Die deutsche Mannschaft hat sich neu erfunden: Revolution im Mittelfeld

Die Grundlage des deutschen Erfolgs ist das neue 4-2-3-1-System. Aber woher kam die Neuerung - von der Trainerbank oder von Spielmacher Michael Ballack selbst?

Michael Ballack schießt ein Tor und Arne Friedrich dankt ihm dafür. Bild: ap

BASEL taz Michael Ballack trat vor die Mikrofone und sprach. "Man hat gesehen, was die Mannschaft leisten kann, wenn sie befreit aufspielt." Der Präzeptor der deutschen Elf hatte seine Botschaft verkündet. Und das schon vor dem Erreichen des Halbfinales (Mittwoch, 20.45 Uhr in Basel) durch das famose 3:2 gegen die von allen Experten favorisierten Portugiesen. Ihm war klar, dass alles eine Frage der Einstellung sein wird - und eine Frage der Aufstellung. Intern hatten sich die Risikofreudigen gegen die Zauderer durchgesetzt, endlich.

Das heißt auch: Michael Ballack hatte sich durchgesetzt. Er musste nicht mehr im defensiven Mittelfeld schuften, sich in der ungeliebten Zone vor der Abwehr verschleißen. Im neuen System konnte er frei in der Spitze des Mittelfeldes agieren. Es muss ihm wie ein tiefer Atemzug an frischer Alpenluft vorgekommen sein, nachdem er in der Vorrunde im Mief taktischer Konfusion gestanden hatte. So wie die gesamte deutsche Offensive. Basel am Donnerstagabend, das war ein Luftkurort mit höchstem Erholungswert für die DFB-Elf.

Das neue 4-2-3-1-System war Grundlage des Sieges über Portugal, das gilt längst als Allgemeinwissen. Aber woher kam die Neuerung; womöglich sogar vom Kapitän und Siegtorschützen höchstselbst? Darüber darf spekuliert werden, tauchte es doch bereits vorm Spiel in Bild auf und auch auf der ZDF-Taktiktafel Toni Schumachers. Steckte Ballack hinter diesen Indiskretionen? Wollte er damit den Druck aufs Trainerteam erhöhen? Sollten sie, Joachim Löw und Hansi Flick, gar nicht mehr anders können, als dem Wunsch des Chelsea-Spielers zu folgen?

Fest steht jedenfalls: Im Vergleich zum WM-Turnier, das von einem kontrollsüchtigen und machtbewusstem Jürgen Klinsmann geprägt wurde, ist dieses Trainerteam schwächer. Das kommt Michael Ballack zugute, der in England zum internationalen Star gereift ist.

Damals, am Beginn des Sommermärchens, konnte man noch sehen, dass Klinsmann gegenüber Ballack das letzte Wort hatte: Es ging seinerzeit um "die Wade der Nation". Ballack hatte Bild Informationen über den maladen Muskel gesteckt, und das passte Klinsmann gar nicht. Der "Capitano" wurde gerügt. Ballack übte sich fortan in Zurückhaltung im Umgang mit seinen Spezies vom Boulevard.

Hansi Flick musste sich nach dem Sieg natürlich die Frage gefallen lassen, wer für das Vierzweidreieins der Deutschen verantwortlich zeichne. Seine Antwort lässt nicht sehr viele Optionen offen. Flick, der den gesperrten Löw an der Linie und auch auf dem Podium vertrat, sagte: "Wir arbeiten als Team zusammen, von wem letztlich die Idee kam, ist egal. Das sollte man so akzeptieren."

Klingt nicht gerade so, als wäre die taktische Neuerung und vor allem deren Umsetzung auf dem Mist der Coaches gewachsen. Es klingt eher nach einem Drängen, dem nachgegeben wurde. Sollte Ballack wirklich der (Mit-)Initiator sein, dann gebührt ihm das Etikett "Spielertrainer". Denn die Mannschaft folgte ihm bedingungslos. Das System schien wie maßgeschneidert zu sein für ein Team, das alle negativen Eigenschaften der Vorrunde mit einem Schlag abgelegt hatte: die Behäbigkeit, die Gedankenträgheit und die Lauffaulheit. Die Mannschaft hatte sich neu erfunden, gerade rechtzeitig für die erste Knock-out-Partie.

Im Detail sah die Erfindung so aus: In der Abwehr formierten sich die üblichen Verdächtigen, allerdings durfte Arne Friedrich auf der rechten Seite ran. Die Revolution vollzog sich derweil im Raum vor der Defensive. Auf der Ballack-Frings-Position spielten nun Simon Rolfes und Thomas Hitzlsperger. Auf einer Dreierlinie davor: Lukas Podolski, Michael Ballack und Bastian Schweinsteiger. Einzige Spitze: Miroslav Klose. Man hätte erwarten müssen, dass die deutsche Elf Zeit braucht, um sich auf das neue System einzustellen. Doch weit gefehlt: Nach fünf Minuten war die Gewöhnungsphase vorbei und die DFB-Elf spielte in dieser Ordnung, die alles andere als ein taktisches Korsett war, wie ein Titelanwärter.

Podolski und Schweinsteiger illustrierten in Perfektion das so genannte Gummiseil-Prinzip. Sie hielten ihre Positionen, waren aber nicht sklavisch an ihr Gebiet gebunden. So kam es zu einer Vielzahl von vertikalen Rochaden, aber auch horizontal wurde das Wechselspiel betrieben. Die Portugiesen wussten in der ersten halben Stunde nicht recht, wie ihnen geschieht. Und ehe sie es sich versahen, stand es schon 2:0 für die Deutschen. Das lag zuvorderst am kombinationsfreudigen, offensiven Dreier-Mittelfeld, aber auch an der Schwäche Portugals bei Standardsituationen. Ja, sie ließen selbst einen formschwachen Klose zum Torerfolg kommen. Und der gescholtene Bastian Schweinsteiger durfte zum "Spieler des Tages" aufsteigen. "Wir haben ihm gesagt, dass es nicht geht, wenn er sich hängen lässt", sagte Flick nach dem Spiel. "Er hat dann versprochen, dass er ein großes Match abliefern wird." Doch war es wirklich das Trainerteam, das dem Bayern-Profi flotte Beine machte?

In Schweinsteigers Version wars die Bundeskanzlerin, die ihn, den Rotsünder vom Kroatien-Spiel, auf den Pfad der Fußball-Tugenden zurückführte.

"Sie hat gesagt, was ich tun muss: ,Mach keine Dummheit und spiel wieder wie damals bei der WM' ", hat ihm Angela Merkel auf der Tribüne in Wien angeblich gesagt. "Und wenn die Bundeskanzlerin etwas sagt, dann muss man das tun."

Gleiches gilt, wenn Michael Ballack etwas sagt.

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