Die andere Seite der US Open: Doppelschicht am Court
Ein Heer von Billiglohn-Arbeitern ermöglicht die US Open der Tennisprofis. Sein Beitrag rückt durch einen Vorfall auf Platz 17 in den Fokus.
In der Kette derjenigen, die hier irgendwie etwas mit dem Event zu tun haben, sind sie das allerletzte Glied. Bei keinem anderen der vier großen Grand-Slam-Turniere, weder in Melbourne bei den Australian Open noch bei den French Open oder in Wimbledon, ist der Gegensatz so krass wie hier. Es sind die Hoffnungslosen, die für zwei Wochen einen Job gefunden haben: Obdachlose, Drogenabhängige, die unterste Klasse der USA. Fast alle haben eine dunkle Hautfarbe, zwischendrin hört man viel Spanisch. Ihr Stundenlohn beträgt 4 Dollar.
Hinter Court 17 an der südöstlichen Ecke des Komplexes gibt es ein weißes Zelt, das extra für die Arbeiter aufgebaut wurde. Hier machen nicht nur die Reinigungskräfte, sondern auch all die anderen, die den Betrieb am Laufen halten, ihre Pausen: Tellerwäscher, Köche, Sicherheitsleute. Nähert man sich dem Zelt, schlägt einem starker Marihuana-Geruch entgegen. Viele Arbeiter rauchen ihre Joints hinter dem Zaun im angrenzenden Park.
Am Anfang des Turniers hat es für Aufregung gesorgt, als sich Spieler über den „Pot-Smell“ beschwert hatten. Deutschlands bester Tennisspieler Alexander Zverev meinte, dass es bei seinem Match phasenweise wie im Wohnzimmer des kiffenden Rappers Snoop Dog gerochen hätte. Mittlerweile haben sich alle daran gewöhnt. Und der Wind steht wohl auch besser.
Entspannung in der Pause
Die US Open sind ein hartes Pflaster. Ein Koch berichtet, dass er pro Tag gleich zwei Schichten absolviert. Eine von morgens bis 15 Uhr. Dann folgt die Pause. Weiter geht es bis zum späten Abend. Er sagt, man müsse ja irgendwie durchkommen. Die Joints würden für ihn zum festen Ritual gehören. „Das ist auch eine schöne Entspannung.“ Der Konsum von Marihuana ist in New York seit 2021 legal. Natürlich nicht auf der Anlage. Aber wen interessiert’s? Die United States Open sind ein Abziehbild der amerikanischen Gesellschaft: Ganz unten und ganz oben liegen dicht beieinander.
In Manhattan auf der anderen Seite des Flusses sieht es eigentlich genauso aus. Beim Tennis in Queens gibt es die armen Schlucker und das feine elitäre Publikum. In Glattleder-Schuhen und auf High Heels geht es in die Night-Session im riesigen Tennis-Tempel, der Arthur-Ashe-Arena. Es ist ein Publikum, das so auch während der Salzburger Festspiele vorm Großen Festspielhaus flanieren könnte. Wer es ein bisschen weniger posh haben möchte, gönnt sich den Ground-Pass. Mit dem kann man auf der Anlage die kleineren Plätze besuchen und dort die Matches beobachten.
Am Wochenende kostete der Tagespass 230 Dollar. Einen halben Liter eines schrecklichen Bieres bekommt man für 15 Dollar. So nimmt das Turnier seinen Lauf. Mitunter sieht man Tennisprofis mit ihren riesigen Schlägertaschen auf dem Rücken übers Gelände zu den Courts oder wieder zurück in den Players Garden laufen. Und natürlich gibt es auch die große Gruppe der Journalisten, die über das sportliche Großereignis berichten.
Die unterschiedlichen Gruppen nehmen einander kaum wahr. Man bleibt unter sich. 500 Arbeiter sollen hier auf der Anlage in Schichten arbeiten. Die letzten bleiben noch zwei Stunden nach Ende des letzten Ballwechsels des Tages. Novak Đoković hat in der Nacht zu Samstag um kurz vor halb 2 Uhr morgens seinen Matchball verwandelt. „Tennis never sleeps“, heißt es gerne in der Branche. Das gilt aber nicht nur für die Profis.
Eine Woche dauert das Turnier noch an. Bis zum Finalwochenende werden hinter Court 17 noch viele Joints gewickelt werden. Man kann es ja auch positiv sehen: Wenigstens für 14 Tage haben die Leute einen Job und verdienen ein bisschen was. Was danach kommt, wissen die wenigsten. New York ist brutal. Auch beim Tennis.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“