: Die bestechenden Argumente der Firma Siemens
Heute fällt das Landgericht München das Urteil im Prozeß gegen neun Siemens-Mitarbeiter und einen städtischen Angestellten wegen Bestechung ■ Von Bernd Siegler
Mit Spannung wird heute das Urteil im ersten Prozeß des Münchener Bestechungsskandals erwartet. Neun zum Teil hochrangige Siemens- Mitarbeiter und ein leitender städtischer Angestellter müssen sich seit einem Monat vor dem Münchener Landgericht I wegen Bestechung, Bestechlichkeit, Betrug und Strafvereitelung verantworten. Nach dem Willen der Staatsanwaltschaft sollen die zehn Angeklagten bis zu acht Jahre hinter Gitter. Die Verteidiger hatten für die Herren der ehrenwerten Münchener Gesellschaft zum Großteil Bewährungsstrafen oder Freispruch gefordert. Sie argumentierten, man müßte sowieso davon ausgehen, daß die Bundesrepublik „längst eine Bananenrepublik“ sei.
Der bislang größte Bestechungsskandal in der bayerischen Geschichte wäre wahrscheinlich überhaupt nicht ans Tageslicht gekommen, wenn nicht ein Unternehmer auf die Idee verfallen wäre, seine Schmiergeldkosten als „Werbungskosten“ gegenüber dem Finanzamt deklarieren zu wollen. So wurden im Frühjahr letzten Jahres die Münchener Ermittlungsbehörden auf den Bau des Dietersheimer Klärwerks aufmerksam. Die Spur führte über einen agilen Rentner, der als Mittler zwischen den Firmen und den Auftragsvergebern fungierte, zu dem 44jährigen Manfred O., einem städtischen Angestellten im Hochbaureferat, und dann sehr schnell auch zur Weltfirma Siemens. Nach einer Razzia in der Münchener Siemens-Niederlassung kam zu Tage, daß nicht nur örtliche Siemens-Manager saftige Schmiergelder bezahlt hatten, sondern daß Kollegen aus Erlangen und Karlsruhe diese illegalen Transfers gedeckt und über Schweizer Konten abgewickelt hatten.
Die Methode war denkbar einfach. Der städtische Angestellte O. lieferte den Firmen gegen die Zahlung von Schmiergelder sogenannte Bieterlisten. Die Firmen sprachen sich daraufhin ab, wer den Auftrag bekommen sollte, die anderen gaben dann überhöhte Scheinangebote ab, damit die vereinbarte Firma den Zuschlag erhalten sollte. Nicht nur Siemens, auch die AEG und etwa zwanzig mittelständische Firmen haben sich auf diese Weise lukrative Aufträge für die Klärwerke München I und II, das Universitätsbauamt, das Finanzbauamt, die Münchener Messegesellschaft und den neuen Flughafen München II gesichert.
Als Drehscheibe des Schmiergeldkarussells fungierte der 71jährige Joseph K., ein bis 1986 in den Diensten von Siemens stehender erfolgreicher Außendienstakquisiteur. Er erhielt von O. die Bieterlisten. Die Abmachung war klar: ein Prozent der Auftragssumme als Provision für K., das doppelte für O. So wurden zwischen 1984 und 1990 bei Aufträgen für die beiden Klärwerke in einer Gesamthöhe von 108 Millionen Mark verfahren. O. kassierte dabei Schmiergelder in Höhe von 1,93 Millionen Mark. Freimütig plauderte K. am 14. Februar als Zeuge vor Gericht, wie leicht es war, mit Siemens ins Geschäft zu kommen. Er hätte zunächst immer gedacht, bei Siemens gebe es keine Schmiergeldzahlungen. Doch dort sei man überraschend schnell mit den Provisionszahlungen einverstanden gewesen.
Der Vorsitzende Richter Günter Bechert versuchte im Laufe des Prozesses immer wieder herauszufinden, ob Schmiergelder Teil der „Firmenphilosophie“ des Konzerns seien und nicht „bedauerliche Ausnahmen“. Nicht nur der glatte Ablauf der Bestechung sprach für seine These. Alle neun Siemens-Mitarbeiter befinden sich durch Kautionszahlungen in Höhe von bis zu 100.000 Mark, die von Siemens gezahlt worden waren, auf freiem Fuß. Selbst die gewaltigen Anwaltskosten werden von der Firma beglichen. Keiner hat bisher seine Stellung verloren.
Nähere Aufklärung versprach sich Richter Bechert von dem Zeugenauftritt des Siemens-Vorstandschefs Karlheinz-Kaske. Doch Kaske erschien aus gesundheitlichen Gründen nicht. „Wie die Sucht nach wirtschaftlichem Erfolg ehrenwerte Bürger zu Straftätern werden läßt“, habe, so Oberstaatsanwältin Ursula Lewentin, die Verhandlung deutlich gezeigt. Sie machte in ihren Strafanträgen klar, daß man „nicht den Ladendieb gnadenlos verfolgen“, „vor hochkriminellen Geschäftspraktiken aber die Augen verschließen könnte, nur weil sie überhand genommen“ hätten. Manfred O. soll acht Jahre in Haft. Sein Verteidiger hält viereinhalb Jahre für ausreichend, da O. nur ein „kleiner Würstchenbeamter“ gewesen sei. Für den „obersten Entscheidungsträger“ bei Siemens, dem Münchener Niederlassungsleiter K., forderte Lewentin dreieinhalb Jahre. Zwischen eineinhalb und viereinhalb Jahre sollen vier weitere Manager in Haft, bei den restlichen vier hält die Staatsanwaltschaft Bewährungsstrafen, verbunden mit Geldbußen bis zu 150.000 Mark, für angemessen.
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