Durchs Dröhnland
: Die erdabgewandte Seite des Hippietums

■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche

Um es den DröhnländerInnen in dieser Woche nicht allzu schwer zu machen, folgendes: Heute abend spielen The Cult. Wahrscheinlich die beste Band der Welt. Keine weiteren Diskussionen. Vielleicht läßt sich über ihr beständiges Abkupfern von Free- oder Led-Zep-Rockriffs und das miefige Biker-reiten-den- Rest-der-Welt-Gehabe streiten. Aber alles andere ist eben alles andere: der ehrlichste Bandname — allein die Gesundschrumpfung zwischen 81 und 84 (Southern Death Cult wird Death Cult wird zum simplen Cult); oder das grandiose Bühnengebaren von Ian Astbury, die zickigen Verrenkungen am Mikrofonständer, zu denen sein Statement auf der Live-LP zum Pure-Cult-Album null paßt: nur ein Haufen Hippies zu sein, der eine gute Zeit haben will. Ferner die besten Texte seit Morrison-Gedenken: „Peace is a dirty word, she used to be a painted bird“. Dann die Revival-Schraube – Astbury hat schon mit Rick Rubin im Metallstall Schweine geschlachtet, als hierzulande die Bauern noch in Paisley herumliefen und elevenhaft vor sich hin velvetierten. Und bei alledem sind The Cult eine Band, die Aerosmith ohne Spaß nachspielt und Soli provozierend leidenschaftslos aus der Gitarre haut. The Cult haben sich den Hardrock ganz einfach auf ewig gefügig gemacht.

11.6., 20 Uhr, Huxleys, Hasenheide 108 – 114, Kreuzberg

Da ist offensichtlich ein falsches Presse-Info angekommen: „So wurde in Hellersdorf keine einzige Mark an Fördermitteln für freie Gruppen ausgegeben, in Mitte dagegen 150.000 DM.“ Statt des Gehaders um öffentliche Finanzen handelt es sich aber um ein Konzert auf der Insel, das die Shiny Gnomes trotz aller ABM- Stellenkürzungen auf einen ganz und gar unsozialstaatlichen Nenner bringen. Die Psychedeliker aus Nürnberg halten sich mit einer Ansammlung von garagigem Zeug über Wasser: die erdabgewandte Seite des Hippietums, was natürlich nicht heißen soll, daß die Bayern das gewisse Kunststudentenpublikum in ihren Bann ziehen. Obwohl sicher auch ein Konzept hinter deren Voodoogedaddel steckt, mit dem das monotone Akkordgeschrubbe entsprechend moderat und leichtfüßig synthetisiert wird. Syd Barrett arbeitet in Nürnberg als Pizza-Bäcker in der örtlichen italienischen Erlebnisgastronomie. Doch viel Wirkung zeigen seine Pilze bei diesen Schrammel-Funghis auf Dauer nicht.

11.6., 22 Uhr, Die Insel, Alt-Treptow 6.

Reggae klingt nach Baccardi, Koks und guter Laune. Nur nicht in Hereford: Schon die volksnahen Plaudertaschen von Carter, der nicht zu stoppenden Sexmaschine, wähnten dort auf ihrer letzten LP den Anfang aller englischen Landadelsödnis. Aber weit gefehlt: Hereford steht für riesenhafte Raketenjoints und Romero- artigen Endzeitaktivismus. Rave. Statt vor sich hin zu dümpeln, Stütze einzufahren und auf London zu schauen, macht man im äußeren Südosten Musik, in diesem Fall Dub, wie ihn sich die Gruppe dubmerge unzweideutig auf ihren Schild geschrieben hat. Nicht dieser Rastafar-oute aus dem Studio One in Kingston Town, bei dem einfach alle Mischpultregler verdreht werden, sondern weißer, mithin konstruktiver und exakter Dub. Industrial-Dubreggae wie etwa zu Zeiten von London Underground (dem Original), der in den End-70ern den Schlummer-Reggae von den Tanzflächen vertrieben hatte. Aber was nicht ist, kann ja auch im Raggamuffinzeitalter der prallen Grooves, runden Radlerärsche und all des Gebogles wieder werden.

11.6., 22 Uhr, Knaack-Club, Greifswalder Str. 224.

Von den Jungle Brothers wäre ein wenig mehr zu erwarten gewesen als überrissene Tiefenbässe, bei denen der Walkman ein Furzen vernehmen läßt. So wie beim Hardcore die Fragmentarisierung und im Metal der Speed, bedeutet für HipHop die Phatness schon fast alles. Das muß nicht so sein. Schließlich waren zuvor märchenhafte Platten aus der Feder der Jungle Brothers geflossen. Allein die allererste afrozentrierte LP zur „I'll Haus-Schuh“-Hymne mit Housebeats unter all dem fein gesponnenen Geplapper und dann der endgültige Bahnbruch in Sachen Bewußtseinslyrik mit Begleitbeats auf „Done by the forces of Nature“. Aber jetzt fällt bei den Jungle Brothers außer einigen merkwürdig kruden Jazzfunkanklängen nicht so sehr viel Neues ab.

12.6., 20 Uhr, E-Werk, Wilhelmstraße

Kurgan wollen verschmelzen, was sich eigentlich selbstverständlich in der metropolitanen Nachbarschaft ergeben sollte. Das weltmusikalische Konzept hat einen pflegeleichten Überbau: Man soll „über Grenzen hinwegspielen“ können. Das stimmt nicht nur angesichts der Schlagzeilen stutzig. Die Welt ist bei Kurgan in ziemlich strenge Partituren geordnet, manchmal höchst formveredelt, aber ohne den nötigen Raum für Improvisationen. Man fragt sich zwangsläufig, warum der Drive und Schmiß der türkischen Sazmusik auf Platte einem sehr poplastigen Wohlklang gewichen ist. Zum Glück erkennen Kurgan am Ende zumindest eine Grenze an, die des Textes: Im Netz der Sommernachtsklänge klingt allerhand Bedenkliches zum Leben in der Fremde mit. Vielleicht ist die schön geschliffene Musik nur Makulatur oder Verführung – Pop für die Welt.

12.6., 21 Uhr, Haus der Kulturen, John-Foster-Dulles-Allee 10.

Wie die taztägliche Wahrheitskolumne des Herrn Sotscheck berichtet, wirbeln U2 Irlands Bruttosozialprodukt durcheinander. Auch sonst spielen nationale Symbole eine wesentliche Rolle beim Erfolg der Band: Kleeblatt und Harfe – Glück muß man haben und die dazugehörige Klampfe. Von daher kann man U2 nur positive Seiten im Sinne negativer Dialektik abgewinnen. Ohne den Gipfelhall der Gletschergitarrenmusik von The Edge hätte es wahrscheinlich nie Techno gegeben, denn mit U2 hat die Abneigung gegen gezupfte Töne jenen Höhepunkt erreicht, der den Griff zum Synthesizer notwendig gemacht hat usw. Nun gibt sich aber selbst Bono sehr technobewußt, schaltet Satelliten und MTV hinzu, wenn er dem Bundeskanzler wegen Solingen die Leviten liest und kann als Wim-Wenders-Lookalike im Lederanzug das Olympiastadion leichter füllen als Madonna in Strapsen – oder jeder andere Parteitag in diesem Sommer.

15.6., mit Tote Hosen und Stereo MCs, 18.30 Uhr, Olympiastadion.

Harald Fricke