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■ Die selbsternannte „Zweite Generation“ der Grünen fordert ein neues Grundsatzprogramm: Die Partei soll das „Erbe des verantwortungsvollen Liberalismus“ antreten. Wir dokumentieren das langatmige Papier in AuszügenJunge Grüne zeigen Muckis

DIE GRÜNEN sind in der Krise – ihnen fehlt programmatische Orientierung, Einigkeit im politischen Handeln, und die WählerInnen wenden sich auch ab. So könnte man die Sicht der Leitartikler und der Öffentlichkeit auf die Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nach nunmehr acht Monaten Regierungsbeteiligung zusammenfassen. Wir meinen, die GRÜNEN stehen in der Tat am Scheideweg: Entweder sie katapultieren sich selbst zunehmend in die Bedeutungslosigkeit oder sie stellen sich endlich auch als Partei ihrer Verantwortung zur Gestaltung dieser Republik.

Das GRÜNEN-Programm gleicht mittlerweile einem Dachboden: Alles, was einem früher gut gefallen hat, aber längst ausrangiert ist, landet dort. (...) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben eine zweite Chance verdient und eine zweite Generation nötig. (...) Wir Jungen als Teil der zweiten Generation wollen und können dem Treiben der vielen moralisierenden Besserwisser in unserer Partei aus der Gründergeneration nicht mehr tatenlos zusehen (...) Wir treten dabei ein für eine klare, machtbewußte, pragmatische Positionierung, aber auch für eine teilweise Auswechslung der Mitgliedschaft: Wer zur Nichtwahl von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei der Europawahl aufgerufen hat, die Zahlung von Mitgliedsbeiträgen einstellt, sich in Netzwerken zusammenschließt, einzig mit dem Ziel, Mehrheitsbeschlüsse der Partei zu torpedieren, und wer sich explizit allen Wahlkampfaktivitäten verweigert, sollte sich überlegen, ob er nicht in einer linken Folkloregruppe besser aufgehoben ist, als in einer Partei. (...)

Schluß mit dem Ritual der alternativen Bewegung: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sind eine Partei, wie andere auch. Wir sollten nicht versuchen, die besseren Menschen zu sein, sondern daran arbeiten, die überzeugenderen Konzepte zu haben. (...)

Schluß mit den Geschichten von 68: Wir verstehen gut, daß der Gründergeneration der Schritt von der Bewegung zur Partei schwer fällt. Sahen sie sich doch selbst in den wilden Tagen von 68 und danach als Avantgarde einer gesellschaftsverändernden Bewegung. Sie haben damit viel erreicht, hierfür herzlichen Dank und eine Bitte: Hört auf, die Republik mit den Geschichten von damals zu nerven. (...)

Schluß mit der Identität von Lebensgefühl und Politik: GRÜN sein und alternativ sein, sind heute zwei verschiedene Dinge. (...) Es ist eben nicht Aufgabe einer Partei, den Menschen mit erhobenem Zeigefinger den Besuch bei McDonalds zu vermiesen, sondern Anreize dafür zu schaffen, daß unnötige Einwegverpackungen ersetzt oder vermieden werden. Es ist eben nicht Aufgabe einer Partei, den Menschen vorzuschreiben, daß sie nur noch alle fünf Jahre mit dem Flugzeug in den Urlaub fliegen dürfen, sondern die steuerliche Ungleichbehandlung der Verkehrsmittel zu korrigieren. Es ist eben nicht Aufgabe einer Partei, Autofahrer zu verteufeln, sondern umweltfreundlichere Alternativen zu schaffen. (...)

DIE GRÜNEN waren, sind und sollten die Umweltpartei bleiben. Über den Tag hinaus denken, die Folgen unseres Handelns für spätere Generationen bedenken – das ist in der Umweltpolitik richtig und könnte auch in der Haushalts- und Finanzpolitik zu einem unverwechselbaren Profil werden. (...) DIE GRÜNEN sind gefordert, ihre Bedeutung als Motor der Verfassungsreform zu mehr direkter Demokratie auf der einen und der Bewahrung der Freiheitlichkeit der grundgesetzlichen Ordnung auf der anderen Seite zu unterstreichen. Das Pfund mit dem GRÜNE hier wuchern könnten, haben die Debatten um die faktische Abschaffung des Asylrechts und den Großen Lauschangriff gezeigt. Auch in der Frauenpolitik haben die GRÜNEN beachtliche Erfolge erzielt. (...) Auch das konsequente Eintreten für Gewaltfreiheit ist richtig, solange es nicht dazu führt, Menschenrechtsverletzungen tatenlos zusehen zu müssen.

Darauf aufbauend bedarf es eines Gesellschaftsentwurfs, der den Gestaltungswillen und die Gestaltungskraft der BürgerInnen zum Ausgangspunkt wählt, der Realitäten berücksichtigt und trotzdem eine große Idee hinter den pragmatischen Einzelschritten erkennen läßt. Weder der Marktradikalismus der Partei der Besserverdienenden noch die staatlichen Allmachtsphantasien der selbsternannten Linken stellen wirkliche Optionen dar. Es geht um eine Neudefinition der sozialen Marktwirtschaft im Zeitalter der Globalisierung. Individuelle Freiheit und soziale Sicherheit müssen in ein neues Verhältnis gesetzt, die Kräfte des Marktes und gesellschaftliche Anforderungen in Einklang gebracht und die Rechte kommender Generationen ökologisch wie ökonomisch berücksichtigt werden. (...) Die neue Positionierung wäre auch eine klare Kampfansage an die FDP. Sie würde unter Beweis stellen, daß ökonomische Kompetenz nicht mit sozialer und ökologischer Verantwortungslosigkeit einhergehen muß. Sie wäre einerseits ein Angebot an alle, die nicht vergessen haben, daß Eigentum verpflichtet. Andererseits würde es den schwächeren Menschen zeigen, daß es noch eine politische Kraft gibt, die ihnen helfen will und nicht den verkrusteten Strukturen der Sozialstaatsbürokratie. Wir wollen das brachliegende geistige Erbe des verantwortungsvollen Liberalismus aufnehmen und mit dem Eintreten für Ökologie und Generationengerechtigkeit verbinden. Mit diesem Konzept würden die GRÜNEN wieder die Lücke füllen, die SPD und CDU lassen. Sie wären wieder eine Alternative zu dem klassischen Politikangebot.

Originaltext unter: http://www.gruene-hessen.de/Zukunft

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