: Die "Revolution" überfährt ihre Kinder
■ Einzelhandel legte Pläne zur Verkehrsberuhigung der City vor / "Open-Air-Passage" mit gebremstem Individualverkehr
legte Pläne zur Verkehrsberuhigung der City vor/»Open-Air-Passage« mit gebremstem Individualverkehr
Verkehrsberuhigung trotz Autos? Kein Widerspruch, sagt die Hamburger Geschäftswelt. Die „Interessengemeinschaft City-West“ stellte gestern in der Handelskammer ihre Vision einer umwelt- und fußgängerfreundlichen Innenstadt vor. Den laufenden Planungen zur Verkehrsberuhigung vor Ort wollen die Hamburger Kaufleute beizeiten ihren Stempel aufdrücken.
Hintergrund: Schon im vergangenen Jahr hat der Senat die Schaffung von sogenannten „verkehrsberuhigten Geschäftsbereichen“ beschlossen, vor allem in den Straßen Große Bleichen, Poststraße und Neuer Wall. Ab 1995 soll der Individualverkehr hier zurückgeführt, aber nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden. Die GAL-Opposition in der Bürgerschaft warf dem Senat „Etikettenschwindel“ vor, da die Überlegungen zur autofreien Innenstadt nun auf den Sankt Nimmerleinstag verschoben seien.
Das Schreckgespenst einer City ohne Blechkisten vor Augen, versuchen sich die anliegenden Einzelhändler nun selbst an der Quadratur des Kreises: Sie ließen eigene Pläne ausarbeiten für eine Verkehrsberuhigung trotz Individualverkehr. Herausgekommen ist das Konzept der „Open-Air-Passage“. Mit dieser Idee, so die einhellige Meinung der Geschäftswelt, werde Hamburg „wieder einmal die Nase vorn haben“. Günter Dorigoni von der Abteilung Verkehrswirtschaft der Handelskammer verkündete: „Wir gehen revolutionäre Wege.“ Die Menschen könnten sich auf den Straßen bald so sicher bewegen wie in einer der berühmten Hamburger Einkaufspassagen.
Die Fußgängerwege in den genannten Straßen, so der bahnbrechende Einfall, sollen um 30 Prozent verbreitert werden, um „mehr Flanierraum“ zu schaffen. Gleichwohl darf der „unverzichtbare Autokunde“ nicht vernachlässigt werden. Es bleibt daher eine schmale „Fahrgasse“ von 3,50 Metern. Zwischen 13 und 19 Uhr muß der Individualverkehr leider draußen bleiben. Die Anzeige „Fußgängerzone“ bleibt ein Sonderfall.
Schließlich wollen die Pfeffersäcke sogar einen Teil ihres kostbarsten Gutes opfern: Parkplätze. Etwa 200 gibt es zur Zeit noch im westlichen Zentrum, die Hälfte würde im Rahmen der Umgestaltung verschwinden. Eine Hintertür aber bleibt offen: Durch die Abschaffung von Dauerparkplätzen und die volle Ausnutzung bestehender Parkhäuser ließe sich der Mangel beheben.
Die Baubehörde zeigte sich ge-
1stern noch überrascht vom Planungseifer der Kaufmannschaft. „Eine völlig verfrühte Veröffentlichung“, sagte Behördensprecher Asmussen gegenüber der taz. Es müsse erst noch geprüft werden,
1ob diese Vorschläge sich mit den Vorgaben des Senats decken.
Der völlige Verzicht auf das Auto indes steht auf beiden Seiten außer Debatte. Angesichts des harten Konkurrenzkampfs mit den Ein-
1kaufszentren in Wandsbek und Eppendorf sehen die City-Kaufleute in der autofreien Innenstadt ihren Umsatz ernsthaft gefährdet — und der liegt bei einer Milliarde Mark im Jahr. Uli Mendgen
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