Die weltbeste Mittelstreckenläuferin: Rasante Ritterin vom Rift Valley
Vivian Cheruiyot ist nicht nur die Goldmedaillenhoffnung Kenias. Gewinnt sie, hätte der vernachlässigte Frauen- und Mädchensport auch ein uneinholbares Vorbild.
Als sie die Trophäe in der Hand hielt, war sie endlich gut zu hören. „Vielen Dank, das hatte ich nicht erwartet. Ich genieße euer Interesse wirklich sehr“, hallte es durch die besonders weit aufgedrehten Lautsprecher. Vivian Cheruiyot war gerade mit dem Laureus Award als weltbeste Sportlerin des vergangenen Jahres ausgezeichnet worden, Anfang Februar in London. Der Saal war gefüllt mit lächelnden Gesichtern und die Anwesenden freuten sich über den Erfolg der immer freundlichen Kenianerin.
Wer Vivian Cheruiyot zum ersten Mal sieht, glaubt kaum, dass sich hinter dieser Frau die aktuell beste Mittelstreckenläuferin der Welt verbirgt. Sie misst 1,55 Meter und wiegt 38 Kilo, die Maße eines Mädchens in der Pubertät. Ihre lockigen Haare lassen ihr Gesicht mit den leuchtenden Augen und dem weit aufgerissenen Lächeln noch kleiner erscheinen. Ihr Händedruck ist fast keiner, so wenig Kraft scheint in ihrer Hand zu stecken. Die Oberschenkel, ihr Hauptarbeitsgerät, wirken dünn und zierlich.
Aber wer der 28-Jährigen im vergangenen Jahr beim Finallauf der Weltmeisterschaft im südkoreanischen Daegu zugeschaut hat, versteht, wer Vivian Cheruiyot ist. Sie rannte ihren größeren und schwereren Konkurrenten so leichtfüßig davon, dass an ihrem Weltmeistertitel nicht zu rütteln war. Es war schon die zweite WM-Goldmedaille über 5.000 Meter in ihrer Karriere, und kurz zuvor hatte sie erstmals auch über 10.000 Meter gewonnen. So wurde Vivan Cheruiyot in Daegu zur ersten Läuferin ihres Landes, die in zwei Einzeldisziplinen Weltmeisterin wurde.
Vorzeigeathletin Kenias
Es ist eine gewaltige Leistung, die sie zum Weltstar in der Leichtathletik und zur Vorzeigeathletin Kenias machte. Als Mädchen trainierte Vivian Cheruiyot nur mit Jungen, wofür sie anfangs regelmäßig schiefe Blicke bekam, wie sie sagt. Mit 14 Jahren begann sie mit ernsthaftem Lauftraining, Spitzenleistungen folgten schnell. Für die Olympischen Spiele von Sydney 2000 qualifizierte sie sich als 17-jährige, für Athen 2004 nicht. Doch 2008 in Peking beendete Cheruiyot das Rennen auf 5.000 Metern als Fünfte, bei der WM in Berlin wurde sie erstmals Weltmeisterin. Zwei Jahre später folgten die sagenhaften Läufe in Daegu.
Zuletzt wurde der zierlichen Athletin von ihrer Volksgruppe der Kalenjin aus der Provinz Rift Valley auch ein Ritterorden verliehen, eine für Frauen bisher ungewöhnliche Ehre, wie auch der Chef des kenianischen Olympiakomitees bestätigt, Kip Keino. Er rechnet damit, dass sie in London ihre persönliche Bestzeit übertrifft und dadurch wieder Gold holt. „Das ist wichtig, weil sie dadurch eine Botschafterrolle für den Frauensport in unserem Land übernimmt“, sagt er. In Kenia, wie überall in Afrika, dominiert der Männersport die öffentliche Wahrnehmung.
Auch Cheruiyot selbst sagt, sie wolle nun den Breitensport unter Mädchen fördern. „Jetzt will ich Botschafterin werden. Ich wünsche mir, dass alle Mädchen und auch alle Jungen Sport treiben“, sagt sie leise und rollt dabei etwas verlegen ihren Kopf.
Polizistin und Spitzensportlerin
„Wenn Vivian das sagt, hat das Gewicht“, glaubt der kenianische Journalist Elias Makori. „Sie ist sehr beliebt und respektiert in unserem Land.“ Wie viele kenianische Athleten ist Vivian Cheruiyot offiziell Polizistin. Ein Job auf dem Papier, der es ihr erlaubt, sorgenfrei ihre täglichen Trainingspläne zu erfüllen.
Es sei „üblich, dass Spitzensportler durch die Polizei gehen und dort gefördert werden“, erklärt Kip Keino. „Da können sie trainieren, wann sie wollen.“ Polizisten stehen auf der Skala der öffentlichen Verehrung in Kenia ungefähr am entgegengesetzten Ende von Sportlern.
Als Polizistin kann Cheruiyot nach Ende ihrer Karriere ihrem Wunsch nachgehen, Nachwuchssportler in Akademien zu fördern. „Als Trainerin für Kinder will ich arbeiten“, kündigt sie an. Ein weiteres sportliches Vorhaben ist die Marathonstrecke. Die will sie in „vier oder fünf Jahren“ angehen und noch auf hohem Niveau laufen. „Mal sehen.“ Am Freitag startet Vivian Cheruiyot auf der 10.000-Meter-Strecke.
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