Die eine Frage: Ach, die. Pffff!
Wie schlimm steht es um die Bundesgrünen wirklich?
Peter Unfried ist taz-Chefreporter
Man kann die Frage für albern, selbstgefällig und infam-strategisch halten, „wozu“ es die Grünen „eigentlich“ noch brauche. Und häufig wird sie auch in diesen Modi gestellt. Gern auch aus persönlicher Beleidigtheit oder medial-kultureller Gelangtweiltheit heraus („Ach, die. Pffff.“). Aber da genau dieses Gefühl die Medienrealität mitprägt, ist es andererseits in seiner Ignoranz eben doch hochpolitisch.
Oft sind es dieselben Kritiker, die sesselpupsend beklagen, die Grünen seien „saturiert“, total angepasst und wollten brutal alles verbieten, machten nicht genug Öko, sondern nur noch Gerechtigkeit oder nur noch Öko und überhaupt keine Gerechtigkeit. Und jeder Superchecker, der einem monatelang erzählt hat, dass Parteichef Cem Özdemir der richtige Spitzenkandidat für diese Zeit sei, knurrt nun, dass sie Schleswig-Holsteins in der „Urwahl“ um 75 Stimmen unterlegenen Vize-Ministerpräsidenten Robert Habeck hätten nehmen müssen, das sei ihm „völlig klar“. Ja, jetzt schon.
Grundsätzlich prangere ich diese Einteilung in „neue Gesichter“ und „alte Gesichter“ als nicht human an. Wie soll Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt mit dem Vorwurf umgehen, sie trage ein altes Gesicht zur Wahl? Nur weil sie superjung supererfolgreich war. Ein anderer Kandidat sieht aus wie der letzte Überlebende des SPD-Ortsverbandes Würzelbürz. Und dieses Gesicht soll neu und superhip sein?
Der dahinterstehende geistige Kurzschluss erklärt dann auch noch alle Bürger für bescheuert und desavouiert die wahre Ressource menschlicher und politischer Verbindungen: Vertrauen. Man vertraut Politikern ein Land an, weil man sie kennt oder das zumindest hofft. Merkel. Kretschmann. Dreyer. Heinold. Habeck. Aber doch nicht, weil man sie nicht kennt.
Objektiv betrachtet steht es außer Frage, dass es ein, zwei, viele Parteien braucht, die die sozialökologische und auch digitale Wende voranbringen – ein Gerechtigkeits-, Sicherheits-, Freiheits-, Emanzipations- und Kulturprojekt, wie es noch keines gab in der Geschichte der Bundesrepublik. Und die dabei die europäische Gesellschaft zusammenhalten und die Weltgesellschaft gleich auch noch.
Kleiner hat es die Gegenwart leider nicht.
Eine politische Gerechtigkeitserzählung muss von einem steigenden Meeresspiegel her gedacht werden und nicht von einem steigenden Mindestlohn. Wer jetzt im Classic-Rock-Sound („Das Beste der 70er, 80er und 90er“) von den „hart arbeitenden Menschen“ croont, der versucht immerhin, eine Vertrauensbasis herzustellen. Aber er betoniert auch die Irrealität.
In der grünen sozialökologischen Politik und auch in ihren liberalen Lebensstilen steckt – meine Unterstellung – potenziell Zukunftsgesellschaft und wohl mehr, als was die dauernostalgische SPD sich mit ihrer Ralf-Stegner-Kultur zusammenreimt. Aber weil die Bundesgrünen sind, wie sie sind (derzeit nicht wahlkampfbereit), kann es sein, dass wir niemals erfahren werden, ob sie tatsächlich in der Lage wären, führende Kraft dieser Transformation zu werden.
Ach, abwarten, sagen mir Spitzengrüne, das sei alles überhitzt. Maybe. Aber um sicher zu gehen, wäre ein Sofortmaßnahmen-Programm gegen den Stimmungstrend hilfreich, mit dem Momente der Veränderung geschaffen und dann inszeniert werden – und eben nicht vergeigt. Doch zunächst muss Mitte Mai etwas passieren, das man definitiv nicht in Berlin beschließen kann. Aber vielleicht ja auch nicht verhindern. Es scheint ironisch, dabei ist es von einer bestechenden Logik, dass die Zukunft der Bundesgrünen jetzt von einem abhängt.
Robert Habeck muss die Wahl in Schleswig-Holstein gewinnen.
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