■ Die rot-grüne Migrantenpolitik ist eine Enttäuschung. Und die Grünen schweigen, wenn Schily redet wie früher Kanther: Alte Sprüche in der neuen Mitte
Die Grünen haben ihre Integrations- und Migrationspolitik machtpolitischem Kalkül geopfert.“ Das sitzt. Mit diesen Worten hat der Vorsitzende der Grünen-Einwandererorganisation Immigrün, Atti Özdemir, seiner Partei den Rücken gekehrt. Mit einem Satz hat er die ganze Malaise grüner Einwandererpolitik beschrieben. Türkenmund tat hier Wahrheit kund.
Mit Pauken und Trompeten hatte die CDU/CSU/FDP-Koalition die Bundestagswahlen verloren. Wir Freidemokraten hatten schon lustigere Sachen gemacht, als in die Opposition zu wandern. Aber einen kleinen Trost hatte man als liberaler Einwanderer doch: Endlich würden die fälligen Reformen in der Migrationspolitik umgesetzt, die in der alten Regierung durch die CDU/CSU systematisch blockiert worden waren.
Ganz oben auf der Liste standen die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts, ein Antidiskriminierungsgesetz und ein Einwanderungsgesetz. Überhaupt sollte endlich die längst überfällige Diskussion in Gang gesetzt werden über das Zusammenleben von Einwanderern und Deutschen: Was sind die Grundlagen unseres Zusammenlebens? Was können wir Einwanderer von der deutschen Politik verlangen, was müssen wir selbst leisten? Wie könnte ein „Pakt für Integration“ zwischen Politik und Einwanderern aussehen? Wie steht es um das Verhältnis zwischen den Religionen in Deutschland?
Kurz: Wie soll die Migrationspolitik einer modernen Gesellschaft aussehen? Alle diese Fragen waren in den letzten Jahren zu kurz gekommen, die Erwartungen an die neue Regierung endsprechend groß.
Was ist aus diesen Hoffnungen geworden? Nach langem Hin und Her haben wir ein neues Staatsbürgerschaftsrecht bekommen, mit einigen Höhen und Tiefen, aber insgesamt eines, mit dem man als Einwanderer leben kann.
Um keine Irritationen aufkommen zu lassen: Ich habe beim Anblick des FDP-Entwurfs nicht vor Freude gesteppt. Für mich gibt es überhaupt keinen überzeugenden sachlichen Grund, weshalb nicht jemand zwei, drei oder zehn Staatsbürgerschaften haben sollte.
Dummerweise geht es aber beim Staatsbürgerschaftsrecht nicht nur um Sachargumente, sondern auch um Emotionen. Die Union hat dies sehr schnell erkannt, die Grünen aber verschlafen. Stattdessen wollten sie auf die Schnelle in der Innen- und Rechtspolitik bei der eigenen Basis punkten. Das ist schief gegangen. Die Union hat zwar die Bevölkerung auf die Barrikaden getrieben. Aber ohne grüne Arroganz hätte es diese Barrikaden gar nicht gegeben.
Das FDP-Modell war unter diesen Umständen die beste Lösung. Ohne die Bevölkerung ist Integration nicht möglich. Und das liberale Modell findet nun mal Akzeptanz im Volke – auch wenn die FDP davon nichts hatte, siehe die Hessen-Wahl. Und ein großer Vorteil dieses Modells darf nicht übersehen werden: Hier geborene Kinder können als Gleiche unter Gleichen aufwachsen. Das erleichtert die Integration.
Mit der Staatsbürgerschaft scheint sich der Reformeifer der neuen Regierung aber auch schon gelegt zu haben. Mehr noch: Während wir früher immerhin mit einem Aufschrei der Grünen rechnen konnten, wenn Manfred Kanther mal wieder Politik auf dem Rücken von Einwanderern machte, herrscht heute erschreckendes Schweigen, wenn Otto Schily oder Gerhard Schröder fast wortwörtlich dieselben „Das Boot ist voll“-Parolen von sich geben. Wo ist denn die öffentliche Diskussion über die Frage, wie wir mit Balkanflüchtlingen umgehen? Wo ist das grüne Gewissen, wenn 14-jährige Kinder in ein Land abgeschoben werden, das vielleicht einmal die Heimat der Eltern war, aber ganz sicher nicht die ihrige ist? Paradoxerweise ist mit Rot-Grün auch eine neue Toleranz eingezogen – Toleranz für altbekannte Stammtischparolen. Parolen, die man den Schwarzen niemals hätte durchgehen lassen. Alte Sprüche in der neuen Mitte.
Der Koalition sitzt offensichtlich noch der Schrecken über die Unterschriftenkampagne der Union in den Knochen. Über das Lamentieren über die Niedertracht mancher Christdemokraten ist sie noch nicht herausgekommen. Von der angekündigten Aufklärungskampagne für mehr Toleranz ist jedenfalls nichts zu sehen.
Die Bündnisgrünen trauen sich offensichtlich nicht, in der Ausländerpolitik neue Konflikte mit den Sozialdemokraten zu riskieren. Die Sache mit dem Atomausstieg und den Panzern war und ist schließlich schlimm genug. Man ist ja Regierungspartei und staatstragend. Joschka Fischer kann man es geradezu ansehen, wie er tapfer den Staat auf beiden Schultern trägt und sich jedem Exportpanzer persönlich in den Weg stellt ...
Das führt zu einem vorauseilenden Koalitionsgehorsam, den sich die Liberalen auch nach 30 Jahren an der Macht nicht erlaubt hatten.
Ein weiterer Grund für grüne Hasenfüßigkeit hat einen Namen: Marieluise Beck, Bundesbeauftragte für die Belange der Ausländer. Von ihr gehen kaum öffentliche Initiativen aus und auch kaum Widerspruch gegen rechte Parolen aus der SPD.
Man kann der Ausländerpolitik der FDP in den Jahren der Koalition einiges vorwerfen. Doch Duckmäuserei durch Cornelia Schmalz-Jacobsen oder Lieselotte Funke gehört ganz sicher nicht dazu. Selbst Barbara John, die Berliner Ausländerbeauftragte mit CDU-Parteibuch, geht energischer gegen ihre eigenen Parteifreunde vor als Frau Beck gegen den Koalitionspartner.
Einen von der Ausländerbeauftragten mitzuverantwortenden Stillstand oder Rückschritt können wir uns alle nicht erlauben. Die Grünen sollten sich gut überlegen, ob sie an Frau Beck festhalten wollen.
Einen Özdemir haben sie ja noch: Cem Özdemir, der Sachverstand, Glaubwürdigkeit und Akzeptanz in seiner Person vereinigt. Die Grünen sollten ihn zum Ausländerbeauftragten machen, bevor auch er, der letzte Mohikaner, ihnen den Rücken kehrt.
Er wäre der richtige Mann, um den erforderlichen Dialog über die Grundlagen des Zusammenlebens von Einwanderern und Deutschen anzustoßen. Dieser Dialog muss über alle Parteigrenzen hinweg geführt werden – selbst in der CDU und vereinzelt in der CSU gibt es vernünftige Leute. Wegen seines Ansehens in allen Parteien wäre er der richtige Moderator.
Wir brauchen eine entideologisierte Debatte über die Einwandererfrage: Viel zu lange wurden wir instrumentalisiert – von der Rechten als potenzielle Gefahr, von Teilen der Linken als Objekte ihrer superinternationalen Gesinnung. Wir Einwanderer haben schlicht keinen Bock mehr – weder auf rechte Sprüche noch auf linkes Gutmenschentum.
Mehmet Daimagüler
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