■ Die taz ist 18. Was hat sich geändert seit den Kindertagen? Wie soll es weitergehen ins Alter? Ein Streitgespräch mit taz-Mitbegründerin Ute Scheub (41). Moderation: Korbinian Frenzel: "Lieber ein tanzendes Chaos"
Die taz ist 18. Was hat sich geändert seit den Kindertagen? Wie soll es weitergehen ins Alter?
Ein Streitgespräch mit taz-Mitbegründerin Ute Scheub (41). Moderation: Korbinian Frenzel
„Lieber ein tanzendes Chaos“
Korbinian Frenzel: Ich stelle mal die These in den Raum: Die taz ist nicht mehr das, was sie war, als sie gegründet wurde.
Ute Scheub: Selbstverständlich: wäre ja auch schlimm.
Jens Weide: Ich fände das nicht schlimm. Damals haben alle den gleichen Lohn erhalten, niemand war Chef. Ich habe alte Ausgaben gelesen, wo sich alle über Inhalte plenar Gedanken gemacht haben, heute kommt eine und sagt: Ich bin die Chefredakteurin. Erst dann sagt sie ihren Namen.
Ute Scheub: Bei der taz herrscht im Vergleich zu anderen Medien immer noch eine äußerst milde Variante von Hierarchie. Ich sehne mich nicht nach der Plenardemokratie zurück. Sie war originell, aber irre chaotisch und ineffektiv.
Jens Weide: Aber ihr wart politisch viel offensiver, zum Beispiel mit Waffensammlungen für die Guerilla in El Salvador.
Ute Scheub: Ich denke ja auch ganz gern an die damalige Zeit zurück. Eine Zeitung zu gründen, das war furchtbar aufregend. Die taz brachte damals wahrscheinlich mehr Originalität rüber, aber auch mehr Schrott und unlesbares Zeug.
Jens Weide: Ihr wart in der Offensive, dann habt ihr euch angepaßt und euch von einer radikal linken Position zu einer deutlich gemäßigteren bewegt. Ihr seid mit dem Strom geschwommen.
Ute Scheub: Der Strom ist mit dem Strom geschwommen, die Zeiten haben sich völlig verändert. Spätestens seit dem Mauerfall wissen wir alle nicht mehr genau, was links ist. Ich persönlich definiere das so: Links sein heißt, nie aufzuhören, Macht und Mächtige zu kritisieren.
Jens Weide: Hat die taz nicht die Aufgabe, die Dinge radikaler zu benennen?
Ute Scheub: Was ist „radikaler“?
Jens Weide: Zum Beispiel Waffen für die Túpac Amaru in Peru.
Ute Scheub: Fändest du das toll?
Jens Weide: Fände ich nicht toll. Ich halte Krieg immer für problematisch. Aber wenn ein Volk derart unterdrückt wird, wird es sich unter dieser Armee dort nicht befreien können.
Ute Scheub: Fragt sich, ob es sich mit der anderen Armee befreien kann. Ich finde es lebensnotwendig, auch Befreiungsbewegungen nicht von Kritik auszunehmen. Und guck doch bitte die Befreiungsbewegung von El Salvador an, die sitzt heute ganz brav und bürgerlich im Parlament.
Jens Weide: Ist das positiv? Ist eure Entwicklung positiv? Die einzigen ausländisch aussehenden Menschen in der taz verkaufen Getränke oder machen sauber. Klar haben sich die Zeiten verändert. Aber findest du es nicht schade, daß ihr euch mitverändert habt?
Ute Scheub: Ich für meine Person habe das Gefühl, mich vielleicht sogar zuwenig verändert zu haben. Meine Ziele und Positionen – Kritik am Kapitalismus und Realsozialismus, Sympathie für direkte Demokratie, Pflegen von linker Streitkultur – haben sich kaum geändert.
Korbinian Frenzel: Gibt es zwischen 68ern und neuen Linken einen Ideologiekonflikt?
Ute Scheub: Was ist denn die neue Linke?
Jens Weide: Wenn ich als Vertreter der neuen Linken vor einer Vertreterin der alten Linken sitze und das Kollektivprinzip fordere.
Ute Scheub: Ich betreibe jetzt mal widerliche Vereinnahmungspolitik: Mir dir käme ich prima klar.
Korbinian Frenzel: Könntet ihr zusammen Zeitung machen? Auch wenn er seinen Aufruf „Demontiert Schienen“ reinbringt?
Ute Scheub: Davon würde ich aus juristischen Gründen abraten. Das kann man geschickter machen. Es ist ja kein Geheimnis, daß wir den Widerstand gegen Castor unterstützt haben.
Jens Weide: Auch mit einer Bauanleitung für Wurfanker?
Ute Scheub: Na ja, Bahnanschläge finde ich nicht so witzig.
Jens Weide: Warum habt ihr heute keinen Stern mehr im Titelzug „tageszeitung“?
Ute Scheub: Hatten wir nie.
Jens Weide: Hier, bitte, eine alte Ausgabe mit Stern.
Ute Scheub: Stimmt. Peinlich. Kann ich mich nicht dran erinnern.
Jens Weide: Fakten, Fakten, Fakten! Wie wär's mit 'ner Faust?
Ute Scheub: Das ist einfach ein doofes Machosymbol.
Korbinian Frenzel: Ist die taz heute noch anders als die „Frankfurter Rundschau“?
Ute Scheub: Jein. Ich bilde mir ein, wir haben immer noch andere Themen, einen frecheren, witzigeren Stil, ein bißchen mehr Fantasie.
Korbinian Frenzel: Die Entstehungsgeschichte von taz und Grünen verlief ja recht parallel. Kriegt man da nicht Angst, wenn man sieht, daß die Partei kurz vor der Regierungsübernahme steht?
Ute Scheub: Ich persönlich habe nicht mehr dieses enge emotionale Verhältnis zu den Grünen. Jetzt sind sie halt das kleinste Übel.
Korbinian Frenzel: Ist das Altersresignation?
Ute Scheub: Altersweisheit.
Korbinian Frenzel: Ist für einen jungen Linken die taz heute noch die richtige Zeitung?
Jens Weide: Ich lese lieber „junge Welt“ und „Frankfurter Rundschau“.
Ute Scheub: Aber du machst hier mit.
Jens Weide: Findest du es nicht ungerecht, daß eure Putzfrau schlechter bezahlt wird als du?
Ute Scheub: Jein.
Korbinian Frenzel: Klingt ganz schön sozialdemokratisch.
Ute Scheub: Damit kannst du mich nicht schrecken. Ich bin von jeder Partei weit entfernt.
Korbinian Frenzel: Jens, wolltest du bei der taz, wie sie heute ist, als Redakteur arbeiten?
Jens Weide: Mir wäre ein tanzendes Chaos lieber. Das kreativste Element ist Chaos. Dabei entsteht manchmal Müll und manchmal das Beste überhaupt.
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