Digitalisierung der Landwirtschaft: Die Schattenseiten
Nicht nur mit der Hardware werden Geschäfte gemacht. Gehandelt wird auch mit landwirtschaftlichen Daten als Ressource.
„In der aktuellen Diskussion zur Digitalisierung wird vor allem über Wetterdaten und Hightech-Traktoren diskutiert. Die Dimension der Umwälzung durch Drohnen, synthetische Biologie oder Blockchain-Technologien wird dramatisch unterschätzt“, sagt der kanadische Technologieexperte Pat Mooney, Träger des Alternativen Nobelpreises von 1985. „Wenn wir nicht gegensteuern und der Konzernkontrolle über die Digitalisierung enge politische Grenzen setzen, dann bedrohen die neuen Technologien die bäuerliche Landwirtschaft insgesamt“, warnt Mooney, der sich beim internationalen Thinktank ETC Group (Action Group on Erosion, Technology and Concentration) mit ernährungsbezogenen Fragen beschäftigt.
Hinter dem Mantra „Digitalisierung macht alles besser – für Bauern, Konsumenten und die Umwelt“ zeichnen sich gewaltige Veränderungen ab, die keineswegs alle als positiv einzustufen sind. Sowohl auf der Hardware- wie auf der Softwareseite sind gigantische Konzentrationen in der Unternehmenswelt im Gang. Die Fusion von Bayer und Monsanto ist nur ein Beispiel. Landmaschinenhersteller verbünden sich mit Flug-Innovatoren. In Japan wird bereits ein Drittel der Reisproduktion von Drohnen aus der Luft überwacht. Von der Softwareseite drängen Digitalkonzerne wie Google, Amazon oder der chinesische Konzern Alibaba in den Markt, um an die Agrardaten zu gelangen – die Steuerungsressource für die Welternährung der Zukunft.
In Deutschland setzen bereits 9 Prozent der Höfe Drohnen ein, ergab eine aktuelle Umfrage des Deutschen Bauernverbandes und des IT-Branchenverbands Bitkom. 4 Prozent fliegen dabei eigene Drohnen, 5 Prozent engagieren externe Dienstleister. „In keiner anderen Branche werden Drohnen vergleichbar intensiv genutzt wie in der Landwirtschaft“, sagte Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder. „Bauern sind einmal mehr die Vorreiter der Digitalisierung.“
Für Jan Urhahn von der kirchennahen Entwicklungshilfe-NGO „Inkota“ ist Entmystifizierung der erste Schritt, um zu den richtigen Handlungsstrategien zu gelangen. „Es muss erst geklärt sein, was die Digitalisierung leisten kann und was nicht, bevor eine weitere staatliche finanzielle, aber auch politische Förderung erfolgt“, fordert Urhahn. Bislang gebe es keine wissenschaftlichen Studien, die die Vorteile der Digitalisierung etwa für einen besseren Ressourceneinsatz, zur Hungerbekämpfung oder zum Schutz der Biodiversität belegten. „Vor allem die Frage, inwiefern die Digitalisierung ressourcenneutral zu haben ist, ist vollkommen offen.“
Rosenduft und Steviasüße
Gleichwohl gibt es andere Forschungsthemen, die die große Transformation der Agrarwelt vorantreiben. Zum Beispiel die Synthetische Biologie, eine Weiterentwicklung der Biotechnologie, die dabei ist, durch molekulare Veränderungen künstliche Geschmacksstoffe zu produzieren, die von echten Aromen nicht zu unterscheiden sind. „Damit kann etwa der Duft von Rosen, der Geschmack von Zitrusfrüchten, die Süße von Stevia oder die aufputschende Wirkung von Koffein künstlich hergestellt werden“, schreibt Urhahn mit seiner Kollegin Lena Michelsen im neuen „Kritischen Agrarbericht“, der auf der Grünen Woche in Berlin vorgestellt wurde.
Was ein Segen für die Lebensmittelindustrie ist, treibt andere in den Ruin. Nach Schätzungen der ETC Group beliefern etwa 20 Millionen kleinbäuerliche Familien sowie Arbeiterinnen und Arbeiter in Ländern des globalen Südens 95 Prozent des Marktes für Aromastoffe und Gewürze wie Safran, Zimt und andere. „Wenn die Herstellung in Zukunft zunehmend vom Feld ins Labor verlegt wird, wäre die Existenzgrundlage all dieser Erzeuger noch stärker bedroht als bisher“, bemerken die Inkota-Kritiker.
Ein anderes Einsatzfeld sind die Blockchain-Technologien. So nutzten nach Ermittlungen der ETC-Group Anfang 2018 „das französische Agrarhandelsunternehmen Louis Dreyfus und der chinesische Lebensmittelhersteller Shangdong Bohi Industry gemeinsam mit den Finanzdienstleistern ING, Société Générale und ABN-Amro eine Blockchain-Plattform für die Verhandlung und Organisation einer Sojabohnenlieferung aus den USA nach China“. Nach Aussagen der Beteiligten habe die Nutzung der Blockchain „sowohl die Dauer als auch die Kosten für den Transport enorm verringert“.
Das ganz große Ding ist die Schaffung von übergreifenden Datenplattformen. Daran arbeiten alle. So hat beispielsweise der Traktoren-Hersteller Agco im Jahr 2014 sein erstes Datenabkommen mit dem Chemieriesen DuPont geschlossen, gefolgt von getrennten Abkommen mit Bayer, Monsanto und BASF im darauffolgenden Jahr, hat Mooney in einer Recherche für Inkota herausgefunden.
Und es geht weiter: „2017 kaufte Agco eine der wichtigsten auf Daten spezialisierten Tochtergesellschaften von Monsanto, während der Konzern sein Geschäftsfeld gleichzeitig auf landwirtschaftliche Drohnen und Joint Ventures mit einer Vielzahl von landwirtschaftlichen Daten-Startups ausdehnte.“ Wohin führt das?
Gegensteuern ist möglich
Für Urhahn ist der Trend klar erkennbar: „Mit der Digitalisierung wird voraussichtlich eine nie dagewesene vertikale Integration und Kooperation entlang der gesamten Agrarlieferkette vonstattengehen.“ Dennoch: Gegensteuern ist noch möglich. Für Jan Urhahn, der das Thema am Freitag im Rahmen eines Panels auf dem Internationalen Fachkongress der Bundesregierung auf der Grünen Woche, dem „Global Forum for Food and Agriculture“ (GFFA), gemeinsam mit Vertretern von „Brot für die Welt“ und dem „Forum Umwelt und Entwicklung“ diskutiert, sind zwei Anliegen besonders wichtig.
Zum einen müssten digitale Technologien die Interessen und die Bedürfnisse von kleinbäuerlichen Erzeugern bedienen. „Das bedeutet, dass Technologien in partizipativen Prozessen mit bäuerlichen Erzeuger*innen gemeinsam entwickelt werden und für die bäuerlichen Erzeuger*innen auch wirklich zugänglich sein müssen.“
Nicht weniger wichtig als die Entwicklung angepasster Technologien ist auch der rechtliche Rahmen von staatlicher Seite. „Die neuen Technologien dürfen die Macht- und Einflusssphären des Agribusiness und anderer großer Player wie von Internetkonzernen nicht erweitern“, betont Inkota-Mitarbeiter Urhahn. Notwendig sei daher „der Aufbau unabhängiger und demokratisch kontrollierter digitaler Datenplattformen, ein starker Datenschutz, eine Verschärfung des Wettbewerbsrechts sowie eine staatliche Förderung von Technologien, die explizit bäuerlichen Erzeuger*innen zugutekommen“.
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