: „Diepgen hat sich gut durchgebissen“
Die Berliner CDU ist nach 20 Monaten an die Macht zurückgekehrt/ „Sanierungsfall CDU“, CDU — degeneriert „zu einer unpolitischen Pseudopartei“: Landowsky tut inhaltliche Attacken parteiinterner Kritiker als bloße „Machtansprüche“ ab ■ Aus Berlin Hans-Martin Tillack
Vor 20 Monaten wurde die Berliner CDU überraschend abgewählt und nun ist sie ebenso überraschend wieder an die Macht zurückgekehrt. Parteichef Eberhard Diepgen verhehlt seine Triumphgefühle in der Öffentlichkeit. Doch Klaus-Rüdiger Landowsky, Generalsekretär der Berliner CDU und Diepgens rechte Hand, tut sich keinen Zwang an. „Über das Tief sind wir hervorragend hinweggekommen“, strahlt er.
Profit aus den Fehlern des rot-grünen Senats
Die Partei habe ja eine „sehr, sehr schwere Zeit“ durchlitten, sinnt der Generalsekretär. Man muß hinzufügen: Es war vor allem eine schwere Zeit für Diepgen und Landowsky, eine Flaute, die die Männerfreunde nun doch noch unbeschadet überstanden haben. Nach der Wahlniederlage im Januar 1989 wirkten beide wie gelähmt, erhoben die innerparteilichen Kritiker von rechts wie von links ihr Haupt. Ein Zehlendorfer „Reformer“, wie die CDU- Linken heißen, beschrieb die CDU als „Sanierungsfall“, die sich nun auf 15 Jahre der Opposition einzustellen habe. Seine Diagnose unterschied sich nur unwesentlich von der Kritik der Wertkonservativen in der Partei. Die CDU sei degeneriert „zu einer unpolitischen Pseudopartei, die sich im bloßen Verwalten ihrer Macht erschöpft“, schimpfte eine Gruppe von „Christsozialen“ in der Partei und forderte die Abberufung des Generalsekretärs.
Im Rückblick tut Landowsky diese inhaltlichen Attacken als bloße „Machtansprüche“ ab. Auf dieser Ebene ließen sich die Herren der Partei nichts vormachen. Innerparteiliche Kritiker attestieren der Parteiführung aber auch schieres Glück: Die CDU habe in erster Linie von den schweren Fehlern des rot-grünen Senats profitiert. Ihn wählten die Berliner ab, das war die Chance der CDU.
„Diepgen hat sich gut durchgebissen“, sagt die ehemalige Schulsenatorin Hanna-Renate Laurien anerkennend. Sie galt stets als Gallionsfigur der klassischen Konservativen in der Partei und damit als Alternative zu dem ideologisch kaum noch zu verortenden Klüngel um Diepgen und Landowsky. Laurien zeigte Ecken und Kanten. Selbst ihre linken Gegner in der GEW attestierten ihr Aufrichtigkeit, schimpften aber auch über den „Rachefeldzug“, mit dem sie jahrelang die Lehrer verfolgt habe, die im Oktober 1983 für eine halbe Stunde den Unterricht unterbrochen hatten, um gegen neue Raketen und für den Frieden zu demonstrieren. Laurien wird dem neuen Senat nicht angehören, weil sie nicht ihr „eigener Nachfolger werden will“.
Nachfolger ihrer Couleur sind nicht in Sicht, selbst Heinrich Lummer hat kaum Chancen auf eine neuerliche Senatskarriere. Aber auch auf der Linken, die im alten CDU/ FDP-Senat mit Namen wie Ulf Fink verbunden war, hat sich einzig und allein Volker Hassemer halten können. Während Diepgen und Landowsky durch den Machtentzug wie gelähmt erschienen, nutzte Hassemer die Oppositionszeit und tat sich als kämpferischer und rhetorisch brillanter Widerpart zur AL-Umweltsenatorin Michaele Schreyer hervor. Die Opposition habe ihn belebt „wie eine Massagekur“, sagt Hassemer.
Technokraten werden Senatoren
Damit ist er eine Ausnahme. Unter den neuen Namen, die nun für Senatorenposten im Umlauf sind, sind fast ausschließlich Technokraten — und keine einzige Frau. „Frauen sind nicht unsere Stärke“, räumen linke Christdemokraten ein. Freilich darf man darüber streiten, ob denn dann Männer die Stärke der Partei sind, ob die Berliner CDU mehr ist als die Hilfstruppe ihrer Parteiführung. Neue profilierte Leute kommen kaum nach oben, sie könnten den etablierten Machthabern ja gefährlich werden. Lieber schon holen sich Diepgen und Landowsky Importe aus Westdeutschland, die klingende Namen, aber keine Hausmacht in Berlin ausspielen können.
Diepgen und Landowsky sehen ihre Position in der Partei nach dem neuerlichen Wahlsieg gestärkt. Von den Konservativen ist nichts mehr zu hören, die vom linken Flügel angezettelten „Reformdiskussionen“ haben sich als „periphere Diskussionen“ entpuppt — so sieht es zumindest Landowsky. Bedeutsamer für die Regierungspolitik der CDU werden wohl die Erwartungen der alten und der neugewonnenen Wähler werden. Die CDU hat vor allem in Arbeitnehmerbezirken zugelegt, bei Menschen, die früher traditionell SPD wählten, sich durch die rot- grüne Verkehrspolitik jedoch „schikaniert“ fühlten — so zumindest lautet Landowskys Lieblingsetikett für Verkehrsberuhigung und Tempobegrenzung. Dieser Gruppe radikalisierter Opel-Fahrer zuliebe muß die CDU nun zeigen, daß sie, so Hassemer, die „rot-grünen Standarten“ wieder einholt: Tempo 100 auf der Avus oder die Busspur auf dem Kurfürstendamm. Die Politik werde nun „mehr Rücksicht auf breite Bedürfnisse“ nehmen, sagt Landowsky. Im Umkehrschluß: Ausländer und andere Minderheiten können auf weniger Rücksicht zählen.
Die Welt gerät aus den Fugen
Der alte CDU/FDP-Senat sei abgewählt worden, weil man den Sinn für die Alltagssorgen der Wähler vermißt und ein „Defizit an Tagespolitik“ gezeigt habe, resümieren Diepgen und Landowsky. Das soll nun nicht ein zweites Mal geschehen. Diepgen hatte sich nicht gescheut, solche Petitessen zum Wahlkampf- Thema zu erheben, wie das auf den Straßen der Stadt grassierende „Hütchenspiel“, bei dem naive Zeitgenossen ihrer Hundertmarkscheine entledigt werden. Mehr Sauberkeit auf den Straßen — das sei enorm wichtig für die Befindlichkeit des Berliners, glauben die Christdemokraten. Viele ihrer Wähler fühlten sich an den Beginn der achtziger Jahre erinnert, kontinuierlich werde die Stadt „ein bißchen schmutziger“: Was unbefangenen Beobachtern als unvermeidliche Begleiterscheinung der Großstadtwerdung erscheint, weckt beim alteingesessenen Mauer- Berliner Ahnungen einer aus den Fugen geratenden Welt.
Das mag in besonderem Maß für Bewohner des Ostteils der Stast gelten, wo die Straßen noch schmutziger und das Sicherheitsbedürfnis größer ist. Die Christdemokraten aus Ost-Berlin stellen ein Viertel der CDU-Fraktion im Gesamtberliner Abgeordnetenhaus. Welche Rolle sie spielen werden, ist ungewiß. Das schlechte Gewissen der Blockpartei führte dazu, daß sie sich zumindest anfangs im noch amtierenden Ostberliner Magistrat hinter dem Koalitionspartner SPD fast schon versteckte. Die große Koalition, die dort formal regierte, war auch programmatisch wenig mehr als der Wurmfortsatz der rot-grünen Koalition im Westteil. Der Zusammenschluß der Unionisten aus Ost und West werde nun den sozial orientierten Flügel seiner Partei stärken, hofft Hassemer. Die Parteifreunde aus dem Osten müßten als Seismograph dortiger Sorgen auch „größere Wirkung“ haben, als ihre numerische Stärke in der Fraktion es nahelegen würde. Sie bräuchten Entwicklungshilfe, gesteht Hassemer: Selbst seien sie noch nicht in der Lage, „sich Gewicht zu verschaffen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen