihres linken Gewissens beraubt - und wohl auch ein paar Wählerstimmen.
Doch am linken Säulenheiligen Christian Ströbele, der sich auf seinen Wahlplakaten vom Karikaturisten Gerhard Seyfried im Post-Mao-Personenkult-Stil feiern ließ, blättert inzwischen der Putz. Zwar wird sich, nach seiner gestrigen Erklärung, keiner seiner Konkurrenten aus der Deckung wagen. Die grüne Machtfrage in Friedrichshain-Kreuzberg ist aber gestellt - ob mit oder ohne Gegenkandidaten.
Einer, der grüne Politik in Kreuzberg gerne neu definieren möchte, ist der Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, Volker Ratzmann. Immer wieder verweist der Realo, der vor kurzem auf seine Kandidatur für den Bundesvorsitz verzichtet hat, auf einen Beitrag im Stadtmagazin Zitty. Dort wurde unter der Überschrift "Der große Ökoschwindel" der grünen Politik in Kreuzberg ein verheerenden Zeugnis ausgestellt. "Das Gefühl, öko zu sein", heißt es dort, "scheint wichtiger zu sein als die Öko-Bilanz." Selbst Bezirke wie Pankow seien in Sachen Innovation weiter als die grünste aller grünen Hochburgen - Kreuzberg.
Das geht auch auf die Kappe des Kreuzberger Königs. Tatsächlich ist Ströbele eher Bundes- als Wahlkreispolitiker. Seine Politik ist, wie beim Kampf gegen die erste McDonalds-Filiale in Kreuzberg, eher symbolisch als zielführend. Und manchmal gehen seine Vorschläge - etwa das Singen der deutschen Nationalhymne auf Türkisch - knapp an der Grenze zur Peinlichkeit vorbei.
Das Altbackene am Altvorderen wird wohl wieder zum Wahlsieg reichen, doch der grüne Zeitgeist geht auch an Kreuzberg nicht vorbei. Wie zukunftsfähig grüne Kommunalpolitik in Kreuzberg ist, wird sich nicht zuletzt an Mediaspree zeigen. Gelingt es den Grünen nicht, zwischen Investoreninteresse und Bürgerwille zu vermitteln, zieht der Senat das Verfahren an sich - und der grüne Bürgermeister Franz Schulz hat verloren. Gibt er allzu schnell nach, kann sich die Niederlage auf dem nächsten Wahlzettel einstellen. Auffallend ist, dass sich Ströbele bislang wenig in die Mediaspree-Debatte eingemischt hat. Verlierer in der Provinz sind halt immer etwas weniger heroisch als die Verlierer in großen Bundestagsdebatten - wie etwa bei der über den Afghanistan-Einsatz.
Neu ist die Kritik an Ströbele freilich nicht, nur dass sie einst eher von links kam als von rechts. "Lummer und Ströbele, es ist der gleiche Abwasch", verglich etwa Bommi Baumann, Mitbegründer der Bewegung 2. Juni, den ehemaligen CDU-Hardliner und Räumungssenator Heinrich Lummer mit dem "grauen Panther der Alternativen" (Der Spiegel), als der 1989 erfolgreich die Koalitionsverhandlungen mit der SPD abschloss. Baumanns Drohung: Die ALer bräuchten sich in Kreuzberg nicht mehr sehen lassen.
Die Drohung ging ins Leere. 13 Jahre später hat Christian Ströbele als erster Grüner ein Direktmandat für den Bundestag gewonnen. Und er hat es 2005 mit 42 Prozent der Erststimmen verteidigt. Dass er es am 27. September 2009 wieder schaffen wird, daran zweifelt - bei aller Kritik - kaum einer.
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