: „Die Zusammenlegung in die Tat umsetzen“
Offener Brief der Professoren Gollwitzer, Narr und Grottian an den Regierenden Bürgermeister Momper und Justizsenatorin Limbach zum Hungerstreik der RAF / Warnung vor schwer wiedergutzumachenden Folgen ■ D O K U M E N T A T I O N
Liebe Frau Limbach, lieber Herr Momper!
Die Dringlichkeit der Angelegenheit, deretwegen wir uns an Sie wenden, besteht unvermindert fort. Wir melden uns nicht zuletzt deswegen in einem offenen Brief an Sie zu Wort, weil wir die Gewöhnung an den Hungerstreik vermeiden wollen, die nach wie vor jeden Tag verhängnisvolle Folgen zeitigen kann. Menschenleben stehen auf dem Spiel.
(...) Wir sind als Berliner Bürger und Hochschullehrer, die immer erneut mit den anstehenden Problemen während der letzten zwei Jahrzehnte zu tun gehabt haben, fest davon überzeugt, daß der Senat des Landes Berlin jetzt handeln muß. Und zwar alsbald, nicht erst nach weiteren Abstimmungen in Wochen oder Monaten. Dann mag es ohnehin zu spät sein. Der Berliner Senat sollte heute die Initiative ergreifen, die von den SPD-regierten Ländern gegebenen Versprechungen in die Tat veränderter Haftbedingungen und von Zusammenlegung umzusetzen. Die Gruppengröße - ob nun 4, 10 oder 20 Personen umfassend - kann vernünftigerweise kein Hinderungsgrund rechtlich, human und politisch eindeutig gebotenen Handelns sein.
Wir halten es darüber hinaus für geboten, gleichfalls sogleich zu beginnen, daß der Berliner Senat aus SPD und AL auf die anderen SPD-regierten Länder und mit denselben zusammen auf die CDU/CSU-regierten in allen öffentlichen und nichtöffentlichen Formen einwirken sollte, daß diese Länder ihrerseits die Haftbedingungen erleichtern, einzelne gesundheitsgefährdete Gefangene von der Haft verschonen und im übrigen die Inhaftierten in größere Gruppen zusammenlegen. Sollten sich die CDU/CSU-regierten Länder wie bisher starrköpfig und unversöhnlich weigern, indem sie sich zugleich hinter einer vordemokratischen Staatsmonstranz verstecken, sollte der Berliner Senat anbieten, die in Haftanstalten der CDU/CSU-regierten Länder untergebracht worden sind, in Berliner Gefängnisse zu übernehmen. Wenn Sie, lieber Herr Momper, in der Regierungserklärung vom „Aufbruch“ sprechen, dann sollten Sie diesen auch für einen humanen Strafvollzug reservieren - unabhängig davon, ob es sich um Hungerstreikende oder andere schwere Straftäter handelt.
Das sind die hier und heute dringlich gebotenen Schritte. Zusammen mit diesen Schritten aber sollte der Senat von Berlin zwei weitere, bald entsprechend konzeptionell und mit Gesetzesentwürfen zu untermauernde Initiativen ankündigen.
Die erste Initiative - via Bundesrat - hätte der ersatzlosen Streichung des grundrechtswidrigen §129a StGB zu gelten. Keines der sogenannten Antiterrorismusgesetze hat sich bewährt. Alle haben grundrechtlichen Schaden angerichtet und eher dazu beigetragen, daß Gewaltakte ein Mittel der Un-Politik bleiben. (...)
Die andere Initiative aber muß der notwendigen drastischen Änderung des sogenannten Normalvollzugs gelten. „Normalvollzug“ - das Wort erweckt einen fast Vertrauen machenden Eindruck. Als sei alles zum Besten bestellt und eben „normal“. Dabei wissen Sie, wie alle, die sich je darum gekümmert haben, daß das Resozialisierungsgebot des Strafvollzugsgesetzes - auch wenn die Verhältnisse in den einzelnen Strafanstalten sehr verschieden sind - eine Art normative Insel im Gefängnisgestrüpp darstellt. Nach wie vor wird die Menschenwürde in Frage gestellt und besitzt Falladas berühmter Romantitel allzuviel Wirklichkeit: Wer einmal aus dem Blechnapf fraß, wenngleich sich äußerlich, aber nicht immer zum Vorteil, etliches geändert hat.
Obwohl die Initiativen und Schritte, die wir Ihnen als den politisch Verantwortlichen in dieser Stadt abverlangen möchten, alles andere als populär erscheinen, sind wir erneut davon überzeugt, daß diese Schritte hier in Berlin für Sie und diesen Senat auch opportun sind. Opportun, nämlich der hier gegebenen Situation entsprechend, im besten Sinne. Todesfolgen des Hungerstreiks - und gerade in Berlin könnten sie bald eintreten - sind um ihrer selbst willen zu vermeiden, wenn sie vermeidlich sind. Und sie sind es ohne jede Gefahr für den - Hannemann geh du voran - fälschlich vorgeschobenen „Rechtsstaat“ und das „Rechtsbewußtsein“ der Bevölkerung. Aber einer oder schier in seinem Schrecken unvorstellbar mehrere Todesfälle im Umkreis des Hungerstreiks zeitigten sogleich vor allem unter Jugendlichen, aber nicht nur unter ihnen, schwer wiedergutzumachende Folgen. (...) Gefahr bestünde durchaus, daß die gesamte Politik des SPD/AL-Senats in den Strudel solcher Folgen gezogen würde und in ihm, verzeihen Sie unsere Deutlichkeit, unterginge. Denn auch Personen unserer politischen Überzeugung könnten eine Politik nicht verteidigen, die solche vermeidlichen Todesfälle und danach unkalkulierbare weitere Konsequenzen kleinmütig herbeigeführt hätte. (...) Außerdem kann die SPD dazu beitragen, eine zu guten Teilen falsche Politik gegenüber der RAF und anderen Gruppierungen während der siebziger Jahre wenigstens teilweise zu revidieren. Und daß es während der siebziger Jahre u.a. Isolierhaft gegeben hat, daß Elemente einer solchen mancherorts heute noch zu beobachten sind, daran besteht kein Zweifel.
Mit den besten Grüßen und dringenden Wünschen
Ihr
gez. H. Gollwitzer / W.-D. Narr / P. Grottian
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