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Macherinnen über Immergut Indie-Festival„Dinge ausprobieren ist toll“

Das Immergut Festivals in Neustrelitz feiert sein 25. Jubiläum. Seine zwei Macherinnen sprechen über Konzerte nach Corona und Indie trotz AfD.

Es megalässig angehen: bei einem Konzert von FM Belfast beim Immergut Festival 2014 Foto: imago
Interview von Stephanie Grimm

taz: Glückwunsch, ihr Festival Immergut feiert die 25. Ausgabe. Es mag Zufall sein, Sie beide sind ebenfalls 25. Zur wievielten Generation von Fes­ti­val­ma­che­r:in­nen gehören Sie?

Charlotte Brehe: Wir gehören wohl zur dritten Generation. Einige unserer Mitstreiter sind Kinder langjähriger Festivalgäste. Andere Vereinsmitglieder sind schon seit den Nullern dabei. Das Generationsübergreifende ist wertvoll, schön und bisweilen fordernd.

taz: Wie darf man sich die Vereinsarbeit bei Ihnen vorstellen?

Brehe: Wir sind 130 Mitglieder, in 25 Minigruppen organisiert, von Infrastruktur über Kommunikation bis zu Nachhaltigkeit. Etwa 30 Mitglieder sind das ganze Jahr über aktiv.

Bild: berlinsessions
Im Interview: Charlotte Lotzi Litzinger

Charlotte „Lotzi“ Litzinger ist auf der Halbinsel Fischland-Darß-Zingst aufgewachsen, studiert Politikwissenschaften in Berlin und ist seit 2023 Vereinsmitglied.

taz: Klingt komplex. Wo liegt der Reiz an Ihrer ehrenamtlichen Arbeit?

Charlotte „Lotzi“ Litzinger: Anders als ehrenamtlich wäre die Organisation des Festivals an diesem Ort gar nicht möglich. Toll ist, Dinge auszuprobieren – ohne, dass es sich kommerziell tragen muss.

Brehe: Alle können Ideen einbringen. Schön sind auch die Vereinsevents ums Festival herum.

taz: Wie finden Sie Nachwuchs? Neustrelitz ist ja mit 20.000 Ein­woh­ne­r:in­nen überschaubar?

Brehe: Am örtlichen Gymnasium gibt es einen Projektkurs Kooperation mit dem Verein. Dadurch kommen immer wieder neue Leute in unsere engeren Strukturen. Tatsächlich haben die meisten Mitglieder eine direkte Verbindung zu Neustrelitz, auch wenn viele zum Studium dann hier weggehen.

Bild: berlinsessions
Im Interview: Chralotte Brehe

Charlotte Brehe ist in Neubrandenburg aufgewachsen, studiert Stadtplanung in Berlin und ist seit 2019 Vereinsmitglied.

Litzinger: Manche kommen in den Verein, nachdem sie uns als Gäste kennengelernt haben – wie ich vor drei Jahren.

taz: Worin besteht Ihr Job genau?

Brehe: Wir sind die Einzigen, die etwas Geld verdienen. Beide studieren wir in Berlin, haben je eine halbe Stelle als Werkstudentinnen und kümmern uns ums Büro und das Booking. Zudem ist es unser Job, ein Gerüst fürs Ehrenamt zu schaffen. 130 Leute zu koordinieren, ist herausfordernd, das Konstrukt Festival wird immer komplexer.

taz: Bei der letzten Bundestagswahl erhielt die AfD im Wahlkreis, zu dem Neustrelitz gehört, etwa 40 Prozent der Stimmen. Was das für Gesellschaft und Kultur bedeutet, dazu wird es beim Festival eine Podiumsdiskussion geben. Sorgen Sie sich auch im Hinblick auf die konkrete Festivalzukunft – zum Beispiel, dass Rechtsextreme direkt oder indirekt über Fördergelder entscheiden?

Brehe: Wir bekommen vor allem Bundesförderung, etwa von der Initiative Musik. Auf jeden Fall können wir sagen, dass wir ein sehr gutes Verhältnis zum parteilosen Bürgermeister haben. Auch die Stadtverwaltung unterstützt uns. Das Festival ist in gewisser Weise in Neustrelitz etabliert. Was in Zukunft passiert, wird man sehen müssen.

taz: Die Arten, wie Menschen Musik hören, haben sich in den vergangenen 25 Jahren durch die Digitalisierung deutlich verändert. Feiern sie auch anders?

Brehe: Ein wesentlicher Faktor ist die Pandemie. Wer um das Jahr 2020 17- oder 18-jährig war, kennt das Konzept Festival vielleicht gar nicht. Das galt, es erst einmal wieder zu etablieren.

Das Immergut Festival

Das familiäre Immergut Festival findet seit dem Jahr 2000 jährlich am Himmelfahrts­wochenende statt, immer in Neustrelitz, Mecklenburg-Vorpommern. Es ist nicht nur atmosphärisch besonders, sondern auch organisatorisch: Die dreitägige Indie-Sause wird von Ehrenamtlichen organisiert, Träger ist ein gemeinnütziger Verein.

Immergut Festival 29. 5.–31. 5. in Neustrelitz, Mecklenburg-Vorpommern, Programm: https://immergutrocken.de/

Litzinger: Auch Indie-Musik differenziert sich im Netz immer weiter aus, Leute entdecken Künst­le­r:in­nen daher auf unterschiedlichsten Kanälen. Auch da versuchen wir, mit der Zeit zu gehen. Uns geht es ja darum, Nach­wuchs­künst­le­r:In­nen und talentierte Bands zu fördern und sie erstmals nach Mecklenburg-Vorpommern zu holen.

taz: Nach dem Boom in den 2010er Jahren haben viele Festivals inzwischen aufgegeben. Müssen Sie kämpfen oder bleibt das Immergut auch da etabliert?

Brehe: Die Produktionskosten sind enorm gestiegen: Fachkräftemangel, Inflation, gestiegene Energie- und Reisekosten. Natürlich stellt sich da die Frage: Bis wohin gehen Be­su­che­r:in­nen mit? Das Budget für Kultur ist ja beschränkt.

taz: Können Sie bei den Tickets bitte präzisieren?

Brehe: 2019 führten wir eine hochemotionale Diskussion, als die Eintrittspreise erstmals über 100 Euro stiegen. Mittlerweile fangen Frühbucher-Tickets bei 115 Euro an. Wer später kauft, zahlt für drei Tage 150 Euro. Wir versuchen, Zugänglichkeitskanäle offen zu halten, etwa indem wir günstige Tickets für Schü­le­r:in­nen aus der Region anbieten. Ein Problem ist, dass sich Leute seit Corona oft erst spontan entscheiden. Gründlich geplante Touren mussten deshalb in letzter Sekunde abgesagt werden. Auch wir hatten letztes Jahr so viele kurzfristige Tagesgäste wie nie zuvor. Diesmal verkaufen wir deshalb diesmal Tickets über die Infield App, wo man noch bis kurz vor Festivalbeginn stornieren kann.

taz: Aus Publikumsperspektive betrachtet: Was macht Ihr Festival denn besonders?

Brehe: Eine bekannte Band wie Bilderbuch aus Wien lässt sich bei uns ohne breite Wellenbrecher erleben. Das Tagesprogramm, angefangen mit der Morning Show von Sam Vance-Law und Uli Brase sorgt auch tagsüber für eine besondere Atmosphäre. Zwischendurch zum Badesee zu fahren, wo gibt es das sonst? Die Nähe zwischen Künstler:innen, Publikum und den Mitarbeitenden. Es sind kleine Details, die den Gästen ein gutes Gefühl vermitteln: Etwa, dass alle immer noch ein gedrucktes Programmheft in die Hand bekommen, für das wir uns eigene Texte haben einfallen lassen.

taz: Und wie begeht Ihr Festival seinen Geburtstag?

Litzinger: Beim Line-up werden sich auch die letzten 25 Jahre abbilden, mit Künstler:Innen, die schon mal da waren: Etwa Erobique aus Hamburg, die schwedische Band Shout Out Louds oder Drangsal. Ich persönlich freue mich besonders auf einen Neuzugang, den Norweger Beharie und seinen Soulpop.

Brehe: Und ich auf die englische Künstlerin Nilüfer Yanya, die 2019 erstmals bei uns war – damals noch auf der kleinen Bühne. Diesmal kommt sie mit megalässiger Band.

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