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■ Die neue Familienpolitik beendet den Stillstand der Ära Kohl. Aber gerecht sind Schröder und Co. noch lange nicht. Sie bevorzugen die Kinder von Großverdienern, benachteiligen allein Erziehende – und tun nichts gegen Kinderarmut  Von Christian FüllerMehr Kindergeld fürs Sozialamt

Der Hinweis darf inzwischen in keiner Rede von rot-grünen Politikern mehr fehlen: Wir haben die Familien entlastet! Es kann gar keine Gerechtigkeitslücke geben! Beinahe gebetsmühlenartig leiert die Regierungscrew um Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) das Sprüchlein herunter, dass sie gleich zum Regierungsantritt das Kindergeld um 30 Mark erhöht hat.

Kohl und Konsorten wetterten beständig gegen die Abtreibung des ungeborenen Kindes – und ließen gleichzeitig geborene Kinder in die Armut rutschen. Schröder und Fischer dagegen verteilen Wohltaten.

Aber ist die neue, die rot-grüne Familienpolitik wirklich gerecht?

Deutschlands Familien werden zwar bald einen deutlich höheren Kinderfreibetrag beim Finanzamt geltend machen können. 3.024 Mark hat Finanzminister Hans Eichel (SPD) auf die bisherigen knapp 7.000 steuerfreien Mark draufgeschlagen. Das bringt gutes Geld – wieviel genau, das hängt vom Steuersatz ab, nach dem der Fiskus Mami und Papi zur Kasse bittet.

Hier beginnt die Crux der rot-grünen Regierung. Denn eine Familienentlastung nach normalen Steuerfreibeträgen bevorzugt nur die Verdienenden – und dabei vor allem jene, die ein besonders gutes Einkommen haben. Ein Millionenverdiener macht den Freibetrag von rund 10.000 Mark zum Spitzensteuersatz geltend. Das bringt ihm rund 5.800 Mark Steuerersparnis – und damit mehr als das Doppelte wie bei Geringverdienern. Es ist also staatlich gewollt, dass der Sohn des gut verdienenden Architekten mehr Wert ist als die Tochter einer Friseurin. Ökonomische Ungleichheit, wie sie am Markt stets entsteht, wird von Seiten des Staates nicht etwa ausgeglichen, sondern verstärkt.

Noch im März geisterte durch die Bundestagsfraktionen von Bündnisgrünen und SPD der Entwurf einer Familienentlastung, die als finanzpolitischer Stein der Weisen galt: das Existenzminimum für Kinder. Es sollte, unabhängig vom Einkommen, 16.600 Mark betragen und hätte alle Kinder steuerlich gleich gestellt: Der Filius des Millionärs hätte im Finanzamt genauso viel gegolten wie der des Hilfsarbeiters. Diese Lösung war „innovativ, sozial gerecht – und finanzierbar“, schwärmt Klaus Müller, Steuerexperte der Bundestags-Grünen.

Das Justizministerium aber brachte grundsätzliche Einwände vor. Es orientierte sich an der maßgeblich von Verfassungsrichter Paul Kirchhof vertretenen „horizontalen Steuergerechtigkeit“ – die eine Gleichbehandlung von Kindern aller Steuerklassen praktisch verbietet (siehe Text rechts unten).

Geringverdiener haben wenigstens noch etwas von den neuen rot-grünen Kinderfreibeträgen. Angeschmiert hingegen sind die 2,6 Millionen allein Erziehenden in Deutschland. Weit über die Hälfte von ihnen nutzte bislang eine Freibetragspauschale von 480 Mark im Jahr. Sie wurde, genau wie diverse Freibeträge für allein Erziehende, kurzerhand gestrichen. Das Finanzministerium spart sich so 21 Millionen Mark – um Teile der Familienentlastung zu finanzieren.

„Es nicht gut, dass die Vergünstigungen nicht da ankommen, wo sie hingehören: bei den Menschen mit Kind“, sagt Rosemarie Daumüller vom Diakonischen Werk in Stuttgart. Wer genau hinsieht, muss mit Daumüller zu dem Schluss kommen: Die allein Erziehenden finanzieren zum Teil die Entlastung von Verheirateten.

Am krassesten aber wird sich die „Familienentlastung“ bei den Sozialhilfeempfängern auswirken. Keine müde Mark der Kindergelderhöhung wird bei ihnen ankommen – weil das Sozialamt sie als „Einkommen“ von den so genannten Regelsätzen abzieht (siehe Text unten links).

Die ganze Absurdität zeigt sich bei Kindern unter sieben Jahren, die in Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern oder Thüringen aufwachsen. In diesen Ländern steht für sie ein Sozialhilferegelsatz von 261 Mark im Monat bereit. Weil ab Januar nächsten Jahres das Kindergeld aber auf 270 Mark steigt, wird ein Sozialhilfeberechtigter dort neun Mark weniger in der Tasche haben: 261 Mark Regelsatz minus 270 Mark Kindergeld macht neun Mark Minus – rückzahlbar ans Sozialamt.

Die Folgen sind bekannt. Eine Million Kinder leben in Deutschland von der Sozialhilfe. Aber es geht längst um die dramatischen Folgen der Kinderarmut: Kinderärzte im Berliner Problembezirk Wedding etwa haben in einem Aufruf auf die Sprach- und Essstörungen, auf motorische Probleme und Konzentrationsstörungen ihrer kleinen Patienten hingewiesen. Zwanzig Prozent der Einwohner im Wedding leben von Sozialhilfe, beinahe die Hälfte sind Kinder.

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