Den Ha­te­r*in­nen wird das Feld überlassen

Eine neue Studie belegt, dass besonders Frauen, Queers und Personen mit Migrations­hintergrund von digitaler Gewalt betroffen sind. Nur 5 Prozent zeigen die Tä­te­r*in­nen an

Protest von HateAid für eine Petition für mehr Gerechtigkeit im Netz im November Foto: Fo­to:­ Stefan Boness

Von Anastasia Zejneli

Das Klima im Netz wird immer feindseliger. Hassnachrichten, sexuelle Gewalt nehmen zu, ein vielfältiger Diskurs nimmt dagegen ab. Die repräsentative Studie „Lauter Hass – leiser Rückzug. Wie Hass im Netz den demokratischen Diskurs bedroht“ des Kompetenznetzwerks gegen Hass warnt vor den Konsequenzen digitaler Gewalt. Um herauszufinden, wie In­ter­net­nut­ze­r*in­nen mit Hassnachrichten umgehen und wer besonders betroffen ist, hat das Netzwerk digital mehr als 3.000 Personen ab 16 Jahren zu ihrem Internetverhalten befragt. Die Studie führten Das NETTZ, die Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK), HateAid und die Neuen Deutschen Me­di­en­ma­che­r*in­nen durch.

„Hass im Netz ist allgegenwärtig“, sagte Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) bei der Vorstellung der Studien­ergebnisse am Dienstagvormittag. Eine erste bundesweite Erhebung von 2019 des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) warnte vor dem ausufernden Ausmaß von Diskriminierungen und Gewaltdrohungen im Netz.

Die aktuelle Studie zeichnet den Negativtrend fort und zeigt, wie sich Hass im Netz zu normalisieren scheint. „Hass im Netz ist ein Angriff auf die Meinungsvielfalt. Es kann alle treffen, aber trifft nicht alle gleich“, sagt Elena Kountidou, Geschäftsführerin der Neuen Deutschen Medienmacher*innen. Besonders junge Menschen sowie Personen mit sichtbarem Migrationshintergrund und queere Menschen stehen im Fokus.

Jeweils ein Drittel der beiden zuletzt genannten Gruppen gibt an, betroffen zu sein. Unter den 16- bis 24-Jährigen, die besonders stark Plattformen wie Tiktok und Instagram nutzen, sind vor allem Frauen Opfer von digitaler Gewalt. Knapp jede Dritte berichtet von Hass online.

Die Definition von Hass im Netz geht über Hate Speech hinaus, auch sexualisierte Gewalt, Stalking oder Doxing, das Veröffentlichen von personenbezogenen Daten, sind darin zusammengefasst. Am häufigsten bezieht sich der Hass auf die politischen Ansichten der Betroffenen und ihr Aussehen. Die digitale Gewalt äußert sich oftmals in Form von Beleidigungen und Falschbehauptungen.

Was als Hass angesehen wird, ist dabei individuell. Die konkrete Frage „Waren Sie selbst schon von Hass im Netz betroffen?“ stimmten 15 Prozent der Befragten zu. Jedoch gaben etwa ein Viertel der Befragten an mindestens eine Form von Hass im Netz häufig zu erfahren. Die Studie erklärt die Unterschiede damit, dass nicht jede Beleidigung als Hass im Netz angesehen wird. Besonders jüngere Betroffene scheinen dies bis zu einem bestimmten Grad als Normalität anzunehmen.

Rüdiger Fries von der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur warnt vor den Folgen für Betroffene und den digitalen Diskurs. Zwar blockierten oder meldeten 82 Prozent der Betroffenen ihre Täter*innen. Ein Viertel der Betroffenen gibt an, ihre Profile zu deaktivieren oder zu löschen. Das Feld werde den Ha­te­r*in­nen überlassen, da sich die angefeindeten Personen aus dem Diskurs zurückziehen.

Um den Diskurs und die Demokratie im Digitalen zu stärken, fordert das Kompetenznetzwerk flächendeckende Beratung für Medienkompetenzen in Schulen und Betrieben. Laut Paus sind besonders in den ostdeutschen Bundesländern in diesem Jahr Aktionen zur Medienschulung geplant.

Eine weitere wichtige Stellschraube sind die Anbieter der Plattformen selbst. Rund ein Drittel der Befragten gibt an, sich bei Hasskommentaren, Fake­news oder sexualisierten Inhalten an die Plattform zu wenden.

Bei den Betroffenen sind es deutlich mehr. Nur 5 Prozent würden Hass im Netz anzeigen, sagt Anna-Lena von Hodenberg von HateAid, da Plattformen mit digitaler Gewalt und Hass Geld verdienen, müssen diese stärker in die Verantwortung gezogen werden. Das Netzwerk fordert eine klare Durchsetzung des Digital Service Acts, ein EU-weites Gesetz zur Regulierung digitaler Plattformen.

Es gilt seit August 2023 für Plattformen wie Meta und Tiktok, die mehr als 45 Millionen Nut­ze­r*in­nen haben. Ab dem 17. Februar 2024 sollen auch kleinere Unternehmen verpflichtet werden, transparenter und sicherer zu werden. Auch Bundesinnenministerin Nancy ­Faeser (SPD) bekräftigt die Forderungen am Dienstagmittag. Antisemitischer, rassistischer und demokratiefeindlicher Hass werde vor allem im Netz befeuert. Man müsse die Instrumente des Digital Service Acts konsequent durchsetzen.

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