Die neuen Parteichefs in China: Prinz und Bauernjunge
Xi Jinping und Li Keqiang werden vermutlich die künftig mächtigsten Männer in China. Der eine ist der Sohn eines prominenten Parteikaders, der andere ist Bauernsohn.
PEKING taz | Ausländische und chinesische Beobachter sind sich einig: Wer künftig Chinas Parteichef wird - und damit mächtigster Mann im Lande -, steht fest: der bisherige Vizepräsident Xi Jinping. Und auch der künftige Premierminister gilt mit dem bisherigen Vizepremier Li Keqiang als gesetzt.
Dennoch hält die Parteispitze die Personalfrage bis zum Schluss offen. Erst wenn die neue Riege am Ende des Parteitags im Gänsemarsch in der Rangfolge ihrer Positionen vor den Roten Fahnen und dem Hammer-und-Sichel-Symbol in der Großen Halle des Volkes vors Publikum tritt, ist endgültig klar, wer welches Amt ergattert hat.
Ein genauer Blick auf den Generationswechsel in China lohnt sich auch deshalb, weil die Volksrepublik inzwischen sowohl ökonomisch als auch politisch in die Riege der wichtigsten Akteure der Welt aufgestiegen ist. „Wer in Peking künftig das Sagen hat, regiert mit über die ganze Welt“, sagt der britische China-Kenner und Reuters-Kolumnist John Foley.
Völlig offen bleibt, wer im mächtigen sieben- bis neunköpfigen Ständigen Ausschuss des Politbüros sitzen wird, dem eigentlichen Machtzentrum der Volksrepublik. Normalerweise wird dieser Führungswechsel von langer Hand innerhalb des Politbüros vorbereitet und von den übrigen Parteigremien bloß noch abgenickt.
Als einzige Frau ist die 66-jährige Liu Yandong im Gespräch. Sie ist im zweithöchsten Gremium, dem Politbüro, zuständig für Bildung, Gesundheit, Sport und Wissenschaft. Doch ihre Chancen in den Ausschuss aufzurücken, stehen schlecht. Chinas oberstes Machtzentrum bleibt damit eine Männerdomäne. (flee)
Xi Jinping - der Parteierbe
Zum Chinesischen Neujahrsfest verschickte Xi Jinping eine Kurznachricht an rund eine Million Parteimitglieder: Er wünsche ihnen „persönlich alles Gute“. So modern hatte noch kein chinesischer Spitzenpolitiker mit der Parteibasis kommuniziert. Beobachter wollten darin bereits einen neuen Führungsstil des 59-Jährigen erkennen.
Chinas künftiger Parteichef – und damit mächtigster Mann des Landes – will sich offensichtlich vom Bild seines Vorgängers absetzen. Nochparteichef Hu Jintao wirkt steif, knöchern und unnahbar. Tatsächlich wird Xi Jinping von manchen in China als Hoffnungsträger gehandelt: Er könne zuhören und vermitteln, heißt es.
Xi, dessen Frau Peng Liyuan Star einer Armee-Gesangstruppe im Generalmajors-Rang ist, gilt als Kompromisskandidat zwischen den beiden wohl einflussreichsten Lagern in der Partei: Auf der einen Seite die sogenannten Prinzlinge – Sprösslinge der KP-Elite – und Altkader um den immer noch einflussreichen Exparteichef Jiang Zemin. Zur anderen werden die Funktionäre um den im November abtretenden Generalsekretär Hu gerechnet, die sich in der Jugendliga der KP hochgedient haben. Da der Posten des Parteichefs derzeit in Personalunion mit dem Amt des Staatsoberhaupts verbunden wird, dürfte Xi im kommenden Frühjahr auch Präsident werden.
Xi selbst ist ein „Prinzling“: Sein Vater war prominentes KP-Mitglied der ersten Stunde und späterer Vizepräsident. Wie viele der alten Kämpen fiel der Vater bei Mao Zedong in Ungnade. Während der Kulturrevolution (1966 bis 1977) verbrachte Xi Jinping einige Zeit als Feldarbeiter in der kargen Provinz Shaanxi. Später studierte er Verfahrenstechnik und Jura an der renommierten Tsinghua-Universität in Peking. Gleichzeitig arbeitete er sich in der Partei hoch.
In den 90er Jahren war er Parteisekretär der boomenden Küstenprovinz Fujian. Ab 2002 diente er als Gouverneur der noch wohlhabenderen Provinz Zhejiang. In Schanghai war er dann zeitweise KP-Chef. Im Jahr 2007 stieg er auf in den inneren Zirkel der Macht, den Ständigen Ausschuss des Politbüros. Im Frühjahr 2008 wurde er Vizepräsident.
Li Keqiang - der Aufsteiger
Auf den ersten Blick wirkt Li Keqiang wie einer dieser Technokraten, die es in Chinas Führungsriege jede Menge gibt: Fachlich kompetent, im Auftreten aber farblos. Was der Mann, der als künftiger Regierungschef gehandelt wird, denkt, ist nicht klar. Das teilt er mit den meisten seiner Kollegen: In der KP ist es nicht gern gesehen, wenn jemand mit politischen Visionen aus der Reihe tanzt.
Anders als viele seiner Spitzengenossen zählt der 57-Jährige nicht zu jenen studierten Ingenieuren, die politische Probleme vor allem technisch lösen wollen. Li Keqiang ist Ökonom. Das ist viel wert in einem Land, dessen Volkswirtschaft vor einem grundlegendem Strukturwandel steht: Die künftige Führung wird mit gravierenden Umweltschäden fertig werden und das Sozialversicherungssystem stärken müssen. „Li Keqiang werden diese Aufgaben zugetraut“, sagt Yuan Guangming, Ökonom an der Peking Universität. Li gilt als Motor des neuen Krankenversicherungsnetzes und will, dass die großen Staatsbanken mehr Konkurrenz bekommen.
Li Keqiang stammt aus einer Bauernfamilie der einst besonders armen Zentralprovinz Anhui – und schaffte als eines von wenigen Landkindern den Sprung an die renommierte Peking Universität. Dort hatte er 1982 als Ökonom promoviert. Schon während seines Studiums arbeitete er sich im Jugendverband der KP nach oben, der als Machtbasis von Staatschef Hu Jintao gilt. Li wird er zur Jugendliga-Fraktion gerechnet. Als die Armee 1989 auf die Tiananmen-Demonstranten schoss, war Li bereits hoher Funktionär.
1999 stieg er zum Gouverneur der Provinz Henan auf, 2004 übernahm er das Amt des Parteisekretärs der Provinz Liaoning. Henan – mit heute über 100 Millionen Einwohnern – entwickelte sich in seiner Amtszeit zu Chinas größter Kornkammer. Liaoning, mit seiner damals noch maroden Schwerindustrie, schloss unter Lis Ägide an die prosperierenden Küstenprovinzen im Süden und Osten auf.
Dabei hat Li keineswegs eine reinweiße Weste: In Henan etwa hatten mehr als 280.000 arme Bauern in den 1990er Jahren ihr Blut an Sammelstellen verkauft. 25.000 Menschen infizierten sich mit HIV. Als Li dort Parteichef wurde, setzte er wie schon sein Vorgänger alles daran, den Skandal zu vertuschen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht