Die neue Foodbürger-Bewegung: Power to the Bauer
An der Demo "Wir haben es satt" werden mindestens 5000 Menschen teilnehmen. Der Dioxin-Skandal hat mobilisiert. Für einen Systemwechsel in der Agrarpolitik braucht es aber mehr.
Gentechnikgegner sind beim Thema Nahrungserzeugung schon lange dabei, relativ neu die Bürgerinitiativen gegen Massentierhaltung. Auch die Diskussion um Essens-Ethik hat mit dem Buch „Tiere Essen“ von Jonathan Safran Foer und mit dem Vegan-Selbstversuch der Schriftstellerin Karen Duve neues Feuer erhalten.
Und der Dioxin-Skandal. „Der Zeitpunkt ist optimal“, sagt Bewegungsforscher Sebastian Haunss von der Universität Konstanz. Dort, in der südwestlichsten Ecke Deutschlands, sei allerdings von der Agrardemo „überhaupt nichts“ zu bemerken. Keine Plakate, das Thema nicht im Gespräch. Aber was die Mobilisierungsfähigkeit für das Thema angeht, ist er pessimistisch.
Zwar seien Bauernproteste "traditionell spektakulär". Da werde immer mal wieder Mist oder Milch auf die Straße gekippt oder auch mal Straßen blockiert. Doch für eine Massenmobilisierung, zum Beispiel zur Demo "Wir haben es satt", bräuchte es mehr: "Die Verbände sind präsent. Doch eine Breitenmobilisierung, wie sie für eine solche Massendemo notwendig wäre, war im Bereich Verbraucherschutz noch nie zu sehen." Verbraucherproteste hätten keine lange Halbwertszeit. Und um wirklich erfolgreich sein zu können, bräuchte eine Bewegung auch eine wirkliche Basis.
Diesen und viele weitere spannende Texte lesen Sie in der sonntaz vom 22./23. Januar 2011. Ab sofort mit noch mehr Seiten, mehr Reportagen, Interviews und neuen Formaten. Die sonntaz kommt jetzt auch zu Ihnen nach Hause: per Wochenendabo.
Der Anlass: In Berlin findet gerade die Grüne Woche statt, nach Veranstalterangaben die weltgrößte Messe zu Ernährung und Landwirtschaft. Am Rande treffen sich Landwirtschaftsminister und Agrarkonzerne auf Einladung der Bundesregierung.
--
Der Protest: Die Demonstration "Wir haben es satt" für eine Wende in der Agrarpolitik beginnt um 12 Uhr am Berliner Hauptbahnhof und führt zum Brandenburger Tor.
Wenn man Christoph Fischer von der 2006 gegründeten Initiative "Zivil Courage" glaubt, dann gibt es diese Basis. Nämlich im obrigkeitskritischen Bayern. „Wir haben keine Hierarchie, wir sind kein Verein, wir haben keine Kasse“, sagt Fischer. Zivil Courage setzt sich hauptsächlich gegen Agro-Gentechnik ein, mit Filmen, Vorträgen, und „Bewusstseinsarbeit bei den Verbrauchern“. Im lokalen Edeka an der Kasse nach dem Marktleiter zu fragen, das funktioniere, sagt Fischer. Öffentlich kaufen. „Wenn das einer macht, ist das ein Spinner, wenn viele kommen, wird’s ausgelistet.“ Bündnispartner von Zivil Courage sind Umweltverbände und Gewerkschaften, aber auch die Gebirgsschützen in Garmisch-Partenkirchen.
„Dann wird das ausgelistet“
Die Molkerei „Berchtesgardener Land“ erlaubt nur noch auf gentechnikfreie Fütterung. Das sind die wahren Erfolge: Wenn eine Molkerei umstellt. „Da ist der Druck spürbar“, sagt Fischer. Nun soll sich endlich auch die Kirche positionieren, findet der Aktivist, „auch wenn die Angst haben“. Die Konservativen, die CSUler hätten es doch auch schon erkannt, dass sie „den Anschluss verlieren“. Einzelne von denen sähen Bayern ja durchaus als „Feinkostladen Deutschlands“. Und die Bauern an der Basis eh – bei den Landwirten habe man, was die Forderung nach einer anderen Landwirtschaft betrifft, „die kritische Masse“ bereits erreicht. Es hapere nur bei den Verbänden.
Auch die Bierbrauerei Neumarkter Lammsbräu beteiligt sich an der Mobilisierung für die Demonstration: Mit Flyern und Plakaten. Thomas Weiß, Nachhaltigkeitsmanager sagt, die Gentechnik-Freiheit sei ein wichtiger Aspekt – aber nicht alles. Indirekt würde natürlich das Thema Dumpingpreise eine Rolle spielen. Eine Diplomarbeit habe herausgefunden, dass Lammsbräu durch sein Geschäftsmodell viermal so viele Arbeitsplätze in der Region sichere wie eine Dumping-Brauerei. 1988 schlossen sich Vertragsbauern der Neumarkter Lammsbräu zur „Erzeugergemeinschaft für ökologische Braurohstoffe“ zusammen. Lammsbräu zahlt seine Mitarbeiter über Tarif. „Wir schätzen aber, dass dies den Verbrauchern gar nicht bewusst ist. Wir glauben: Die kaufen das Bier wegen des Bio-Gedankens“.
SlowFood hat sich erstmals politisch geäußert
Auch das wird politischer. Die Initiative SlowFood hat sich anlässlich der Demo zum ersten Mal überhaupt politisch geäußert – und in den Ortsgruppen, die sich treffen, um dem guten Essen zu frönen, kam das „überraschend gut an“, weiß Jochen Fritz aus dem Wir-haben-es-satt-Demobüro. 450.000 Flyer und 18.000 Plakate wurden gedruckt – alle sind verschickt.
Die politischen Rahmenbedingungen für eine offene Diskussion um eine gerechte Ernährungspolitik sind besser geworden. Auch durch die rückwärtsgewandte Politik, die in diesem Bereich in Deutschland seit 2006 gemacht wurde. Die Große Koalition hat Massentierhaltung wieder erleichtert. Der Gentechnik-Diskurs hat seit der Zulassung der Kartoffel Amflora und das Verbot des Gen-Maises MON810 neuen Schwung erhalten. Und die EU-Kommission überarbeitet aktuell die Agrar-Subventionen. Ziel der Befürworter einer neuen Agrarwende ist es, dass die EU-Subventionen umgestaltet werden: Weg von der Exportorientierung, weg vom Focus auf die großen Flächen, hin zu einer regionaleren und an Arbeit und Qualität orientierten Förderung.
„Europaweiter Bürgerdialog über Agrarpolitik“
„Wir wollen einen europaweiten Bürgerdialog über die Agrarpolitik“, sagt Georg Janßen von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (ABL). Zusammen mit anderen NGOs wie Miserior und "Brot für die Welt" wird die ABL eine Kampagne starten, um den EU-Kommissar, „der ja eigentlich gute Vorschläge gemacht hat“, bei der Reform der EU-Agrarsubventionen zu beeinflussen. Insbesondere aus Deutschland würden Schritte in die richtige Richtung allerdings blockiert, von der Bundesregierung, den Konzernen und vom Deutschen Bauernverband. „Wir werden ebenfalls Lobbying machen“, kündigt Janßen an. Er selbst wird den Politikern und Konzernen am Rande der Grünen Woche, die Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner zu einem „Davos der Agrarwirtschaft“ ausbauen will, mit Traktoren einen Besuch abstatten. Danach fahren die Bauern vom Messegelände zur Großdemo.
Vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) allein fahren mehr als 40 Busse nach Berlin, insgesamt werden es wohl an die 70 werden. Manfred Radtke aus Rotenburg hat zwei Busse organisiert. „Erst hatten wir nur einen geplant“. Vor Weihnachten waren es noch nicht so viele, die zur Demo nach Berlin mitfahren wollten, mit dem Dioxin-Skandal kamen dann aber viele, die auch mitfahren wollten. Im Bus werden nicht nur BUND-Mitglieder sitzen, sondern auch Umweltschützer vom Nabu und vom lokalen Klimabündnis, außerdem vom „Bündnis für artgerechte Tierhaltung“. Aus Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern kommen die Leute vor allem wegen der geplanten Massenställe und Riesen-Schlachtereien.
„Wie ein Krebsgeschwür“
„Das ist wie ein Krebsgeschwür, das Metastasen verursacht“ vergleicht Norbert Juretzko von der Bürgerinitiative in Wietze. Dort, im Herzen Niedersachsens ist eine Massenschlachterei geplant, 135 Millionen Tiere sollen dort pro Jahr geschlachtet werden. Die lokale Bürgerinitiative setzt sich gegen die Tötungsfabrik in ihrer Nachbarschaft ein. Vor einem Jahr als Verein gegründet, hat sie heute 1250 Mitglieder – vor allem aus der Region.
Juretzko ärgert sich, dass die Bürger bei einem solchen Großprojekt so wenig Mitspracherecht haben. Der Betreiber der geplanten Massenschlachterei sei nie aufgetaucht. „Was der sagt, das hören wir über 3 Ecken“. Und das mache wütend, so wie bei Stuttgart 21. „Da gehen die Bürger auf die Barrikaden“. Auch, weil es der Industrie von der Politik zu einfach gemacht würde. Um einen Bolzplatz für Jugendliche durchzuboxen, brauche man 3 Jahre, die Schlachtanlage in Wietze sei innerhalb von 9 Monaten festgeklopft gewesen.
Eine neue Foodbürger-Bewegung
Die Foodbürger-Bewegung ist vielfältig: Tierschützer, Gentechnik-Gegner und Eine-Welt-Aktivisten haben erstmalig im großen Stil den Schulterschluss mit den Landwirten gewagt – dem Dioxin-Skandal ist es zu verdanken, dass die Demo ein Erfolg wird, wenn das Wetter einigermaßen stabil ist. Auch wenn der Anteil ökologischer Landwirtschaft absolut bei gerade mal knapp sechs Prozent liegt, so ist es dennoch nicht unmöglich, eine kritische Masse für einen Systemwechsel zu erreichen.
Ob jedoch der Systemwechsel hin zu einer „bäuerlich-ökologischen Landwirtschaft“ gelingen kann, ist offen. Ein solcher Wandel muss nicht rückwärtsgewandt oder natur-romantisch sein: In einer zivilisierten, fortschrittlichen Gesellschaft haben Tierquälerei und Gift-Skandale keinen Platz. Das kann der Verbraucher selbst entscheiden – am besten laut an der Ladenkasse, so wie es Zivil Courage in Bayern empfehlen. Vor allem aber ist die Politik in der Pflicht: Die Neuverteilung der Agrar-Subventionen auf EU-Ebene innerhalb der kommenden zwei Jahre wird hierbei eine zentrale Rolle spielen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels