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Die blaue StundeZwischen Hund und Wolf

Im Film zeugt die blaue Stunde von Übergang und Neubeginn – und spricht mit ihrer mystischen Lichtstimmung romantische wie archaische Gefühle an.

Eine einzige blaue Stunde: Szene aus "Lost In Translation". Bild: Constantin Film/Cinetext

"Tra cane e lupo", "zwischen Hund und Wolf", nennt man in Italien den Zeitpunkt der Dämmerung und nimmt damit alles vorweg, was das Moment der "blauen Stunde" in sich birgt. Zweimal täglich ist das atmosphärische Phänomen zu beobachten. Morgens und abends. Zu Beginn und am Ende eines jeden Tages. Die blaue Stunde, das ist der kurze Zeitpunkt unmittelbar vor und nach dem Verschwinden der Sonne hinter dem Horizont und der nächtlichen Dunkelheit; die Minuten, in denen Farben und Kontraste schwinden und die Welt in einem unwirklichen, fast magischen Licht erstrahlt. Filmemacher haben sich dieser Lichtqualität schon oft bedient. Denn sie steht für ein ganzes Arsenal an romantischen Gefühlen.

"Die blaue Stunde versucht man in jeden Film reinzukriegen", sagt Kameramann Martin Farkas aus München, der Dokumentar- ("Deutsche Seelen - Leben nach der Colonia Dignidad") wie Spielfilme ("Tatort", "Polizeiruf 110") dreht. Dass das nicht immer gelingt und deshalb nur eine Handvoll Filme tatsächlich damit spielen, liegt an der Flüchtigkeit des Augenblicks. Zwischen 30 und 50 Minuten dauert die Dämmerung in unseren Breitengraden, je nachdem, wie schräg die Sonne steht.

Terrence Malick - dessen neuester Film "Tree of Life" derzeit in den Kinos zu sehen ist - wagte mit seinem Film "In der Glut des Südens" (Days of Heaven) 1978 ein visuelles Experiment. Kameralegende Néstor Almendros drehte die Außenszenen ausschließlich während Sonnenaufgang und Sonnenuntergang, der "goldenen Stunde". Zwar ist Malick damit ein äußerst poetischer Film mit monumentalen Landschaftsaufnahmen unter dem glutroten Himmel von Texas gelungen, doch dauerten die Dreharbeiten ganze 72 Tage, sodass Almendros zum Schluss durch einen Kollegen ersetzt werden musste, weil er bereits für den nächsten Film gebucht war.

Die blaue Stunde indes ist nur ein kurzer Teil der Dämmerung. Sie setzt erst ein, wenn die Sonne hinter dem Horizont verschwunden ist, ihre Strahlen den Himmel also nur noch indirekt beleuchten und im Osten bereits der indigoblaue Nachthimmel heraufzieht. Während dieser Zeit besitzt der tiefblaue Himmel in etwa dieselbe Helligkeit wie das künstliche Licht von Gebäude- und Straßenbeleuchtungen. Nur zu dieser Zeit gelingt, was sonst technisch unmöglich ist: ohne künstliche Beleuchtung in der Dunkelheit zu drehen.

"Die blaue Stunde ist wie ein Geschenk", sagt Kameramann Farkas. "Das Licht schlüpft ganz weich um die Figuren und die Landschaft", wirkt wie ein natürlicher Weichzeichner. Trotzdem sind die Farbkontraste gut zu sehen. "Die blaue Stunde schafft eine hohe Plastizität, die dennoch etwas ungeheuer Weiches, Warmes, ja fast Liebevolles hat." Maximal zwanzig Minuten hält dieses Phänomen in Mitteleuropa vor. Szenen mit mehreren Einstellungen zu bewältigen ist in dieser kurzen Zeitspanne fast unmöglich. Meist kommt die blaue Stunde deshalb als stimmungsvolle Totale mit hohem Symbolgehalt zum Einsatz.

Etwas Altes geht zu Ende, etwas Neues beginnt

"Die blaue Stunde ist ein magischer Moment", sagt Kameramann Farkas und berichtet von einem Dokumentarfilmdreh in Uganda. Dort dauert die blaue Stunde etwa zehn Minuten. "Plötzlich fangen die Blumen an, besonders stark zu riechen, und auf einmal hört man Vögel im Busch kreischen, die man den ganzen Tag noch nicht gehört hat." Eine freudige, kribbelige Unruhe kommt auf. Die blaue Stunde kündet vom Einbruch der Nacht - oder vom Anbruch des Tages. Etwas Altes geht zu Ende, etwas Neues beginnt. Sie ist ein Symbol für das Dazwischen und all die unbewussten Erwartungen, die an das geknüpft sind, was kommt. "Das ist etwas Unausgesprochenes, Unbewusstes", sagt Farkas. "Aber wir alle wissen darum." Filmemacher spielen mit dieser kollektiven Erfahrung.

Bild: taz

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Sofia Coppolas "Lost in Translation" (2003) ist eine einzige blaue Stunde, was konsequent erscheint, zeigt der gesamte Film zwei Menschen in einer Art Transitzustand. Sowohl Charlotte (Scarlett Johansson) als auch Bob (Bill Murray) traumwandeln, von Schlaflosigkeit geplagt, durch ihr Hotel in Tokio und erkunden eine Stadt, die sie nicht verstehen.

Die Tage verbringen sie allein. Charlotte besichtigt Tempel und Gärten, Bob dreht als alternder Filmstar eine Whiskeywerbung. Erst nachts treffen sie sich. Die blaue Stunde, die Charlotte meist vor einem der Hotelfenster mit Blick auf die leuchtende und blinkende Stadt verbringt, leitet den Stimmungswandel ein. Die Einsamkeit des Tages geht, die elektrisierte Nacht beginnt. Die blaue Stunde ist der Initiationsritus, der den Übergang vom Alltag zur sinnlichen Seite des Lebens ermöglicht. "Du bist so weich, du gibst von etwas Kunde / von einem Glück aus Sinken und Gefahr / in einer blauen, dunkelblauen Stunde / und wenn sie ging, weiß keiner, ob sie war", schrieb Gottfried Benn in seinem gleichnamigen Gedicht über die blaue Stunde und bringt damit den Kern der platonischen Romanze auf den Punkt. "Die blaue Stunde spricht unsere archaischen Gefühle an", sagt Kameramann Farkas. "Sie ist die Einleitung zur Nacht, der Zeit der Liebe."

Es ist also kein Zufall, wenn auch das Generation-X-Drama "Before Sunrise" (1995) von Richard Linklater, das Stilmittel der blauen Stunde nutzt, um den Pakt zwischen der Französin Céline (Julie Delpy) und dem Amerikaner Jesse (Ethan Hawke) zu besiegeln. Die beiden haben sich im Zug von Budapest nach Paris kennengelernt. Als Jesse in Wien aussteigen muss, überredet er Céline, mit ihm die Nacht in Wien zu verbringen. Just zur blauen Stunde stehen die beiden in der Pratergondel über Wien. Es kommt zum ersten Kuss, und von da an ist klar, dass die beiden diese eine Nacht, in der alles möglich scheint und die traumgleich, völlig losgelöst ist von allem Alltäglichen, als Liebespaar verbringen werden.

Vampire steigen aus ihrem Sarg

Doch mit dieser speziellen Tageszeit verbinden nicht alle nur Positives. "Für mich hat die blaue Stunde etwas mit Depression zu tun", sagt Nachwuchsfilmemacher Erik Schiesko, 25, aus Cottbus. Im April hat er seinen ersten Spielfilm fertiggestellt. "Blaue Stunde" heißt die No-Budget-Produktion, die bislang nur in Cottbus zu sehen war. Der 16-jährige Niclas (Niclas Greschke) befindet sich im Schwebezustand (sic!). Es fällt ihm schwer, zwischen Traum und Realität zu unterscheiden. Immer wieder begegnet er seinem Alter Ego, führt Zwiegespräche mit seinem Doppelgänger, fragt nach dem Sinn des Lebens und seinem Platz darin. "Die blaue Stunde ist ein Sinnbild der Jugend", sagt Schiesko, "nicht mehr Kind und noch nicht erwachsen." Auch hier wieder: das Dazwischen, das Unvollendete, der Übergangszustand.

Doch Schieskos Coming-of-Age-Geschichte weist auf eine zusätzliche Qualität hin, die der Symbolkraft der blauen Stunde innewohnt: Der Übergang zur Nacht steht auch für die dunkle Seite, das Unheilvolle, Mystische, Abgründige, Zwielichtige. Nicht umsonst verwandeln sich Hunde mit Einbruch der Dunkelheit in Wölfe, und Vampire steigen aus ihrem Sarg. Das helle, klare Tageslicht, das jeden Winkel ausleuchtet und harte Schatten wirft, bedeutet für sie den Tod. Den Sonnenaufgang können sie sich, wie Louis (Brad Pitt) im Film "Interview mit einem Vampir" (1994), nur im Kino gefahrlos ansehen. Dennoch endet auch Schieskos "Blaue Stunde" mit Aufbruchstimmung: Nach einer depressiven Nacht dämmert auch für Niclas der Morgen und entlässt den Zuschauer voller Hoffnung in einen neuen, jungfräulichen Tag, an dem alles möglich zu sein scheint - auch das Außergewöhnliche. "Its a new dawn / a new day / a new life / for me feeling good" ("Feeling Good", Original von Cy Grant, in der Version von Nina Simone).

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1 Kommentar

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  • JZ
    jan z. volens

    Beides in den Wuesten Nordmexikos ( damals vor einem halben Jahrhundert ).