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Die vier Spaßmacher

Sie machen es mit Globalsprache, Fernseher im Bauch und Antennen auf dem Kopf: die Teletubbies. Die Fantastischsten Vier bringen seit einem Jahr den Terror der Freundlichkeit nicht nur in die Welt der Kleinkinder. Sie sind bei Eltern und Großeltern ebenso umstritten wie vor knapp dreißig Jahren die HeldInnen aus der Sesamstraße. Ein Friedensangebot

von VOLKER WEIDERMANN

Die Moorhühner freuen sich: Seit einigen Tagen werden sie in ihrer virtuellen Welt, die mit so großem Erfolg nur für ihren Abschuss eingerichtet wurde, fast völlig in Ruhe gelassen. Die Schlächterseite Games.de: ein Moorhuhnidyll. Die Jäger zu Hause am Computer sind nur einen Mausklick weitergereist. In ein Land, das noch unschuldigere, noch friedlichere Bewohner kennt, als es Moorhühner je sein können: ins Teletubbieland. Ab sofort werden Teletubbies geschossen. Mit einem schnellen Mausklick einfach hingerichtet. Der Chefredakteur von Games.de erläutert: „Das macht natürlich Riesenspaß. Die Teletubbies, die hasst doch heute jeder.“

Ach? Jeder? Ja warum denn? Seit einem Jahr tänzeln die vier manischen Spaßhaber durchs deutsche Kinderfernsehen, und unter Erwachsenen haben sie wirklich nicht allzu viele Freunde. Das einfache Abschießen ist im Internet noch eine der freundlichsten Hinrichtungsvarianten. Auf anderen Teletubbyhassseiten wird das Friedensquartett regelrecht zur Schlachtung freigegeben, ausgewaidet, gesteinigt, überfahren und verbrannt. In Comedysendungen im Fernsehen werden sie aufgeschlitzt und mit Ketchup und Spaghetti gefüllt. Eltern reagieren entsetzt, gereizt, empört, Pädagogen trauern, und Thomas Assheuer, der Zeit-Redakteur für Bedenklichstes, schrieb, vielleicht hätten die Kritiker recht, die „am Rande des Tubbyblumenbeets den bellenden Hund der Apokalypse und den Untergang der Kindheit“ entdeckten.

So hat man sich in Deutschland nur einmal zuvor über die Einführung eines Kinderprogramms empört: „Sesamstraße“ hieß die hinterhältige Attacke aus Amerika, die 1971 das deutsche Kinderzimmer bedrohte. Neurosen! befürchteten Kritiker damals, Aggressionen!, Weltentfremdung!, und die dritten Programme in Süddeutschland beschlossen, die gefährliche Kindersendung zu boykottieren. Mit mitunter rassistischen Argumenten: „Dass Sesamstraße den amerikanischen Kindern aus den Farbigenghettos und den dortigen Unterprivilegierten angepasst ist, steht außer Zweifel“, begründete der Bayrische Rundfunk seine Entscheidung.

Dreißig Jahre später müssen die Teletubbies einen ähnlich schweren Weg gehen. Vielleicht einen noch schwereren. Denn „Teletubbies“ ist Fernsehen für die, die eigentlich wirklich noch nicht vor der Glotze hängen sollten. „Teletubbies“ ist Fernsehen fürs Krabbelalter, für die Ein- bis Dreijährigen. Und während man der Sesamstraße nach zähen Kämpfen fast unisono einen pädagogischen Nutzen und spielerische Lerneffekte (Grobi: „Jetzt bin ich gaaaanz naaaaah!“) zugestand, müssen sich die Teletubbies den Vorwurf gefallen lassen, die Kleinkinder in ihrer Entwicklung zu hemmen.

Insbesondere ihre Sprache ist den Bedenkenträgern ein Dorn im Auge: sinnloses Gebrabbel, dadaistische Sprachverfremdung, unverständliches Babysprech, alberne Wortverformung, nervtötende Endloswiederholungen. Was Eltern bei ihren Kindern und deren Freunden niedlich finden, ist im Fernsehen gefährlich. Denn hier, aus dem Empfangsgerät, muss rauskommen, wie man’s richtig macht. So viel Fernsehautoritätshörigkeit ist allerdings ein typisch elterliches Konstrukt. Die Kinder sehen das zwangloser und können sehr wohl unterscheiden, zwischen „ihrer“ und „richtiger“ Sprache, zwischen Kinder- und Erwachsenensprech, egal ob im Fernseher oder im wirklichen Leben.

Die Kinder wissen eins ganz genau: Was ihnen wirklich Spaß bereitet. Und da können Fernsehkritiker in der Theorie reden, was sie wollen. Wer einmal die Teletubbies zusammen mit einem Kleinkind sah, dessen kritische Stimme wird danach ganz bestimmt ein gutes Stück leiser sein: jauchzende Begeisterung, Euphorie, aufgeregtes In-der-Wohnung-Herumlaufen, um die besten Szenen nachzustellen, Gegenstände herbeiholen, die gerade auf dem Tubbiebaum versteckt wurden, die kommenden Worte schon mal vorwegnehmen und sich schneeköniglich freuen, wenn man auf das richtige Wort gesetzt hat. Eine Atmosphäre, wie sie Erwachsene höchstens vielleicht von Fußball-WM-Endspielen kennen. Das ist Teletubbieschauen für Kinder. Und Eltern sitzen fassungslos dabei. Schauen auf ihr Kind. Auf den Fernseher dann. Und wundern sich. Vielleicht ist die unaufhebbare Trennung zwischen Elternwelt und Kinderwelt selten zuvor so offenbar geworden wie bei dieser Kindersendung. Sie ist für Eltern unverständlich. Natürlich setzen da Abwehrmechanismen ein. Und was in diesem Zusammenhang oft eine Verteidigung der Kindheit genannt wird, ist vielleicht eher eine Verteidigung der Elternschaft. Neil Postman, notorischster Kritiker der Unterhaltungsindustrie und Professor für „Medienökologie“ in New York, hat es in seinem kürzlich erschienenen Buch „Die zweite Aufklärung“ so genannt: „Wenn Eltern ihren Kindern die Kindheit bewahren wollen, müssen sie ihre Elternschaft als einen Akt der Rebellion gegen die zeitgenössische Kultur begreifen.“ Seit der Einführung der Teletubbies ist diese Rebellion noch schwieriger geworden.

In der Teletubbiewelt kommen Erwachsene praktisch nicht vor. Höchstens mal zwischendurch in dem kleinen Lehrfilm, der auf dem Bildschirmbauch von Po oder Laa-Laa, Tinky Winky oder Dipsy eingespielt wird. Hier, in diesen Filmen, in denen sich für den Erwachsenenblick eher fast gar nichts ereignet (Kinder malen ein grünes Bild, Kinder verstecken sich, Kinder füttern Hühner, Kinder manschen einen Tortenguss), geben manchmal Erwachsene den Anstoß zum Handeln. Sie verschwinden dann aber schnell. In der Teletubbiewelt haben sie nichts zu sagen.

Der kleine Film wird immer zweimal gezeigt. Das ist eine Regel. Die steht fest. Aber er wird auch nicht einfach so zweimal gezeigt. Zuerst müssen alle Teletubbies verzückt „no--mal, no--mal, no--mal“ gerufen haben. Dann gibts’s den Film noch mal. Genau den gleichen. Und das ist scheinbar nicht etwa langweilig, sondern doppelt interessant. Der kleine Zuschauer weiß grob, worum es geht, und kann die Mitzuschauer schon im Vorfeld glücklich auf die Höhepunkte des Filmchens hinweisen.

Das Prinzip Wiederholung ist eines der Geheimnisse der Sendung. Keine Szene aus dem Teletubbieleben wird einfach nur einmal kurz durchgespielt. Zwei-, drei-, viermal muss es schon sein. Nicht einmal Tubbietoast fliegen lassen, sondern viermal, nicht einmal Tubbierutschbahn rutschen, sondern viermal. Das Glück des kleinen Betrachters steigert sich von Mal zu Mal. Auch die immer wiederkehrenden Begrüßungs- und Verabschiedungsrituale, die unverrückbar festzustehen scheinen, sind ein großer Freudenanlass.

Vor allem aber ist das Teletubbieland ein Land der totalen Harmonie, des ungetrübten Glücks. Was die Internetaktivisten zu ihren virtuellen Mordattacken treibt, dieser Terror der totalen Nettigkeit, die Manie der Allfreundlichkeit und des vollkommenen Glücks, das macht die Kinder einfach froh. Auf Planet Teletubby gibt es keinen Streit, keine Bedrohung und keine Angst. Und wenn doch mal etwas Unerfreuliches geschieht – Staubsauger Noo-Noo saugt Sachen ein, die nicht zum Einsaugen sind, der Tubbytoaster wirft Unmengen von lächelnden Tubbytoasts ins tubbytronische Superiglu, ein Löwe auf Bärenjagd schwingt bedrohliche Reden –, dann wird die scheinbar drohende Gefahr ganz einfach gemeinsam weggelacht. Wird schon so schlimm nicht sein. Und dann kugelt man sich so auf dem Boden, schwingt sich wieder auf und ruft: „Komm wir schmuuuuusen!“, und dann bleibt alles weiter gut. – Wenn sich im Teletubbyland der Untergang der Kindheit spiegelt, dann würden wir gern mit ihr zusammen untergehn.

Planet Teletubby ist der Traum von der kleinen gemeinschaftlichen Welt, von der Einheit, Ganzheit und vom Glück. Dass das alles nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat, wissen auch die kleinsten Menschen schon recht genau. Es ist ein Traum, den manchmal auch alte Menschen no--mal träumen: Der Literaturwissenschaftler John Bayley erzählt in seinen kürzlich auf Deutsch erschienenen wunderbaren Erinnerungen an seine alzheimererkrankte Frau, die Philosophin Iris Murdoch, von den letzten Momenten der Harmonie und des gemeinsamen Glücks: teletubbieschauend vor dem Fernseher.

VOLKER WEIDERMANN, 30, sesamstraßen- und sendung-mit-der-maus-sozialisiert, ist taz-Redakteur in der Schwerpunkt- und der Kulturredaktion

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