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Die deutsch–deutsche Friedensfamilie

■ Prominente DDR– und BRD–Bürger versuchten friedenspolitischen Spielraum auszuloten und verabschiedeten sich mit höflichen Einsichten

Aus Berlin Klaus Hartung

Stefan Hermlin, Bischof Dietmar Schönherr aus der DDR, Verleger Klaus Wagenbach und Antje Vollmer aus der BRD trafen sich am Sonnabend in der Berliner „Urania“, um über Friedenspolitik zu reden. Eine interessante, vom Publikum applaudierte Paarung. Aber - zu Tage gefördert wurde an diesem Abend die überraschende Erkenntnis, daß in der DDR „eine tolle Sensibilität“ (Vollmer) herrsche. Je größer die staatliche Kontrolle, desto größer die Sensibilität? Antje Vollmer: „200.000 Menschen in Hasselbach haben nicht so eine große Wirkung wie ein Aushang in der Erlöserkirche in Ost–Berlin.“ Lea Rosh, die Moderatorin, hatte, um eine Auseinandersetzung zu provozieren, die Schwierigkeit des Dialogs benannt: Geredet werden sollte darüber, was man „mehr machen“ könnte nach Reykjavik, wie die Regierungen unter Druck gesetzt werden könnten. Damit aber die DDRler nicht gleich zur friedensdiplomatischen Sprache abschwenken, sollten die Teilnehmer auch die Kritik aneinander formulieren. Schönherr fiel dazu eigentlich nichts ein. Hermlin hingegen fand, daß „niemand so wie die BRD–Schriftsteller die Wende mitgemacht“ hätten. Aber als Name fiel ihm nur seine alte Krankheit, die Biermann hieß, ein. Antje Vollmer, in der Argumentation fast zu überlegen, kritisierte die DDR–Friedenspolitik von oben. Man handle nach der Maxime: „Die Bevölkerung hat die schlechte Regierung ertragen, also wird sie die gute nicht stürzen“. Sie fragte nach dem inneren Frieden, nach der Friedensbewegung: „Nur freie Menschen sind wirklich friedlich.“ In diesem Zusammenhang benannte sie das DDR–Komplott mit der BRD bei der Asylantenfrage. Da fühlte sich nun Schönherr angesprochen: „Die Asylantenfrage spielt für uns keine Rolle.“ Man sei ja nur Durchgangsland. „Entwaffnend“ war der richtige Zuruf. Im übrigen betonte er, es gebe „einen großen Zulauf der Friedensgruppen“ und verwies auf die „Friedensdekaden“ der Kirche. War das die Provokation? Wagenbach monierte diese Haltung, mochte aber auch nicht unhöflich sein. Er seinerseits versuchte einen anderen Angriff. Die gesamtdeutsche Friedensbewegung sei zu SDI–gläubig. Die westdeutsche Friedensbewegung insbesondere sei unpolitisch, weil sie eben nur Friedensbewegung sei. Gemurmel im Publikum. Aber Wagenbach verschärfte sein Votum nicht zur These, daß die Friedensbewegten hüben und drüben SDI brauchen, um nicht über andere Dinge zu reden. Das formulierte Hermlin. Er kritisierte an der BRD, daß die „Friedensfrage allzuoft mit dem westlichen Begriff von Freiheit“ verknüpft werde. Das war Angriff und Offenbarungseid zugleich. Doch niemand wagte, diesen Streit so richtig zu beginnen. Schönherr beklagte die Instinktlosigkeit der „pluralistischen Gesellschaft“ am Beispiel des unmöglichen Auftretens einer Schülergruppe aus Ludwigshafen in einem Delikat–Laden. „Man muß schon eine Weile unsere Luft schnuppern, um zu sehen, was da ist,“ auch, „was bei uns historisch gelaufen ist.“ Da war es, das Plädoyer, die rohen Eier der DDR auch zu achten. Die Versammlung endete in Langeweile, auch nach dem Eingeständnis der Kontrahenten. Warum? Es scheint fast so, daß der gesamtdeutsche Vulgärmaterialismus alle anderen Fragen schluckt. Irgendwann ist das Abrechnen zwischen Delikatladen und Neckermann. Die zwei Erben der unheiligen deutschen Familie stehen sich gegenüber, der betrogene und der satte. Der Linke aus der BRD will nicht die Freiheit zur Argumentationswaffe machen, der kritische Mensch aus der DDR will nicht schon wieder betonen müssen, daß er keineswegs dauernd unterdrückt wird. So endet es in der gesamtdeutschen Höflichkeit, wo jeder darüber nachdenkt, was der andere wohl denken mag. Insofern zeigte der Abend, warum die beschworene deutschdeutsche Gemeinsamkeit der Friedensbewegung so ohnmächtig ist.

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