: Die schnellen Helden sind müde
■ Glanzloser Weltcup in Havanna: Sogar Kubas Hochspringer Javier Sotomayor unterlag — vor den traurigen Augen Castros
Berlin (dpa/taz) — Javier Sotomayor war untröstlich. Bäuchlings warf sich der Olympiasieger auf die Matte, vergrub seinen Kopf im Weichboden und verharrte minutenlang. Als er sich endlich aufrappelte, schien er um Jahre gealtert. Müde ballte er die Faust, aktivierte die letzten Kraftreserven und drosch einmal, zweimal verzweifelt auf den unschuldigen Schaumstoff ein. Ende der Vorstellung, Ende der Saison.
Der Grund der tiefen Trauer des Hochspringers war wahrlich erschütternd. Ausgerechnet daheim in Havanna und dann noch vor den Augen seines verehrten Staatschefs Fidel Castro verlor Weltrekordler „Soto“ den Weltcup-Wettbewerb. Mit 2,26 mußte er sich Juri Sergujenko geschlagen geben. Mit Tränen in den Augen sah Sotomayor zu, wie der Ukrainer 2,29 Meter übersprang. Der Kubaner versank in Katzenjammer: „Meine Achillessehnenverletzung ist wieder aufgebrochen. Dazu hatte ich Angst, weil ich ein Ziehen im Oberschenkel spürte“, klagte Sotomayor.
Hinzu kam heftiger Herzschmerz. Sicher ist „Soto“ gekränkt, daß nur ein kleiner Teil der Weltelite zum im Sterben begriffenen 6. Weltcup in sein Heimatland gereist war. So wollte er selbst der maroden Veranstaltung, die nur 10.000 Zuschauer sehen wollten, ein wenig Glanz verleihen. Sein strapazierter Körper sah das anders. „Soto“ ist nicht der einzige, der das Ende der langen Olympiasaison herbeisehnt. Auch Heike Drechsler geht auf dem Zahnfleisch: „Aus, finito, ich bin froh, daß es vorbei ist“, sagte sie am Sonntag abend in Havanna. Zuvor jedoch holte sich die 27jährige aus Jena noch schnell den Titel im Weitsprung mit 7,16 Meter. Hürden-Sprinter Colin Jackson hingegen hat noch den Tiger im Tank: Der Europarekordler siegte in 13,07 Sekunden und geißelte sich danach: „Wenn ich nicht die zehnte Hürde niedergetreten hätte, wäre ich sicher unter 13 Sekunden gelaufen.“ Doch auch Weltcupsieg und eine Serie großartiger Zeiten in diesem Jahr konnten den 25jährigen seine Schmach von Olympia — Platz sieben — nicht vergessen machen: „Nur Barcelona war wichtig.“
In Havanna verabschiedeten sich die Frauen aus der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) von der internationalen Leichtathletik-Bühne — mit einem Sieg. Mit 102 Punkten gewannen sie den Wettbewerb, der viermal zuvor von der DDR heimgeholt wurde. Künftig werden die Sportler aus der Ex-UdSSR unter der Fahnen ihrer einzelnen Republiken an den Start gehen. Die deutsche Frauschaft gab sich eher bescheiden und belegte mit 74 Punkten Platz fünf. Bei den Männern triumphierte erstmals die Auswahl Afrikas, die mit 115 Punkten deutlich vor Europacup- Sieger Großbritannien (103) gewann. Zu den wenigen aufregenden Ereignissen in Havanna gehörten die 88,26 Meter von Olympiasieger Jan Zelezny (CSFR) im Speerwerfen und das Diskus-Duell zwischen Maritza Marten und Ilke Wyludda (67,90). Am Ende gewann die kubanische Olympiasiegerin mit 69,30 Meter und bescherte dem Staats-Fidel doch noch ein wenig Stolz in der graubehaarten Brust.
Havanna hat mit größter Wahrscheinlichkeit die letzte Auflage des Weltcups erlebt. Nach Einführung des Zwei-Jahres-Rhythmus für Weltmeisterschaften ist der Team-Pokal unbedeutend geworden. Sponsoren und Athleten zeigen der Veranstaltung die kalte Schulter. Ein förmliches Begräbnis wird beim IAAF-Kongreß vor der WM in Stuttgart 1993 erwartet. miß
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen