piwik no script img

Die rote Fahne auf dem Everest

Im Himalajastaat Nepal gewinnt eine maoistische Guerilla an Stärke. Ihre politischen Ziele und ihre Finanzierung bleiben verschwommen

aus KatmanduSEVERIN WEILAND

Anfangs, vor vier Jahren, lächelte die politische Elite Katmandus noch, wenn die Rede auf den „Volkskrieg“ kam, den eine maoistische Guerilla in entlegenen, unzugänglichen Bergregionen Nepals ausgerufen hatte. „Eine folkloristische Randerscheinung“, so lautete das gönnerhafte Urteil. Das Lächeln ist den Politikern in der Hauptstadt inzwischen vergangen. Die Auseinandersetzungen mit der Guerilla haben in den letzten Monaten an Härte zugenommen. Höhepunkt ihrer Angriffe war Mitte Februar der Überfall auf eine Polizeistation im Distrikt Rolpa, rund 300 Kilometer von Katmandu entfernt. 15 Polizisten wurden getötet, weitere 25 schwer verletzt, die Polizeistation wurde fast vollständig zerstört.

Einen Tag später schlug die Polizei zurück. Sie tötete rund 17 angebliche Rebellen im benachbarten Distrikt Rukum und setzte die Hütten und Häuser von 150 Bewohnern in Brand.

Die zunehmende Brutalität auf beiden Seiten wird seit einigen Jahren von internationalen Organisationen aufmerksam beobachtet. Neu ist jedoch der Ton, mit dem die nepalesische Regierung daran erinnert wird, ihre Polizei in Zaum zu halten. Bei einem Besuch Anfang Februar sprach die Abgesandte der UN, Asma Jahangir, offen von „Massakern“ der Sicherheitskräfte. Zahlreiche Personen seien nach Verhaftungen verschwunden, Folter und Misshandlungen durch die Polizei seien an der Tagesordnung. Ähnlich düster schätzte der Generalsekretär von amnesty international (ai), Pierre Sane, bei einem Besuch in Katmandu die Lage ein. Die Bilanz des jüngsten ai-Berichts: Die Guerilla tötete seit Beginn ihres Kampfs vor vier Jahren rund 200 Menschen, die meisten Mitglieder oder Sympathisanten des regierenden Nepali Congress (NC). Auf das Konto der Polizei gehen laut amnesty 800 Tote, von denen die Hälfte regelrecht „hingerichtet“ worden sei. Die offizielle Statistik der Regierung bezifferte die Zahl der Opfer Anfang März auf 1.215, darunter 879 Rebellen, 146 Polizisten und 190 Zivilisten.

Die Moral der Polizei ist schlecht, die Guerilla hat aufgerüstet

Die Distrikte Rolpa, Rukum und Jajarkot im mittleren Westen Nepals, wo die Guerilla im Februar 1996 ihren Ausgangspunkt nahm und bis heute am stärksten verankert ist, gelten als ideales Terrain für den Guerillakampf. Das Land ist bergig, die Weiler sind meist nur zu Fuß zu erreichen. Polizisten sind in diesem unwegsamen Gelände leichtes Ziel für Hinterhalte. Die 46.000 Mann starke Polizeitruppe ist schlecht ausgebildet und schlecht ausgerüstet. Der Transport von Beamten in die entlegenen Regionen wird zum Teil mit gemieteten Hubschraubern durchgeführt. Viele Waffen stammen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Die steigende Zahl der Opfer in den eigenen Reihen untergräbt die Moral und wird für die Regierung zunehmend zum Problem. Nach den letzten Überfällen berichteten die Zeitungen des Landes von Anzeichen einer Meuterei. Polizisten setzten alles daran, nicht in die betroffenen Bergregionen versetzt zu werden; wer könne, zahle Bestechungsgelder an Vorgesetzte. Die Anspannung der blau uniformierten Sicherheitskräfte ist selbst in Katmandu spürbar und sichtbar. Die unhandlichen, schweren Gewehre, mit denen die Polizisten im Norden der Hauptstadt nachts ihr Hauptquartier bewachen, haben sie mit langen Ketten an ihre Handgelenke angeschlossen. Eine hilflose Vorsichtsmaßnahme gegen die Gefahr, die Waffe im Gerangel mit einem Maoisten bei einem Überfall zu verlieren.

Die Guerrilla scheint unterdessen aufgerüstet zu haben. Griff sie anfangs noch mit erbeuteten oder selbst gebastelten Waffen an, feuerte sie während der jüngsten Attacken nach einem Polizeibericht erstmals aus automatischen Gewehren.

Das politische Ziel der Maoisten bleibt verschwommen. Sie wollen die konstitutionelle Monarchie zugunsten einer „Republik“ abschaffen, eine „Neue Demokratie“, deren Merkmal „zentrale Planung“ bei „dezentraler Entscheidung“ ist. Zu ihren wortreichen Führern gehören Dr. Baburam Bhattarai, Vorsitzender der United Peoples Front (UPF), und der Generalsekretär der Communist Party of Nepal –Maoist (CPN-M), Puspa Kumal Dahal, der unter dem Pseudonym „Genosse Prachanda“ Erklärungen abgibt. Vor allem der Stadtplaner Baburam Bhattarai genießt unter Intellektuellen und Studenten in Katmandu einiges Ansehen. Viele kennen ihn noch aus der Zeit der Legalität, als sowohl die CPN-M wie auch die UPF bei den ersten freien Parlamentswahlen 1991 nach dem Sturz des Feudalsystems mit 14 Sitzen ins Parlament einzogen. Drei Jahre später boykottierten sie die Wahlen. Kurz darauf führte Bhattarai seine UPF der bereits im Untergrund agierenden CPN-M zu.

Der Chefideologe der Maoisten genießt hohes Ansehen

Der frühere Teilnehmer von Seminaren der Friedrich-Ebert-Stiftung in Katmandu gilt als ideologischer Kopf der Organisation. Seine Analysen untermauert Bhattarai gern mit Daten der Weltbank und des Währungsfonds. Scharf rechnet er mit dem „Hindu-Feudalismus“ ab, der die unteren Kasten ausbeute und sie zum Teil wie Sklaven behandle. Das klingt in der Tat revolutionär für ein Land, das sich als einziges Land der Erde als Hindu-Königreich bezeichnet, dessen Gesellschaft tief vom Kastenwesen geprägt ist und dessen König Birendra für viele, vor allem ungebildete Nepalesen, die Reinkarnation der Gottheit Vishnu ist.

Baburam Bhattarai propagiert eine Landreform, die das „feudale und halbfeudale System“ brechen soll, während er Land und Wirtschaft „geplant entwickeln“ möchte. Das findet Widerhall in einem Land, in dem 60 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze leben. Zugleich greift er die – in Nepal – weit verbreitete Aversion gegen die wirtschaftliche Dominanz der Inder auf und geißelt den „indischen Imperialismus“ im gleichen Atemzug mit dem westlicher Länder, vor allem der USA. Rühmend schildert er Chinas Kurs unter Mao und lässt zugleich kein gutes Haar an der Planwirtschaft der Sowjetunion.

Das Aufkommen der Maoisten ist in erster Linie auf die Armut und die im Staatsapparat grassierende Korruption zurückzuführen. Allenthalben klagen Mitarbeiter internationaler Organisationen über unfähige und in die eigene Tasche wirtschaftende Staatsbedienstete, über den ständig von Parteiführern und -cliquen willkürlich vollzogenen Wechsel von Entscheidungsträgern in den Ministerien, die kontinuierliche Arbeit erschweren. Hinzu kommt der mit großer Lust in allen Parteien praktizierte Flügelkampf.

Im seit fast einem Jahr mit absoluter Mehrheit allein regierenden Nepali Congress sorgten monatelange Intrigen und Fraktionskämpfe Mitte März für den Abgang von Premier Krishna Prasad Battarai. Sein Nachfolger wurde der Anführer der Fronde, NC-Parteichef Girija Prasad Koirala. Beide Kampfhähne sind 76 und haben sich große Verdiente um die Demokratisierung Nepals erworben.

Wie der NC hat auch die Hauptkraft der Opposition im Parlament, die United Marxist Leninist (UML), an öffentlichem Ansehen verloren, seit sie sich vor zwei Jahren einen lähmenden Flügelkampf leistete, der zur Abspaltung einer bedeutungslos gewordenen, stark antiindisch ausgerichteten Splittergruppe führte. Immerhin stemmt sich die UML, deren Mitglieder von den Maoisten als „Renegaten“ beschimpft werden, gegen einen Einsatz der Armee.

Die Armee scheint allerdings von sich aus kaum geneigt, sich in den Konflikt hineinziehen zu lassen. Soldaten waren bisher nicht Ziel von Guerillaattacken – vermutlich weil sie besser ausgerüstet sind als Polizisten. Der Chef des Generalstabs, Prajwalla SJB Rana, in Großbritannien und an der Bundeswehr-Führungsakademie ausgebildet, gilt als besonnener Mann. In weiser Einschätzung der Zestrittenheit der politischen Führer Nepals erklärte er, die Armee sei nur dann bereit, „einzugreifen, falls es einen Allparteienkonsens gibt“. Der lässt auf sich warten.

Was ist Wahrheit, was sind Legenden im Land der Gerüchte?

Die Guerilla umgibt inzwischen eine fast mythische Aura. Nepal ist ein Land der Gerüchte. Und so fällt es schwer, die Wahrheit aus den Legenden herauszudestillieren. Immer wieder heißt es, Baburam Bhattarai selbst lebe unbehelligt in Katmandu und keineswegs in den Bergen oder Indien, wie die Sicherheitskräfte kolportieren. Erstaunlich genug ist, dass der Chefideologe regen Anteil am öffentlichen Diskurs nimmt. Hin und wieder werden seine Artikel in den Zeitungen der Hauptstadt publiziert und lebhaft diskutiert.

Weil die Maoisten dem „Revolutionary International Movement“ (RIM) angehören, einem in London beheimateten Dachverbach von weltweit 14 maoistischen Organisationen, zu dem auch der „Leuchtende Pfad“ Perus zählt, wollen manche Nepalesen gar Ausbilder aus Lateinamerika in den Bergen gesehen haben. Auch halten sich Gerüchte, dass die Maoisten gegen Lohn die Töchter armer Bauernfamilien rekrutieren.

Unklar ist, woher die Maoisten ihre finanzielle Hilfe erhalten. Einen Teil, wohl aber nur den geringsten, treiben sie in Form einer Kriegssteuer bei Händlern und Staatsbediensteten ein. Möglicherweise fließen Gelder aus den mit ihnen sympathisierenden maoistischen Organisationen des Westens. Auch indische Separatisten und die Tamil Tigers in Sri Lanka werden regelmäßig als Unterstützer genannt. China hat wiederholt jede Verbindung mit der Guerrilla abgestritten – schließlich engagiert es sich stark in der Entwicklung von Wasserkraftwerken und dürfte wenig Interesse an einer Destabilisierung Nepals haben. Wahrscheinlicher klingt die Version des nepalesischen Geheimdienstes, wonach rund 100 Aktivisten der Maoisten in Indien ausgebildet wurden – die Grenze zwischen beiden Ländern ist offen, und Delhi und Katmandu betrachten ihre Staatsbürger gegenseitig als Inländer. Die Anzahl der aktiven Guerilleros beziffert das Innenministerium auf 3.000. Ihr Vorgehen ist nicht weniger grausam als das ihrer Gegner. Wer sich der Korruption schuldig gemacht hat, wird verwarnt. Wiederholungstäter werden erschossen oder nach nepalesischer Sitte mit dem Krummdolch, dem Kukri, grausam abgeschlachtet.

Die maoistische Führung fühlt sich in einer Position der Stärke. Selbstbewusst trug sie der Regierung Ende Februar einen Waffenstillstand an. Bedingungen seien ein sofortiges Ende der Tötungen, Freilassung ihrer Aktivisten und die generelle Schaffung einer Atmosphäre, die Gespräche möglich mache. Kein Wort darüber, ob sie dem Ziel, das System zu stürzen, abschwören will. So gilt wohl weiterhin, was der Generalsekretär der CPN-M, „Genosse Prachanda“, 1995 in dem für nepalesische Parteien allgemein typischen Pathos erklärte: „Wir sind sicher, dass wir eines Tages die rote Fahne mit Hammer und Sichel auf dem Mount Everest hissen werden.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen