■ Die erste Koalition von SPD und PDS ist ein Stück ostdeutscher Normalität. Dennoch ist sie ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang: Schlaraffenlanderbauungsmaschine
Fünf Jahre Denkpause hat Bärbel Bohley im Herbst 1989 für die Genossen gefordert. Jetzt sind neun Jahre vergangen – und Honeckers Enkel sind schon wieder an der Macht. In Mecklenburg- Vorpommern wird am Wochenende die erste Regierung mit PDS- Beteiligung perfekt gemacht. Vergleicht man den Weg der Sozialisten an die Macht mit den selbstquälerischen Auseinandersetzungen der grün-alternativen Bewegung im Westen, so haben die Genossen nach ihrem historischen Desaster 1989 nicht gerade einen langen Marsch hinter sich.
Trotzdem geht kein Aufschrei durch dieses Land. Die erste SPD/ PDS-Koalition in Schwerin wird Deutschland ebensowenig ins Chaos stürzen wie das rot-grüne Bündnis in Bonn. Dafür ist das Ereignis dann doch zu normal. Nach acht Jahren Ost-West-Auseinandersetzung, nach den anhaltenden Erfolgen der PDS im Osten, nach dem Tolerierungsbündnis in Sachsen-Anhalt und nach dem Erfolg der Sozialisten bei der zurückliegenden Bundestagswahl kann es nicht einmal mehr im Westen überraschen; wenngleich es dort viele immer noch nicht nicht verstehen. Die erste rot-rote Regierung liegt in der Logik der Ereignisse der letzten Jahre.
Und dennoch bedeutet dieser Regierungswechsel in Mecklenburg-Vorpommern eine Zäsur – nicht nur für den Osten, sondern für die gesamte Bundesrepublik. Im Westen wird sich vielleicht langsam, aber stetig die Erkenntnis durchsetzen, daß das vereinigte Deutschland mehr ist als die Fortsetzung der alten Bundesrepublik mit anderen Kanzlern. Die PDS ist jetzt Teil des bundesdeutschen Systems. Sie wird mehr und mehr als zwar widersprüchliche, aber weitgehend demokratische Partei wahrgenommen. Der Umgang mit ihr entspannt sich. Nicht nur, daß jetzt auch die letzten Hardliner ihre Hoffnungen auf ein schnelles Ende der PDS begraben können – die Sozialisten werden als Konkurrenz ernst genommen. Selbst CDU-Chef Schäuble wirbt auf einmal um frühere SED-Mitglieder.
Diese Etablierung der PDS bedeutet im Umkehrschluß auch: Die Bundesrepublik wird für die Partei wählbar. Das heißt noch lange nicht, daß sie im Westen angekommen ist. Aber die Machtbeteiligung der PDS in Mecklenburg- Vorpommern ist für die Partei ein symbolischer Durchbruch. Sie bedeutet auch eine Versöhnung mit dem sozialistischen Milieu im Osten. Dort wird es vielen jetzt vielleicht leichter fallen, sich in die für sie immer noch fremde Gesellschaft zu integrieren.
Gerade diese Normalisierung der PDS, die scheinbare Zwangsläufigkeit ihrer Regierungsbeteiligung verstellt jedoch den Blick auf die Brisanz der rot-roten Koalition. SPD und PDS haben aufgrund des belasteten historischen Verhältnisses von Sozialdemokraten und Kommunisten in einem Bündnis schließlich mehr zu klären als nur die Frage, wieviel Arbeitsplätze mit staatlichen Beschäftigungsprogrammen geschaffen werden. Für beide Parteien geht es um Grundsätzliches. Die SPD will beweisen, daß sie mit einer Koalition die Protestpartei PDS entzaubern und sie, dann demokratisch und marktwirtschaftlich geläutert, gesellschaftsfähig machen kann. Die PDS hingegen geht im Osten den letzten Schritt hin zu einer etablierten, staatstragenden Partei. Billiger Populismus ist für die Genossen ab jetzt nicht mehr zu haben. Der PDS wird nicht die Quadratur des Kreises gelingen, sich gleichzeitig als Regierung und Systemopposition zu verkaufen.
So haben in Mecklenburg-Vorpommern beide Angst: die PDS vor ihrer Entzauberung und die SPD vor der Entzauberung der Entzauberer. Aber beide Parteien haben keine Zeit mehr, sich zu fürchten. Also überbieten sie sich in Pragmatismus und stürzen sich geradezu in das gemeinsame Bündnis. Es ist ein Abenteuer, das angesichts der abgewrackten CDU im Osten keine Alternative hat. Es ist aber auch ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang.
Es geht um die Frage, ob es wirklich normal wird, wie PDS- Chef Lothar Bisky behauptet, daß Sozialisten in Deutschland an der Regierung sind. Mal abgesehen von der Tatsache, daß 20 Prozent der Ostdeutschen die Partei wählen: Warum soll sie überhaupt an die Macht? Was hat die PDS politisch zu bieten? Und was setzt die SPD dagegen? Was heißt, der Osten ist rot? Kann er eine rote Politik machen, die den Gedanken der sozialen Gerechtigkeit mit einem modernen Staats- und Gesellschaftsverständnis verbindet?
Der Koalitionsvertrag, den SPD und PDS in Mecklenburg-Vorpommern ausgehandelt haben, gibt allerdings wenig Anlaß zu Hoffnungen. Da schafft der Staat Arbeitsplätze, da gewährt das Land einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreung, da verspricht die Regierung jedem Jugendlichen einen Ausbildungsplatz. Der Bürger wird betreut, versorgt, gepflegt. Wenn er nicht aufpaßt, kommt er vielleicht noch in ein Gehege. Das alles erinnert doch sehr an die liebgewonnene Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik des Genossen Honecker. War da nicht mal was mit Freiheit, mit Eigenverantwortung des einzelnen und mit Bürgergesellschaft?
Natürlich hat Mecklenburg- Vorpommern eine hohe Arbeitslosigkeit. Natürlich bleibt der Regierung nichts anderes übrig, als auch auf Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zu setzen, aber eben nicht nur. Soziale Gerechtigkeit ist mehr als der Ruf nach Arbeit, und der Staat ist keine Schlaraffenlanderbauungsmaschine, schon gar nicht in Zeiten leerer Kassen. Wenn Sozialdemokraten im Verein mit den Genossen der PDS die Herstellung von Gleichheit und Gerechtigkeit nur als ein Geschenk des Staates verstehen oder als ein Ergebnis staatlicher Umverteilung von „oben“ nach „unten“, dann werden sie jämmerlich scheitern. Vielleicht sollten SPD und PDS in Mecklenburg-Vorpommern, bevor sie denn richtig loslegen, noch mal schnell einen Blick auf den neuen Sparhaushalt in Sachsen- Anhalt werfen. Die SPD treibt ihren Tolerierungspartner PDS gerade zur Verzweiflung, weil sie das Geld bei den ABM und der staatlichen Kinderbetreuung kürzt.
So profan kann Politik sein. Allen historischen Zäsuren und aller symbolischen Durchbrüche zum Trotz: Noch jede Regierung ist im Jammertal des Irdischen gelandet. Daran wird auch die PDS nichts ändern. Wenn die Koalition in Schwerin nicht mehr zu bieten hat als den Versuch einer staatlichen Rundumversorgung der Bürger, dann wird ihr Ende ebenso zwangsläufig und normal sein wie ihr Anfang. Das rot-rote Bündnis könnte dann höchstens noch beim DDR-Ähnlichkeitswettbewerb antreten. Jens König
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