■ Die militärische Kosovo-Politik des Westens funktioniert. Doch die Parlamente verweigern die Diskussion über eine politische Lösung: Wer bezahlt den Frieden?
Es ist also passiert: Die Nato bombardiert militärische Ziele in Jugoslawien. Die Verluste des westlichen Bündnisses sind marginal, die des jugoslawischen Militärs gewaltig. Die Zivilbevölkerung im Kosovo und in Serbien selbst ist so gut wie nicht betroffen. Die Nato ist aus dem Schneider: Oberbefehlshaber Wesley Clark kann vermelden, daß die Drohung des Westens an Präsident Slobodan Milošević endlich wahrgemacht und auf jugoslawische Militäraktionen im Kosovo militärisch reagiert wurde. Die militärische Seite eines Befriedungskonzeptes für den Kosovo steht. Damit ist der Ball an die Politiker zurückgespielt.
Seit vorgestern abend stehen nach Wochen der Mutmaßungen über das Für und Wider zu Nato- Luftschlägen endlich wieder die eigentlich zentralen Fragen auf der Tagesordnung: Wie wird die internationale Staatengemeinschaft jetzt den Friedensprozeß für das Kosovo diplomatisch vorwärtstreiben? Welche politischen und wirtschaftlichen Maßnahmen werden ergriffen, um die jugoslawische Krise endgültig zu beenden? Und wie werden brutale Potentaten vom Typ Milošević ein für allemal von der Macht vertrieben?
Doch statt sich diese Frage zu stellen, ist die politische Klasse der westlichen Staaten angesichts des militärischen Erfolgs in eine Art emotionalen Rauschzustand verfallen. Den Anfang machte Bill Clinton am Mittwoch abend. Auf CNN erklärte der US-Präsident seinen „fellow Americans“ und allen Völkern der Welt, die Nato führe nun einen Krieg für die Menschenrechte. In einer Weise, als spräche er mit Schulkindern, dozierte der ehemalige Anti-Vietman-Demonstrant, schuld am Krieg sei einzig Milošević. Der müsse nun den Friedensvorschlag, den die Balkan-Kontaktgruppe vor einem Monat im französischen Rambouillet vorgelegt und den die Kosovo-Albaner vor einer Woche unterzeichnet haben, endlich annehmen. Ende gut – alles gut? Darüber, was in dem Vertrag steht, sagte Präsident Clinton nichts.
Tatsächlich ist das 82seitige Dokument mit dem Titel „Interim Agreement for Peace and Self-Government in Kosovo“ nichts anderes als eine grobe Absprache über die militärische Absicherung eines Waffenstillstandes im Kosovo durch die Nato. Politische Institutionen, unter internationaler Aufsicht aufgebaut, sollen dann die Demokratisierung der südserbischen Provinz anschieben und in ihrer Entwicklung unterstützen. Schließlich wird noch erwähnt, daß eine nicht näher definierte „internationale Gemeinschaft“ Hilfe gewähren und „für eine schnelle Verbesserung der Lebensbedinungen“ im Kosovo sorgen werde.
Vor den Nato-Luftschlägen waren nach Angaben des Hohen UN- Kommissariats für Flüchtlinge über ein Drittel der Bewohner der Kosovo auf der Flucht. Eingekeilt zwischen jugoslawischer Armee, serbischer Polizei, nationalistischen Tschetnik-Milizionären und Plünderern, der Kosovo-Befreiungsarmee UÇK und geschlossenen Grenzen auf allen Seiten, versuchen Hunderttausende von Menschen, ihre nackte Haut zu retten. Eine Situation, gegen die jene in Bosnien zum Kriegsende im Jahr 1995 beinhahe friedlich-idyllisch scheint.
Die Probleme, vor denen die Staatengemeinschaft im Kosovo steht, sind gewaltig. Zumal die Nato-Angriffe weder das Ende des Krieges noch das Aus der national- populistischen Diktatur in Serbien bedeuten. Die Raketen und Bomben der Nato werden die militärische Infrastruktur der jugoslawischen Armee empfindlich stören, vielleicht sogar ganz unbrauchbar machen. Milošević' eigentliches Herrschaftsinstrument ist jedoch die serbische Polizei. Und die wird durch den Zusammenbruch des Militärs gestärkt. Dort gab es nach wie vor Unsicherheitsfaktoren wie Montenegriner, Angehörige nicht- serbischer Minderheiten aus dem Sandzak oder der Vojvodina und nicht zuletzt alte, ehemals titoistisch-gesamtjugoslawisch gesinnte Offiziere.
Gestärkt durch das Verschwinden der letzten potentiellen Gegner, sind Milošević, seine Gattin Mirjana Marković, Ultranationalist Vojislav Šešelj und ihr Apparat bereits darangegangen, den Rest ihrer rudimentären zivilistatorischen Vorbehalte abzubauen. Die Hatz auf die serbische Opposition, auf unabhängige Journalisten und Vertreter der nationalen und religiösen Minderheiten in Serbien wird intensiviert. Im Kosovo wird schneller und effektiver ethnisch gesäubert, als es sich selbst der kühnste nationalistische Phantast jemals hätte ausmalen können.
Was die „internationale Gemeinschaft“ im Kosovo und Restjugoslawien angesichts dieser Lage zu tun gedenkt, bleibt schleierhaft. So steht der Deutsche Bundestag zwar nahezu geschlossen hinter den Luftangriffen der Nato auf Jugoslawien. Doch die Adressaten der Worte von Schröder und Scharping sind nicht die Hunderttausende Flüchtlinge im Kosovo oder die vielen Menschen in Serbien und Montenegro, die bedroht sind, weil sie gegen Milošević stehen. Nein, den 3.000 deutschen Soldaten innerhalb des Nato-Kontingents im benachbarten Makedonien und ihren Familien wurde am Donnerstag im Parlament parteiübergreifend die volle Unterstützung zugesagt. Der Gipfel des Zynismus ist erreicht, wenn die Börse vermeldet, trotz der Bombardements sei der DAX gestiegen. Oder wenn die PDS als einzige die völkerrechtlichen Unsicherheiten und möglichen zivilen Opfer durch die Nato-Angriffe kritisiert und daß auch noch als fundamentale Opposition zum militarisierten politischen Mainstream zu verkaufen versucht. Dabei gibt es durchaus Forderungen, die nun zu stellen sind:
Wenn mittlerweile auch im Bundestag anerkannt wird, daß in Restjugoslawien nicht etwa irgendeine „Krise“, sondern Krieg herrscht, dann muß die Bundesrepublik zum Beispiel die Flüchtlinge von dort endlich auch als Flüchtlinge anerkennen. Von der Bundesregierung könnte eine ernsthafte Opposition fordern, Vorschläge zum Wiederausbau des zivilen Lebens nach den Nato- Angriffen zu formulieren. Des weiteren sollten sie Schröder und Co. beim Wort nehmen und sie auffordern, sich bei den Nato-Verbündeten dafür einzusetzen, daß Milošević nicht am Ende das Schicksal Saddam Huseins erfährt – und von seinen angeblichen Feinden an der Macht gehalten wird. Denn sein Verschwinden ist die Grundvoraussetzung für die Entwicklung der zivilen Seite jeglichen Befriedungskonzeptes auf dem Balkan. Zuletzt, weil am wichtigsten, bleibt die Frage, wer soll das bezahlen? Die Bundesrepublik ist eines der reichsten Länder. Fällt niemandem etwas ein? Rüdiger Rossig
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