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Die reine Leere

Sparzwang, Intrigen und eine „geschichtliche Verantwortung gegenüber den Alliierten“: An der Technischen Universität ist jetzt ein Frankreich-Zentrum eröffnet worden, das es eigentlich noch gar nicht geben kann  ■ Von Ralph Bollmann

Akademische Feierstunden haben immer etwas Tristes. In einem kahlen Hörsaal hat die Technische Universität (TU) diese Woche ihr Frankreich-Zentrum eröffnet. Immerhin hatte der Hausmeister zur Feier des Tages die Tafeln gewischt, ein paar Pflanzen herbeigeschafft und an der Decke eine französische Fahne befestigt, die die Tristesse der Veranstaltung eher verstärkte als überspielte. Dazu spielte ein Posaunenquartett, das Uni-Präsident Hans-Jürgen Ewers versehentlich als „Quintett“ ankündigte.

Das war freilich nicht der erste Fehltritt in der Entstehungsgeschichte des Zentrums, und es war gewiß nicht der schlimmste. Für einen Diplomaten erlaubte sich Frankreichs Bonner Botschafter François Scheer ungewöhnlich deutliche Worte über das „neue Berlin-Marathon“ der Zentrumsgründung, das er „mit großem Interesse verfolgt“ habe. Mit feiner Ironie wünschte er der neuen Institution einen Erfolg, der „der langen und leidenschaftlichen Debatte entspricht“.

Dafür muß es das Frankreich- Zentrum erst einmal geben. Bis jetzt besteht es aus dem leeren 13. Stockwerk des Telefunken-Hochhauses am Ernst-Reuter-Platz, in dem allein die Assistentin des Gründungsbeauftragten Günter Abel residiert. Der erste Professor, der Philosoph Thomas Gill aus Sankt Gallen, soll zum Sommersemester einziehen. Einen weiteren Ruf hat der Tübinger Papsthistoriker Klaus Herbers erhalten, aber noch nicht angenommen. Die Berufungskommission für eine germanistische Professur hat ihre Arbeit noch gar nicht aufgenommen.

Einen Romanisten hingegen wird das Frankreich-Zentrum nicht haben – weil es an der TU künftig keine Romanistik mehr geben wird, die den Namen verdient. Zwar hatte ursprünglich der Direktor des Instituts für Romanische Literaturwissenschaft, Michael Nerlich, das Zentrum auf den Weg gebracht. Doch zwischenzeitlich fielen den klammen Landesfinanzen 10 von 40 Professuren am geisteswissenschaftlichen Fachbereich der TU zum Opfer.

Zwar sollten nach dem Willen des Berliner Senats eigentlich Germanistik und Anglistik entfallen. Ohne Germanistik aber, sagte der damalige Dekan Abel, könnten die Geisteswissenschaften an der TU nicht überleben. Deshalb beschloß der Fachbereichsrat, statt dessen lieber vier der sechs Romanistikprofessuren zu streichen und nur noch einen Studiengang in französischer Literaturwissenschaft anzubieten. Eine solche Disziplin aber gibt es eigentlich gar nicht – schließlich ist die Romanistik eine vergleichend angelegte Wissenschaft, die sich mit allen romanischen Sprachen und Literaturen beschäftigt.

Zu diesem Zeitpunkt waren die Romanisten an der Vorbereitung des Frankreich-Zentrums ohnehin nicht mehr beteiligt. Der Fachbereich hatte Nerlichs Assistentenstelle nicht wiederbesetzt und den Philosophen Abel mit der Zentrumsgründung beauftragt, nachdem Nerlich mitgeteilt hatte, ohne seine Mitarbeiterin könne er die Arbeit nicht mehr leisten.

Nach der Abwicklung der TU- Romanistik hätte es nahegelegen, das Projekt an einer der beiden anderen Berliner Unis anzusiedeln – zumal es einen Frankreich-Studiengang, wie ihn die TU jetzt plant, an der Freien Universität (FU) längst gibt. Ein solcher Entschluß wäre freilich ein politischer Affront gewesen – gegenüber den Franzosen, gegenüber der TU und gegenüber dem Fachbereich.

Im Januar 1995 hatte der Senat offiziell beschlossen, die drei Schutzmächte Westberlins an den drei Unis präsent zu halten – Großbritannien an der Humboldt-Universität (HU), die Vereinigten Staaten mit dem John-F.-Kennedy-Institut an der FU und eben Frankreich an der TU. Dem Regierenden Bürgermeister war bei der Eröffnung das Bemühen anzumerken, diese Konstruktion nicht zu gefährden. Eberhard Diepgen bekannte sich ausgiebig zur „geschichtlichen Verantwortung“ gegenüber den Alliierten und zur „Grundidee der Universitas“, die auch an der TU die Geisteswissenschaften einschließe.

Der Senatsbeschluß erklärt auch, warum im Januar 1998 hektisch ein Zentrum eröffnet werden muß, das es eigentlich noch gar nicht gibt: Der „Aufbau des Zentrums“, hieß es am 17. Januar 1995, solle „binnen drei Jahren abgeschlossen sein“. Daß den deutsch- französischen Beziehungen mit diesem Versuch gedient ist, wenigstens die Form zu wahren, wenn schon der Inhalt nicht stimmt, das scheint auch Botschafter Scheer zu bezweifeln.

„Vorsicht, Gefahr!“ rief er in seiner Eröffnungsrede aus. Die Warnung galt den „neuen Schwerfälligkeiten“ im Verhältnis zwischen den Franzosen und ihrem östlichen Nachbarn, der „seine Hauptstadt von der West- an die Ostgrenze verlagert“ und „Goethe-Institute in Frankreich schließt, damit man in Osteuropa neue eröffnen kann“. Neue „Vertiefungsanstrengungen“ seien vonnöten, „dazu soll Ihr Frankreich- Zentrum beitragen“. Merkwürdig: Bei diesem Satz fielen die Lautsprecher aus.

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