Die grüne Jugendstadträtin:: "Wir sind uns in Neukölln in vielem einig"
Mehr Rückendeckung vom Senat für die Integrationsarbeit in Neukölln fordert Jugendstadträtin Gabriele Vonnekold. Die Grüne hat SPD-Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky auf seiner Tour nach London und Rotterdam begleitet.
GABRIELE VONNEKOLD ist Jugendstadträtin von Neukölln und Mitglied der Grünen.
taz: Frau Vonnekold, als Neuköllns Jugendstadträtin haben Sie Bürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) auf seiner Reise nach Rotterdam und London begleitet. Sind Sie auch so beeindruckt?
Gabriele Vonnekold: Ja.
Was hat Ihnen gefallen?
In Rotterdam beispielsweise, dass vom Oberbürgermeister angefangen das Bewusstsein vorhanden war, dass das Problem der Integration grundsätzlich angegangen werden muss. Dass man dafür auch Personal einsetzen, Mittel zur Verfügung stellen und die Vernetzung verbessern muss. Dieses Bewusstsein fehlt mir in Berlin. In London waren Einzelbeispiele beeindruckend. Wir haben eine Schule besucht, die vor ein paar Jahren ähnliche Probleme wie unsere Rütlischule hatte und nun eine Musterschule geworden ist - mit relativ einfachen Mitteln, die uns hier leider nicht zur Verfügung stehen.
Zum Beispiel?
Ein Punkt war, dass es dort möglich war, das Personal weitgehend auszuwechseln.
Weitere gute Erlebnisse?
In Rotterdam haben wir in einem erstklassigen Restaurant gegessen. Zwischen Hauptgang und Dessert informierte man uns, dass es sich dabei um ein soziales Projekt handelt: Jugendliche mit Drogenproblematik, krimineller Vergangenheit oder anderen Problemen werden dort in sechs bis zwölf Monaten zu Service- oder Küchenpersonal ausgebildet. Und das Beste: Sie finden dann wirklich Arbeit in den guten Restaurants und Hotels der Stadt.
Haben Sie auch Abschreckendes gesehen?
Auch wenn ich ab und zu Probleme mit unseren intensiven Datenschutzbestimmungen habe: Sie so weit aufzugeben wie in Rotterdam wäre ich nicht bereit. Dort gibt es etwa bei der Frage, wer eine Sozialwohnung bekommt, die Möglichkeit, sich mal die Daten der Familie anzusehen.
Und das finden Sie falsch?
Zumindest schwierig.
Warum?
Weil ich es auch nicht schätzen würde, wenn mein Vermieter wüsste, ob meine Kinder die Schule schwänzen. Aber bei allen Problemen mit der Datenweitergabe: Dass da Sozialarbeiter, Jugendamt, Wohnungsbaugesellschaften und auch die Polizei wirklich in Gremien zusammensitzen und zusammenarbeiten, finde ich sinnvoll. Das versuchen wir in Neukölln zwar auch, aber dafür bräuchte man mehr Rückendeckung von der Ebene des Regierenden Bürgermeisters.
Wieso kann man das nicht auf Bezirksebene realisieren?
Weil es da so viele unterschiedliche Zuständigkeiten gibt. Wir arbeiten hier sehr vertrauensvoll mit der Polizei zusammen. Aber trotzdem ist das kompliziert. In London gibt es Verbindungspolizisten, die bei Familien, deren Kinder unentschuldigt in der Schule fehlen, auch schon mal eine Woche lang jeden Tag vorbeischauen. Das wäre bei uns überhaupt nicht denkbar. Hier gibt es eine Schulversäumnisanzeige, die durch diverse Instanzen geht, und am Ende geht dann auch die Polizei da mal hin. Und wenn das Kind am nächsten Tag wieder fehlt, muss das ganze Verfahren von vorne beginnen.
Bei der Umsetzung Ihrer Erfahrungen: Werden Sie mit Ihrem Bürgermeister an einem Strang ziehen können oder wird es Ärger geben?
Wir diskutieren hier in Neukölln naturgemäß ziemlich intensiv. Aber wir sind uns in vielen Punkten einig. Zum Beispiel die Rotterdamer Praxis, Schulzeugnisse an die Eltern auszugeben. Das halte ich auch für eine gute Idee für unsere Schulen, die oft über zu wenig Kontakt zu den Eltern klagen. Das ist in Rotterdam aber damit verbunden, dass es in den Schulen auch regelmäßige Angebote für die Eltern gibt. Es gibt Räume, es gibt Sozialarbeiter, es gibt Sprachkurse und Beratung. Das hätte ich auch gerne.
Werden demnächst die MitarbeiterInnen des Neuköllner Jugendamtes ihre Sprechstunden in den Schulen abhalten?
Es geht darum, dass jede Schule zwei, drei Sozialarbeiter hat, die immer da sind und mit denen die Menschen etwas anfangen können, weil sie sie verstehen. Nicht darum, dass das Jugendamt da mal einreitet.
INTERVIEW: ALKE WIERTH
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