: Digitale Reiter
■ Die Computerjockeys betreiben Elektro-fusionen frei nach Ruhrpott-Schnauze
Funky Tierreich meets Asian Backspin. Ob nun amerikanischer Film-Dialog, Vogelgezwitscher-Sample oder verzerrte asiatische Gesänge – bei ihren elektronischen Raubzügen bereichern sich die Computerjockeys an den Klängen der Welt. Digital gesampelt, vollelektronisch verarbeitet. Denn auf einen musikalischen Konsens kommen die unterschiedlichen Arrangeure auch ohne die soliden Kenntnisse eines Klangkörpers. Längst haben Wolfgang Hagedorn und Digital Jockey die Relikte ihrer Live- Mucker-Ära gegen zukunftsträchtigere Symbole eingtauscht: Zwei PCs mit Mehrspur-Software.
Die Grundschule instrumenteller Musik durchliefen die PC-Ritter auf unterschiedlichen Bahnen. Wolfgang Hagedorn entfloh schon früh den selbstgedichteten Gitarrenrock-Kompositionen. Digital Jockey, der sich an unterschiedlichen Musikinstrumenten versuchte, frönt noch heute dem Jazz. Erst 1994 taten die beiden ihre Rechenmaschinen zusammen und sampelten alles, was sich in den progressiven Radiostationen zwischen Gitarren-Rock und Westcoast-HipHop verwerten ließ, und traten samt Bits und Bytes gefüllter PCs oft bis zu sechs Stunden lang vor ihrem Publikum.
Was das eigenbrödlerische Team im Jazz, Grunge, Punk und Funk nie durchsetzen konnte ist heute fester Bestandteil ihres zukunftsorientierten Ethno-Elektro. Neben einem elektronischen Klangspiel geschieht auf ihrem selbstbetitelten Debüt-Album der Versuch über eine neue Weltmusik: Fernöstliche Mandolinen-Laute verbinden die Ruhrgebietler auf „Kimono“ mit Trip Hop, urbane Kraftwerk-Kulissen werden in „We Wasting“ zu Easy-Listening-Keybords, in „Train“ gehen jazzige Kontrabässe in Lokomotivgeräusche über und Drum'n'Bass spielt „PingPong“ mit Tischtennis-Samples.
Mal reduziert experimentell, mal deutlich HipHop verschrieben, produzieren die Kosmopoliten gleichermaßen die perfekte Untermalung für die Champagner-Vernissage und für drogenumnebelte Strand-Partys. Ein Dialog mit den Kulturen aus eurozentristischer Sicht, denn Egomanie und musikalische Eitelkeit sind allgegenwärtig in ihren Arrangements. Der Fortschrittsglaube funktioniert bei den Computerjockeys aber immer in Verbindung mit Weltoffenheit. Auf dieser Grundlage geht es weder um den Geist der „Shaolin“, der im gleichnamigen Stück Kampfsport-Kicks sampelt, noch um den Umgang mit der islamischen „Inschallah“, in dem Trip-Hop Moschee-Gesänge untermalt, sondern um eine Mischung aus Tradition und Moderne, in der keine kulturellen Schwerpunkte gesetzt werden, die Elektronik aber als Grundlage für Internationalität fungiert.
Anders als der Ethnotrance von The Orb und Transglobal Undergroud, die Weltmusik Ende der 80er Jahre erstmalig mit elektronischen Beats versahen, gründet sich der Jockey-Sound auf die Geräuschen der Moderne und das Spiel mit der eigenen Identität. Eine musikalische Identität im Zeitalter der Schnell-lebigkeit, in der die eigene Interpretation über die technologische Wirklichkeit siegt. Das Resultat bleibt ansprechend individuell: Elektro-Fusion frei nach ruhrpöttischer Schnauze. Andin Tegen
Sa, 26. Februar, 22 Uhr, Hafenklang
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