Die meisten Eltern wollen ihre Kinder nicht auf die Stadtteilschule schicken – nicht weil die Lehrer schlechter wären, sondern WEIL derEN ruf SCHLECHTER IST: Die Sehnsucht nach dem Gymnasium
Fremd und befremdlich
KATRIN SEDDIG
Die Schulpolitik hätte einmal, vor langer Zeit, in Hamburg fast etwas Gutes erreicht. Ein bisschen mehr Gerechtigkeit. Aber das ist natürlich meine ganz persönliche Sicht der Dinge. Ich saß damals relativ allein in einem Raum voller ratloser Eltern, die glauben wollten, dass sie sich in einem Volksentscheid gegen „die da oben“ wehren müssten, weil sonst ihren Kindern geschadet würde. Manchen Eltern muss nur einer zuraunen: „Das schadet deinem Kind“, dann glauben sie fest – das schade ihrem Kind.
Ob es anderen Kindern schadet, ist ohnehin egal. Wie auch immer, die Schulreform wurde verhindert, die Verhältnisse sind also beim Alten. Und so sieht es aus. Wer kann, meldet sein Kind auf dem Gymnasium an. Und das muss er entscheiden, zwischen der dritten und vierten Klasse. Denn bei einem neunjährigen Kind kann man mit Sicherheit schon sagen, ob es einst, wenn es doppelt so alt sein wird, das Abitur machen wird. Kann man nicht? Muss man auch nicht, denn das Abitur kann das Kind ja in jeder Schulform machen.
Warum also dann die Sehnsucht nach dem Gymnasium? Was Herr Schulsenator Ties Rabe vielleicht nicht weiß, das Gymnasium gilt unter Eltern als die „bessere“ Schule. Und da geht es nicht um die besseren Lehrer oder die besseren Stühle, es geht um den besseren Ruf und den besseren „Umgang“.
Die „Guten“ gehen aufs Gymnasium, die „weniger Guten“ auf die Stadtteilschule. Natürlich stimmt das zum einen nicht und natürlich würde das auch kein Elternteil zugeben. So snobistisch will keiner sein. Aber warum sagt dann Herr Ties Rabe aktuell im Interview mit dem NDR, die Eltern sollten bei ihrer Entscheidung gut überlegen, denn ein Schulwechsel vom Gymnasium zur Stadtteilschule könnte als Niederlage empfunden werden?
Ein Schulwechsel von der Stadtteilschule zum Gymnasium dagegen kann offensichtlich nicht als Niederlage empfunden werden? Wie ist das gemeint? Und wenn das tatsächlich so ist, soll das dann daran liegen, dass sich das Kind „verschlechtert“, wenn es künftig mit den Kindern der Stadtteilschule zusammen lernt? Man denke mal darüber nach, über die Hierarchien, über das, was die Eltern glauben, weshalb sie ihr Kind sogar dann auf das Gymnasium bringen wollen, wenn das Kind schon in der Grundschule fleißig lernen musste, um mitzukommen.
Und geht es hier überhaupt noch um Bildung, oder eher um Ansehen? Und wenn das so ist, wessen Kinder bleiben dann noch für die Stadtteilschule? Die Kinder der Eltern, die sich nicht interessieren, die Kinder der Eltern, die sich im Land noch gar nicht orientiert haben und die Kinder der paar Eltern, die einen gewissen Idealismus aufbringen?
Die Idee der Stadtteilschule ist gut. Sie funktioniert aber nur, wenn die Leute auch Bock auf die Stadtteilschule haben. Wenn die Leute ihre Kinder dort hingeben WOLLEN, weil es auf der Stadtteilschule gut für die Kinder ist, weil sie dort gut lernen können und gute Bedingungen vorfinden. Die Leute glauben das aber nicht. Warum auch immer. Und deshalb geht das nicht auf.
Da können sich die Lehrer noch so mühen, die Konzepte noch so gut sein. Am Ende geben selbst die Kinder der Stadtteilschullehrer ihre Kinder nicht auf die Stadtteilschule, ich weiß, was ich schreibe. Am Ende spiegelt das Hamburger Zweisäulenmodell nur die Ungerechtigkeit einer Zweiklassengesellschaft wider. Aber „die Eltern“ haben es ja so gewollt, damals, als sie gegen die Primarschule abgestimmt haben, oder auch eben nicht, weil es ihnen schlicht egal war. Politik wird ja häufig auch von denen gemacht, denen es egal ist.
In Altona wird demnächst ein Standort der Stadtteilschule Am Hafen einem neuen Gymnasium weichen müssen. Die Stadtteilschüler werden dann gehen müssen. Ein bezeichnendes Bild.
Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Eine Nacht und alles“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.
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