Die steile These: Baut neue Denkmäler!
Überall in der Welt werden gerade Monumente gestürzt. Das ist okay. Aber es wäre gut, neue zu errichten – zum Beispiel für Gastarbeiter.
Weil die Gelegenheit günstig ist, weil es einem eh schon länger peinlich war oder um krasseren Aufruhr im Keim zu ersticken – gerade kriegt man den Eindruck, als würden die Bürgermeister*innen dieser Welt ihren kolonialen Denkmälern höchstpersönlich Schilder mit der Aufschrift „Bitte umschmeißen“ um den Hals hängen.
Bloß weg damit! In den USA gibt es sogar Bundesstaaten, die dieser Tage ein Verbot kolonialer Denkmäler in die Wege leiten.
Alles, was einst auf Sockel gehoben wurde, wackelt. Insbesondere Männer in Mänteln, auf Pferden, mit grimmigen Gesichtern und rassistischer Vergangenheit. Die äußerst unbequem gewordene, in Stein gegossene Erinnerung, die sogenannten „belasteten Denkmäler“ werden von Richmond, Virginia, bis ins belgische Antwerpen in Flüsse, Keller und auf den Sperrmüll verbracht. Neben Eroberern und Kriegern erwischt es auch amerikanische Verfassungsväter (Thomas Jefferson), deutsche Philosophen (Kant und Hegel) und britische Hitler-Gegner (Winston Churchill).
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Ausgelöst durch die weltweiten Proteste gegen rassistische Polizeigewalt und die Solidarisierung mit der Black-Lives-Matter-Bewegung hat ein Denkmalsturm begonnen, den jahrzehntelange akademische Diskurse und gesellschaftliche Initiativen nicht besorgen konnten.
Was da also wackelt, fällt und stürzt, hatte schon lange keinen guten Stand mehr. Kunsthistoriker*innen, aber auch antikoloniale Aktivist*innen sind alarmiert und kritisieren, dass es mit dem Wegräumen des alten Plunders nicht getan ist, und fordern die Umgestaltung dieser Denkmäler. Koloniale Geschichte und ihre Nichtaufarbeitung sollten nicht einfach vergessen, ausgelöscht und damit unsichtbar werden.
Doch braucht eine demokratische, internationale, diverse, liberale, offene Gesellschaft überhaupt noch Denkmäler? Ich finde: ja. Ich finde sogar: Nachdem jetzt kräftig aussortiert wird, kann dann auch wieder neu eingerichtet, also errichtet, werden.
Klar: In Zeiten des Niedrigschwelligen (Leichte Sprache, Inklusion, Betroffenenperspektive) ist das Hochstehende, Angestrahlte und Ausgestellte suspekt geworden. Allein das Wort Denkmal auszusprechen wirbelt schon mindestens so viel Staub und Taubendreck auf, wie auf den meisten von ihnen wirklich liegt.
Das Denkmal ist die schwere Schrankwand unter den Einrichtungsgegenständen in Städten, Dörfern und Gegenden. Einst vom Urgroßvater mit Stolz angefertigt, war es schon für die Söhne und Töchter eine Erblast, für deren Kinder ein Fremdkörper, und nun misten die Enkel aus.
Aber sollen wir jetzt auch die öffentlichen Orte mit radikal reduzierten Accessoires im luftig leichten Minimalismus-Stil belassen und nur hier und da ein Nierentischchen, einen Pouf, eine Stehleuchte hinstellen, maximal ein raffiniertes historisches Detail platzieren, etwa einen Humidor aus spanischem Zedernholz oder Honduras Mahagoni? So kalt und karg, wie es in den Schöner-wohnen-Lofts zugeht, wird dann auch das öffentliche Leben sein.
Schon jetzt ist der öffentliche Raum in den neuen Trabantensiedlungen mit seinen glatten Betonflächen vor allem als Trainingsraum für den Feierabendworkout gedacht. Arg überinterpretiert könnte man zwar sagen, dass diese kalten, zugigen, unfreundlichen Stahlglasbetonmixsiedlungen eine Hommage, eine Erinnerung an das untergegangene Industriezeitalter sind, und also ein Denkmal.
Ein noch viel größerer Graus aber sind in diesen neuen sterilen Wohnanlagen die immer dazugehörenden Plastiken und Skulpturen, die den Raum „aufwerten“ sollen, aber aussehen, als hätte man sie als Schnäppchenangebot im Baumarkt gekauft und auch genauso sinnlos sind.
Vor den allermeisten historischen Denkmälern aber steht doch jeder erst mal mit der Frage: „Wer war das überhaupt?“ Ich halte das für eine wichtige Frage. Ein Denkmal ist wie ein Stolperstein. Selbst wenn man jahrelang über ihn drüber- oder an ihm vorbeiläuft, ohne sich darum zu scheren, irgendwann mal will man ja doch wissen, wer oder was da eigentlich auf den Sockel gehoben wurde.
„Kanaken“ und „Spaghettifresser“
Ein Denkmal kann dabei behilflich sein, zu erfahren, wer die Herero waren und was Deutsche ihnen angetan haben, oder dass das Wirtschaftswonderland BRD ohne die Hilfe der „Ausländer“, „Kanaken“ und „Spaghettifresser“ weniger schnell und billig zu dem geworden wäre, was es heute ist.
Seit Jahren wird auch in Deutschland eine zentrale Gedenkstätte für die Opfer des Kolonialismus in Berlin gefordert, was Kulturstaatsministerin Monika Grütters und die Staatssekretärin für Internationale Kulturpolitik, Michelle Müntefering, prinzipiell gut fänden.
Aber mal abgesehen von der Frage, ob die Zentralisierung von Erinnerung, wie es in Berlin das Holocaustmahnmal als Pionierprojekt ist, tatsächlich so eine gute Idee ist, scheint die Debatte um die Errichtung neuer, zeitgemäßerer Denkmäler genauso lang zu dauern, wie es gedauert hat, die Altlasten loszuwerden.
So wie beispielsweise ein Denkmal für die Gastarbeiter*innen. 2019 forderte Michelle Müntefering sogar auch für diese Gruppe ein zentrales Monument. Schon seit 2004 aber gibt es in Frankfurt eine Initiative für ein solches Denkmal am Hauptbahnhof, der neben dem Münchner Pendant der zentrale Ankunftsort für die zwischen 1955 und 1973 angeworbenen Menschen aus der Türkei, Italien, Spanien und Jugoslawien war.
Auch in Wien, Essen und anderswo gibt es solche Initiativen seit Jahren. Allein die Stadt Frankfurt hatte vor 16 Jahren einen Wettbewerb ausgeschrieben und schon einen Sieger gekürt. Die Realisierung scheiterte aber angeblich an der Deutschen Bahn, der Eigentümerin des Bahnhofsplatzes.
Immer wieder mal gab es kleinere, provisorische, mobile Denkmäler für diese Gruppe, die im Zuge des von den Alliierten beschlossenen Wiederaufbaus von Deutschland gerufen wurden. Es gibt aber – meines Wissens – bislang nur ein einziges fest installiertes Denkmal: Es handelt sich um einen in Beton gegossenen Ford Transit in Miniaturform, der über und über mit verschnürtem Dachgepäck aus Matratzen, Koffern, Hühnerställen und Waschmaschinen beladen ist und auf einem kleinen Sockel in Bremen steht. Es erinnert an die Sommerreisen der Gastarbeiter*innen in ihre Herkunftsländer.
Sie brachten Urlaubsorte und Auberginen
Zwar fuhren viele von ihnen damals gar nicht Ford Transit, sondern Ford Taunus, aber geschenkt. Das damalige Lebensgefühl dieser Menschen – im Transit zu leben – ist mit dem Namen des Kleintransporters einfach perfekt getroffen.
Diese Menschen wussten irgendwann nicht mehr, wo sie eigentlich zu Hause waren. Dort, wo sie geboren waren und ihre Ferien verbrachten, oder dort, wo sie arbeiteten, lebten, ihre Kinder bekamen und Steuern zahlten? Waren sie gekommen, um wieder zu gehen oder um zu bleiben? Der deutsche Staat und die deutsche Gesellschaft hat ihnen diese Entscheidung jahrzehntelang äußerst schwer gemacht. Begriffe wie Einwanderungsland und Willkommenskultur waren bis weit in die 1990er Jahre keine Option.
Es ist Zeit, dass diese Republik die Gastarbeiter*innen würdigt. Jene Menschen, die nicht nur an den Fließbändern und Baustellen ablieferten, sondern den Deutschen auch Urlaubsorte und Auberginen brachten und in den Debatten über Integration, Nation, Rassismus und Diskriminierung so einiges geleistet haben.
Der Guerillero Ernesto Che Guevara forderte 1967: „Schaffen wir zwei, drei, viele Vietnam!“ Damit rief er zum weltweiten bewaffneten Aufstand gegen den Imperialismus auf. Die Idealisierung dieses bewaffneten Kampfs ist längst von ihrem Sockel geholt und Che Guevara auch schon eine mit dick Taubendreck verstaubte Ikone geworden. Trotzdem spricht nichts gegen die Idee einer unbewaffneten Revolution der Erinnerungskultur weltweit. Und deswegen: Schaffen wir zwei, drei, viele Denkmäler!
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