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Die geschlossene Gesellschaft und ihre Freunde

■ Bürgerkomitee Leipzig dokumentiert Erkenntnisse über Wesen und Funktion der Staatssicherheit in einer Ausstellung: „Stasi-Macht und Banalität“ / Eingebundensein der Stasi in den staatlich organisierten Selbstbetrug wird gezeigt

Leipzig (taz) - „Die schrecklichste Herrschaft ist die Bürokratie, sie ist eine Tyrannei ohne Tyrannen“, schrieb Hannah Arendt. Die Ausstellung „Stasi-Macht und Banalität“ im Leipziger Informationszentrum beginnt mit eben jenen Indizien einer Bürokratie - mit Formularen. Formulare, die Zugang eröffneten zu jeder nur irgendwo schriftlich niedergelegten Information der Ämter. „Auskunftsersuchen“ setzten die flinken Finger in den Karteien in Bewegung. Der gesuchte Mensch - aufgelöst in eine Handvoll Daten. Sogar die Abschlußberichte über eine erfolgreiche Werbung verweisen auf den bloß verwaltungstechnischen Gehalt einer so intimen Angelegenheit wie der Weltanschauung. „Die Werbung“, heißt es, „erfolgte auf der Basis der Überzeugung/materieller Interessen. (Nichtzutreffendes streichen)“. Der bürokratische Archimedes brauchte mindestens zwei Punkte im All der Unwägbarkeiten. Der bürokratische Sozialismus

Die Staatssicherheit war aber nicht die einzige tragende Institution des bürokratischen Sozialismus, ihre „stets konstruktive Zusammenarbeit mit der Volkspolizei“ würdigt ein Schreiben derselben zum Feiertag des MfS, und „gesellschaftliche Kräfte“ aller Couleur handelten fraglos mit dem Dienst zusammen. Wie stets in deutschen Landen, brauchte es dazu keines Befehls von oben. Die wachsamen Genossen der 'Leipziger Volkszeitung‘ übersandten beispielsweise ein paar „Hetzschreiben“ zur kritischen Begutachtung. Der Inhalt: eine Preisliste von Fleischereierzeugnissen, auf der solche nur hypothetisch existenten Delikatessen wie Lendenfilet, Rollschinken und Seelachs unterstrichen waren und der Hetzer darunter die berechtigte Frage erhob: „Wo gibt's denn das?“ Die Antwort ist inzwischen bekannt. Ein anderes Hetzmaterial zeigt Honecker mit Lidschatten, Miss-Piggy-Nase und roten Bäckchen. Der zuständige Sachbearbeiter der Staatssicherheit empfiehlt, möglichen Speichelrest und Fingerabdrücke erkennungsdienstlich zu behandeln. Der Feind konnte sich ja auch hinter Albernheiten versteckthalten. Beichte behinderte die Arbeit der Stasi

Die Abteilung XX, dem politischen Untergrund auf der Spur, beschwert sich in einer Dienstanweisung darüber, daß „die Einrichtung der Beichte und des vertrauensvollen Gesprächs“ die Erkundungsarbeit in der Kirche behindert. Brachte die Seelsorge den destruktiven Wankelmut in den treuen Genossen? Oder erkannten die Zuträger zuweilen, daß sie dem falschen Feind nachspürten? Die Abteilung VIII (Beobachtung) dokumentiert auf das feinste ein Treffen kirchlicher Umweltgruppen und betätigte sich als Chronist einer Glockenweihe. Ein Sicherheitsapparat auf der Suche nach dem Feind, während hinterrücks die Gerontokraten das Land in die Sackgasse wirtschafteten.

Darum lief letztlich alles auf die Reinhaltung der Ideologie hinaus. Den Widerspruch zwischen realsozialistischer Scheinwelt und praktischer Impotenz konnten die Agitatoren der Partei schon lange nicht mehr einebnen. Da mußte höhere Werte ran: die Sicherheit des Staates. Die Stasi „entsorgte“ das Land vom verheerenden Feedback einer unsinnigen und oft dreisten Politik. Diese banale Politik erzeugte die Banalität der Macht.

„Wesentlich für die erfolgreiche Realisierung der Maßnahmen war das komplexe Vorgehen und abgestimmte Zusammenwirken mit der VP, den zuständigen staatlichen Organen und gesellschaftlichen Kräften unter Führung der Partei“, heißt es im Abschlußbericht der Leipziger Staatssicherheit zur Aktion „Symbol“. Das „Symbol“ war die Kommunalwahl im Frühjahr 1989. Ein zentrales Anliegen der Leipziger Ausstellung ist das Eingebundensein der Staatsicherheit in den staatlichen organisierten Selbstbetrug. Die Stasi war integraler Bestandteil eines Systems, das als erste Zielgröße den „Machterhalt“ der Bürokratie kannte. Es vermochte Menschen nur als „negative“ oder „positive Kräfte“ je nach ihrer Stellung zur Macht zu bewerten, und es entschied die „Machtfrage“ stets mit der Gesamtheit seiner Bürokratien. Bezirksarzt, Wehrkreiskommandant, Schuldirektor, Kaderleiter, Hausbuchverwalter, Stadtrat, Abschnittsbevollmächtigter, Staatsanwalt, Postdirektor sorgten für die Sicherheit des Staates, und die Staatssicherheit koordinierte dieses Tun. Was lag da näher, als die obigen Würdenträger in GMS, IME, IMK, FIM und wie die inoffiziellen Mitarbeiter noch alle hießen zu verwandeln?

Diese erschreckende Banalität hat die DDR-Bürger lange genarrt. Gerade der große Anspruch der Ideologie verhinderte die Einsicht in die gleichsam feudale Struktur der Macht, in der es einen König und viele Statthalter gab. Jetzt, wo alle schon immer dagegen waren, ist die nachgewiesene Allgegenwart des Sicherheitsdienstes ein willkommenes Argument für das eigene Schweigen in der Vergangenheit. Lernprozesse oder gar bloße Wendungen will sich keiner eingestehen. Die Ausstellung „Stasi-Macht und Banalität“ zeigt viel vom Geflecht der Bespitzelung und einiges vom lächerlich-paranoiden Sicherheitsbedürfnis der Mächtigen, wenig zeigt sie über konkrete Repressionen gegen Oppositionelle. Hatten nicht auch jene, die sich jetzt vor den Bildern entrüsten, einen „inneren Sicherheitsapparat“, den sie nun verleugnen? Die abschließenden Fotos über den „Sturm“ der Bezirksverwaltung Leipzig der Staatssicherheit zeigen das Täteropfer Wolfgang Schnur mit dem Megaphon.

Im Gästebuch vor allem die Handschrift sehr junger und alter Besucher. Das scheint seinen Grund zu haben. BRD -Bürger schreiben über „ihre“ Geheimdienste. Wie werden sie die Vereinigung überstehen? Die Vergangenheit des Sicherheitsstaats bietet, wie schon einmal, zwei Varianten der Bewältigung. Im Gästebuch dominiert jener unversöhnliche Ton der Widerstandskämpfer, der nichts mehr zu lernen braucht.

Bert Hartmann

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