: Die rauchige Stimme lässt rote Rosen regnen
Am 28. Dezember würde Hildegard Knef ihren 100. Geburtstag feiern. Was bleibt von ihrem Erbe als selbstbestimmte Künstlerin und Schauspielerin, die nach 1945 ein anderes Bild von Deutschland schuf?
Von Luca Glenzer
Vertrautheit manifestiert sich beim Namensgeben als erstes in der Sprache. Und so tauften die Deutschen ihre Chansonikone wahlweise „die Knef“ oder schlicht „Hilde“. Wie die nette Nachbarin von nebenan, mit der man nachmittags am Gartenzaun über die Tücken der Rosenzucht plauscht.
Und in gewisser Weise war die 1925 in Ulm geborene Hildegard Knef genau das: eine faszinierende Künstlerin, deren Ausstrahlungskraft nicht in einer vermeintlichen Extravaganz lag, die ihr oft nachgesagt wurde. Sondern vielmehr in ihrer glaubwürdigen Normalität und Nahbarkeit. Diese Kunst des Alltäglichen spiegelt sich immer auch in Knefs Liedern wider, etwa bei „Guten Tag, mein Zuhause“ oder „Im 80. Stockwerk“, die beide zu Evergreens wurden.
Dabei ist das Verhältnis zwischen der singenden Schauspielerin und ihrem Herkunftsland zu Lebzeiten alles andere als spannungsfrei. So beginnt ihre große Zeit nach 1945, als Deutschland infolge des Vernichtungskrieges von Hitler und seinen Helfern in Schutt und Asche liegt. Gleich im ersten deutschen Nachkriegsfilm, „Die Mörder sind unter uns“, steht Hildegard Knef 1946 als Hauptdarstellerin vor der Kamera. Der Film ist ein erstes, noch vages antifaschistisches Statement, das inmitten der postfaschistischen Ära keinesfalls nur auf Gegenliebe stößt. Dabei ist Knefs Weste alles andere als weiß – schließlich hatte sie noch in der Endphase des „Dritten Reiches“ Rollen in UFA-Propagandafilmen angenommen. 18-jährig führte sie in jener Zeit eine Beziehung mit dem Reichsfilmdramaturgen und Goebbels-Vertrauten Ewald von Demandowsky, der später von der sowjetischen Militäradministration hingerichtet wird.
Dennoch schafft es Hildegard Knef, sich nach Kriegsende 1945 glaubhaft zu einem frühen Star eines neuen, vom Faschismus geläuterten Deutschlands zu inszenieren. Bald schon ruft Hollywood, und die Knef verlässt ihre zerbombte Heimatstadt Berlin. Wer sie in jenen Jahren bis zum Beginn der fünfziger Jahre, in der Bundesrepublik noch nicht kennt, nimmt spätestens 1951 durch ihre Rolle in „Die Sünderin“ Notiz von ihr. In dem Melodram werden offen Prostitution und Suizid thematisiert, zudem ist in einer Szene Knefs entblößte Brust zu sehen.
Im Land des industriellen Massenmords ein ungeheurer Skandal. Es wird nicht Knefs letzter bleiben. Ihre Reputation als international gefeierte Schauspielerin öffnet ihr schließlich auch über den Umweg des englischsprachigen Auslands das Tor zur Musikkarriere: So tritt sie etwa 1959 in der BBC-Fernsehshow „The Hildegarde Neff Show“ in Erscheinung. Die Abwandlung ihres bürgerlichen Namens hat sich außerhalb des deutschsprachigen Raums trotz Knefs Widerwillen etabliert.
Erst 1963 veröffentlicht Hildegard Knef mit „So oder so ist das Leben“ ihr Debütalbum, dessen Titelsong später zu einem ihrer bekanntesten Stücke wird. Die musikalische Mischung aus Chanson, Jazz und anspruchsvollem Schlager und ihrer ganz eigenen, gleichermaßen sonoren wie rauchigen Stimme stößt auf große Resonanz, vielleicht, weil die Melancholie massentauglich wirkt.
Alle Songtexte schreibt Knef stets selbst, was für jene Zeit im erweiterten Kosmos der Unterhaltungsindustrie – noch dazu als Künstlerin – ungewöhnlich ist. Immer wieder besingt sie in ihren Liedern die großen und kleinen Sorgen der Menschen: „Ich möchte am Montag mal Sonntag haben / Und nie mehr in drohenden Rechnungen graben / Ich möchte nach keiner Beförd’rung mehr streben / Und meinem Alltag den Abschiedskuss geben“, heißt es etwa in „Ich möchte am Montag mal Sonntag haben“ aus dem Jahr 1966.
Wenngleich sie dem Etikett der Feministin skeptisch gegenübersteht, wird sie mit ihrer sanft renitenten Haltung und den Texten doch schon bald zur Stichwortgeberin der zweiten Frauenbewegung. Sich die Liebespartner selbst aussuchen, eigenes Geld verdienen, künstlerische Autonomie – all das ist in den fünfziger und sechziger Jahren in Westdeutschland weitgehend Männern vorbehalten.
Zeugnis von ihrem nonkonformistischen Rollenverständnis legt auch ihr Song „Ich glaub, ’ne Dame werd’ich nie“ aus dem Jahr 1968 ab. Darin singt sie: „Ich bin zu hungrig für Hungerdiät / Komm im Theater fast niemals zu spät / Sag, was ich denke; das alles verrät.“ Dass Hildegard Knef der männlichen Projektion von der weiblichen Einfalt widerstrebt, ruft in der Welt der Männer gleichermaßen Faszination wie Irritation hervor. In der Anfang dieses Jahres veröffentlichten Dokumentation „Ich will alles“ ist eine Szene zu sehen, in der ein TV-Journalist die Knef mit folgender Anmaßung konfrontiert: „Wenn Sie erlauben, möchte ich eine Charakterisierung von Ihnen versuchen: naiv und trotzdem sehr berechnend, trotzig, unabhängig, aber gleichzeitig auch wieder anlehnungsbedürftig, tapfer, keine Frage, aber doch auch gelegentlich verzweifelt.“ Die Künstlerin zieht ihm den Stecker und antwortet kühl: „Sie machen aus mir 24 Personen auf einmal.“
In den 1970er Jahren erweitert die Sängerin und Schauspielerin ihr Portfolio. Von nun an ist sie auch als Schriftstellerin tätig. 1970 erscheint ihre von der Kritik hochgelobte Autobiografie „Der geschenkte Gaul“. Fünf Jahre später folgt „Das Urteil“, in dem sie als eine der ersten Frauen überhaupt im deutschsprachigen Raum offen über die Zeit ihrer Brustkrebserkrankung erzählt. Ein Tabubruch und ein Skandal, wieder mal. Knef hatte sich an die Erregungsspiralen scheinbar gewöhnt.
Ende der siebziger Jahre zieht sie sich aus der Öffentlichkeit zurück. In den folgenden Jahren gibt es Berichte, sie sei hoch verschuldet. Aus dem Umstand, dass sie mit Geld schlecht umgehen kann, hat sie nie einen Hehl gemacht. Ab den späten achtziger Jahren folgen mehrere Comebackversuche. 1995 steht sie das letzte Mal auf einer Konzertbühne. Im Februar 2002 stirbt Hildegard Knef schließlich im Alter von 76 Jahren.
Kurz nach ihrem Tod erscheint mit „The Reform Sessions“ eine Compilation mit 16 Remixen von bekannten Knef-Songs. Produzenten wie DJ Koze, Andreas Dorau und Hans Nieswandt überführen die Chansons ins elektronische Zeitalter. Hans Nieswandt ist es auch, der 2012 ein komplettes Album mit elektronischen Neufassungen aus Knefs Werk veröffentlicht und das spröde und zugleich massentaugliche an der Figur Knef mit seinen Interpretationen unterstreicht.
Auch im konservativen Lager hat man die Knef nicht vergessen. 2021 etwa wird Angela Merkel vom Stabsmusikkorps der Bundeswehr im Rahmen des Großen Zapfenstreichs mit einer etwas hüftsteifen Bigband-Version von „Für mich soll’s rote Rosen regnen“ aus dem Amt der Bundeskanzlerin verabschiedet. Und so bleibt Hildegard Knef, die am 28. Dezember 100 Jahre alt geworden wäre, auch gut 20 Jahre nach ihrem Tod der große gemeinsame Nenner der Republik.
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